Die deutsche Automobilwirtschaft war jahrelang die Leitbranche der Nation – und ein wichtiger Garant kontinuierlichen Wirtschaftswachstums. Inzwischen sind nach Ansicht vieler Experten die goldenen Jahre der Automobilbranche vorbei. Neue technische und gesellschaftliche Entwicklungen – Carsharing und Elektromobilität, Abgasskandale und Fahrverbote – machen den Autobauern und ihren Vertriebspartnern das Leben schwer. In dichtbesiedelten Städten entscheiden sich immer mehr Menschen gegen den Besitz eines eigenen Autos – und ein Carsharing-Fahrzeug ersetzt vier bis acht Privat-PKW. Kommt dann erst das vielbeschworene autonome Fahren, könnte die Ära des privaten Autoverkehrs bald vollständig beendet sein.
Fahrzeugabsatz in Deutschland weitgehend stabil
So weit ist es allerdings noch lange nicht. Das private Automobil ist nach wie vor das wichtigste Massenverkehrsmittel Deutschlands. Zwar stagniert die Zahl der Neuzulassungen in den westlichen Industrieländern, während die neuen Industrienationen Asiens – allen voran China – weiterhin hohe Zuwachsraten erzielen. Deutschland hält aber immer noch ein hohes Niveau. So wurden 2017 bei uns immerhin etwa 3,7 Millionen Kraftfahrzeuge verkauft bzw. neu zugelassen, was gegenüber den Zahlen der Vorjahre sogar ein leichtes Plus bedeutet. Was sich allerdings zunehmend ändert, sind die Vertriebswege der verkauften Autos. Heute findet der Fahrzeugkauf nicht mehr automatisch über den lokalen Autohandel statt. Vor allem der Vertriebskanal Internet hat den traditionellen Handel einige Marktprozente gekostet.
Kleine Autohäuser haben es schwer
Auch wenn Schlagzeilen das Ende der Autohäuser prophezeien, ist das Bild der Branche wesentlich vielschichtiger. Deutlich sichtbar ist in den letzten Jahren ein Trend zur Marktkonzentration. Kleine inhabergeführte Autohäuser, die früher oft nur eine Marke anboten, geben auf und werden häufig von größeren Autohandelsunternehmen übernommen. So prognostizierte Professor Willi Dietz vom Institut für Automobilwirtschaft bereits 2015, dass es klassische Autohändler mit einer Marke und Werkstatt bald nur noch auf dem Land geben werde. Ein Hauptproblem der kleineren Händler ist dabei die zunehmende Modellvielfalt der Hersteller. Ein Unternehmen, das vielleicht 300 Neuwagen im Jahr verkauft, kann es sich nicht leisten, 20 Ausstellungsfahrzeuge und 100 Vorführwagen bereitzustellen – wodurch die bisherige Hauptfunktion des Autohandels, die Warenpräsentation, nicht mehr erfüllt werden kann. Überhaupt ist die Ertragslage vieler Autohäuser nicht besonders rosig. Ein europäischer VW-Händler kommt nach Angaben der Branchenzeitung „Autohaus“ zum Beispiel auf einen durchschnittlichen Jahresumsatz von 27 Millionen Euro bei einem Verkauf von 620 Neuwagen. Dabei liegt die Umsatzrendite allerdings nur bei einem mageren Prozent, und diese Erträge stammen vor allem aus Ersatzteileverkauf und Werkstattbetrieb.
„Multi-Franchising“ als Geschäftskonzept
Gewinner der Entwicklung scheinen vor allem die großen Automobilhandelsgruppen zu sein, deren Top Player inzwischen Umsätze von über einer Milliarde Euro bei weit über tausend Mitarbeitern verzeichnen. Diese Unternehmen verfügen über eine Vielzahl von Standorten – zu denen oft übernommene Kleinbetriebe gehören – und verkaufen schon lange nicht mehr nur eine Marke. Im Gegenteil: Wie in den USA bereits seit längerem üblich, betreiben die Großen der Autohandelsbranche „Multi-Franchising“ und vertreten oft eine Vielzahl von Herstellern. Was im Gegensatz zur klassischen Machtverteilung zwischen Hersteller und Händler sogar zu einer Umkehrung der Verhältnisse führen könnte. Vor allem kleinere und umsatzschwächere Hersteller könnten sich bald gezwungen sehen, viel mehr auf Forderungen der großen Autohandelsgruppen einzugehen, um nicht „ausgelistet“ zu werden.
Digitale Erlebnisse der Zukunft
Ganz so komfortabel ist allerdings auch die Lage der großen Autohandelsunternehmen derzeit nicht. Auch sie leiden unter den ausufernden Modellpaletten der Hersteller und der digitalen Konkurrenz. Dank ihrer besseren Kapitalausstattung können die Big Player allerdings besser auf diese Herausforderungen reagieren. So werden neue Modelle, die man nicht mehr real in den Laden stellen möchte, in 3D-Animation auf Video-Leinwänden präsentiert und viele Unternehmen investieren auch erhebliche Summen in die Erneuerung ihrer Gebäude. Eine Umfrage von autohaus.de unter deutschen Händlern und Importeuren zeigte, dass die Bauinvestitionen im Jahr 2018 erstmals wieder die Milliardengrenze überschritten haben, wobei ein guter Teil der Investitionen auch in Digitaltechnik wie Infoscreens und Touchpads floss.
Showroom statt Glaspalast
Den Trend zu mehr Erlebnis im Autoverkauf gehen mittlerweile auch die Hersteller mit – und damit ist nicht nur Volkswagen mit seiner Wolfsburger Autostadt gemeint. Konkurrent Daimler beginnt zum Beispiel damit, edle Showrooms in den Top-Lagen der Metropolen zu etablieren. So werden die Nobellimousinen aus dem Schwabenland an der Alster zusammen mit Weinproben, Cocktails und Poetry-Slams präsentiert. Um die Marken erlebbar zu machen, reichen nach Ansicht der Markenstrategen kleine City-Shops oder sogar temporäre Pop-up-Stores. Der großflächige Glaspalast draußen im Gewerbegebiet hat ausgedient. Genau an diesem Punkt tun sich dann auch neue Konfliktlinien zwischen Händlern und Herstellern auf. So kam es vor einigen Jahren zu einem offenen Showdown zwischen BMW und seinen Vertragshändlern, weil der bayerische Autobauer einen Verkaufsbonus an umfangreiche Umbaumaßnahmen und die Erfüllung strenger Designvorgaben koppeln wollte. Da die Marge der BMW-Händler 2014 sogar am unteren Ende der Branche lag, schrieb der Händlerverband einen wütenden Protestbrief an die Münchener Zentrale.
Hersteller setzen zunehmend auf Direktvertrieb
Bei einem anderen großen deutschen Hersteller, der Volkswagen AG, setzt man aktuell auf Beschwichtigung und will den Händlern eine „klare Perspektive“ geben. Ziel sei es, den Handel als „elementare Schnittstelle zu den Kunden zu erhalten“, so VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann. Trotzdem will VW die Verträge mit den Handelspartnern auf eine neue Grundlage stellen. Denn auch deutsche Traditionshersteller erkennen inzwischen, dass die Digitalisierung sie zwingen wird, neue Vertriebswege auch jenseits des klassischen Handels zu gehen. Ein wichtiger Schritt wird eine Ausweitung des Direktverkaufs durch die Hersteller sein. Wurden die online auf der Hersteller-Website konfigurierten Fahrzeuge bisher noch durch den Händler verkauft, werden die Hersteller zunehmend die gesamte Transaktion bis hin zur Bezahlung des Neuwagens selbst abwickeln. Bei diesem Modell wird der Handel nur noch eine verkaufsunterstützende Funktion haben, zum Beispiel durch (bezahlte) Probefahrten oder technische Beratung.
Neue Vertriebswege – neue Nutzungsmodelle
Um die eigene Verkaufsplattform werden die Hersteller nicht herumkommen, da sich im Netz zunehmend unabhängige Anbieter tummeln, die Neufahrzeuge direkt, unter Umgehung von Herstellern und Handel, anbieten. Auch dem US-Online-Riesen Amazon wird ja nachgesagt, demnächst Autos verkaufen zu wollen. Dazu kommt, dass die großen, etablierten Gebrauchtwagenportale wie mobile.de oder autoscout24.de verstärkt Neuwagen ins Programm nehmen. Mit der Gründung der Gebrauchtwagen-Verkaufsplattform heycar.de hat die Volkswagen AG hier bereits eine „Gegenoffensive“ gestartet. Ein noch radikalerer Bruch könnte durch die Übertragung der im digitalen Bereich üblichen Flatrate-Modelle auf die Autonutzung entstehen. Wie bei einem Handyvertrag könnten Autos zukünftig rein über Nutzungsverträge bezahlt werden, wobei sogar die Nutzung unterschiedlicher Fahrzeuge mit einem Vertrag denkbar wäre. Der Besitz eines eigenen Fahrzeugs hätte sich hiermit erübrigt. Promotet werden solche Ideen derzeit vor allem durch Newcomer-Firmen aus China oder dem Silicon Valley. Aber auch etablierte Marken wie Volvo oder Cadillac haben damit begonnen, Abo-Lösungen anzubieten.
Ein Mix unterschiedlicher Akteure
Dass sich die Automobilbranche und somit auch der Autohandel im Umbruch befinden, ist offensichtlich. Ebenso offensichtlich ist, dass die Autowelt in fünf oder zehn Jahren wesentlich anders aussehen wird als heute. Ein eindeutiger Trend, wie genau sie sich 2025 oder 2030 darstellen wird, ist bislang aber noch nicht erkennbar. Es wird wohl einen Mix unterschiedlicher Akteure und Kanäle geben. Große Autohandelsgruppen werden neben kleinen Händlern existieren, der Direktverkauf der Hersteller wird neben dem Vertrieb über unabhängige Internetplattformen stattfinden. Wichtig für alle Akteure, die überleben wollen, wird sein, Entwicklungen möglichst früh zu registrieren und zeitnah darauf zu reagieren. Am digitalen Autokauf wird man zukünftig nicht vorbeikommen. Am Wunsch der Kunden, ihr Fahrzeug vor dem Kauf persönlich in Augenschein zu nehmen, aber auch nicht. Michael Otterbein | redaktion@regiomanager.de
Teilen: