Produktion

Aus vielen Güssen

Gießereien haben Tradition – zum alten Eisen zählen sie damit aber noch lange nicht. Vielmehr setzt die Branche auf zahlreiche kleine Innovationen.

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von Regiomanager 01.05.2016
Mit Gießverfahren lassen sich komplexe Formen herstellen.

Die Bandbreite der Einsatzgebiete für Gusskomponenten ist enorm. Sie reicht von filigranen medizinischen Instrumenten und künstlichen Gelenken im menschlichen Körper bis hin zu tonnenschweren Bauteilen in Windkraftanlagen. „Die Energiewende wäre ohne Gusstechnik überhaupt nicht möglich“, sagt Heiko Lickfett, der beim Branchenverband BDG mit Sitz in Düsseldorf zuständig ist für die Bereiche Marktanalysen und Volkswirtschaft. In Europa ist Deutschland die Nummer eins: In keinem anderen Land werden mehr Gusserzeugnisse produziert als hier. Weltweit rangiert Deutschland auf dem fünften Platz (Stand 2014), knapp hinter Japan. Die ersten drei Plätze belegen China, die USA und Indien. Die Branche beschäftigt hierzulande in rund 600 Eisen-, Stahl- und Nichteisen-Metallgießereien ungefähr 80.000 Mitarbeiter. Börsennotierte Konzerne sind genauso vertreten wie kleinste Betriebe. „Die Gießerei-Industrie ist überwiegend mittelständisch strukturiert“, betont Lickfett. Rund 95 Prozent der Unternehmen beschäftigen bis zu 500 Mitarbeiter. Größere Betriebe machen folglich nur fünf Prozent der Gesamtbranche aus. Der größte Anteil der deutschen Gussproduktion entfällt auf Nordrhein-Westfalen: Mehr als 25 Prozent sind an Rhein und Ruhr versammelt. Besonders stark sind außerdem Hessen und Baden-Württemberg.

Top-Kunden:
Fahrzeug- und Maschinenbau

„Mit einem Anteil von nicht ganz einem Prozent an der Produktion des Produzierenden Gewerbes zählen die Gießereien zu den kleineren deutschen Industriezweigen“, so der BDG-Vertreter. Die wirtschaftliche Bedeutung der Branche ist aufgrund ihrer Zulieferfunktion jedoch weitaus größer. So gibt es innerhalb des auf Investitionsgüter spezialisierten Produzierenden Gewerbes kaum eine Branche, die nicht gegossene Komponenten verwendet. Ob Fahrzeug- oder Maschinenbau, die beiden Top-Kunden der Gießereien, ob Luftfahrtindustrie, Elektrotechnik oder Energietechnik – wenn auch nicht alles aus einem Guss ist, so doch vieles aus vielen Güssen. „Gerade im Maschinenbau sind Gusskomponenten prägende Elemente der Gesamtkonstruktion.“ Die Kooperation zwischen Gießern und Maschinenbauern ist entsprechend eng und unter anderem geprägt durch CAD-Datenverbund und Simulationstechniken zur Gussteiloptimierung. „Damit trägt die Gießerei-Industrie den gestiegenen Anforderungen an Innovationsfähigkeit und Hochtechnologieeinsatz des Maschinenbaus Rechnung“, so Lickfett.
Zu den besonders gussintensiven Produkten zählen beispielsweise Textilmaschinen, Industriearmaturen, Druckereimaschinen, Landtechnik und – last but not least – Gießereimaschinen selbst. Die Palette der eingesetzten Werkstoffe reicht von A wie Aluminium bis Z wie Zink. Innerhalb der verschiedenen Möglichkeiten zu Gießen (Sandguss, Druckguss, Kokillenguss, Schleuderguss etc.) dominieren zwei  Verfahren: der Sandguss, bei dem sogenannte verlorene Formen zum Einsatz kommen, und der Druckguss, der sich durch metallische Dauerformen auszeichnet. Vielfältig sind auch die möglichen Wege in die Branche. Technische Modellbauer gehören genauso dazu wie Glockengießer, deren Beruf eine sehr lange Tradition hat. Der „Klassiker“ ist die Ausbildung Gießereimechaniker/-in. Mehrere Hochschulen bieten ein entsprechendes Studium an, darunter die RWTH Aachen, die FH Düsseldorf und die Universität

Duisburg-Essen.
Problem der EEG-Umlage

Wo geht die Reise hin? „In den vergangenen Jahren hat sich der Trend bei den Endprodukt-Herstellern verstärkt, die eigene Fertigungstiefe zu reduzieren“, so Lickfett. „Beschränkte sich früher der Lieferumfang der Gießereien auf die geputzten, also von Angussteilen und Formsandresten befreiten Gussstücke, so konnte jetzt die eigene Fertigungstiefe erweitert werden.“ Das Vorgehen, fertig bearbeitete Teile anzubieten oder komplett einbaufertige Baugruppen zu liefern, setze sich immer mehr durch. „Das Selbstverständnis der deutschen Gießereien beinhaltet zudem, sich durch eigenständige Entwicklungsarbeit als Problemlöser für die Endprodukthersteller anzubieten. Im Idealfall entsteht so nicht nur eine Produktions-, sondern auch eine Entwicklungs- und Serienpartnerschaft zwischen Zulieferer und Abnehmer.“Drei Buchstaben machen der Gießerei-Industrie derzeit zu schaffen: EEG. Genauer gesagt ist es die mit diesem Erneuerbare-Energien-Gesetz verbundene Umlage, die energieintensive Branchen in besonderer Weise betrifft. „Das Problem ist, dass unsere Unternehmen keinerlei Alternative haben. Denn man braucht einfach einen bestimmten Energieeinsatz, um Metall flüssig zu machen“, sagt Heiko Lickfett. „Das ist Physik, daran können Sie nichts ändern.“ Die mittelständisch geprägten Industrieverbände, zu denen auch der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie, kurz BDG, gehört, fordern deswegen ein neues Finanzierungskonzept für die Förderung Erneuerbarer Energien: „Sie soll künftig nicht mehr auf den Strompreis aufgeschlagen, sondern aus Haushaltsmitteln finanziert werden.“Keine Angst zeigt die Branche vor dem Trendthema 3-D-Druck als mögliche Konkurrenz. Im Gegenteil, er gilt sogar als der neueste Trend innerhalb des eigenen Kompetenzbereichs: „Diese Technik findet in Gießereien bereits auf verschiedenen Ebenen statt“, weiß Heiko Lickfett. „Zum Beispiel im Bereich des Werkzeugbaus.“ Aber es gebe Grenzen, die von den Werkstoffen gesetzt würden. „Stand heute ist, dass man dafür ausschließlich mit Aluminium, Titan und Stahl arbeiten kann. Für die großen Mengen ist der 3-D-Druck in Metall kein Thema.“ Anders ausgedrückt: Der gedruckte Motorblock gehört ins Reich der Science-Fiction. Doch der Verbandsvertreter verschweigt die bereits bestehenden Möglichkeiten keineswegs. „Ich kenne den Fall aus der Luftfahrtindustrie, wo Treibstoffdüsen auf diese Weise hergestellt werden. Sie verfügen über eine ganz besondere innere Struktur, die mit keinem anderen Verfahren realisierbar wäre.“ In diesem speziellen Fall lohne sich das teure Drucken, denn die neuartigen Düsen sparen später Kerosin. „Hier wurde der Guss nicht ersetzt. Es handelt sich vielmehr um eine komplette Neukonstruktion auf Basis der Drucktechnik.“ Ansonsten aber ermögliche Gießen eine große Flexibilität und Komplexität, etwa im Vergleich zu den Möglichkeiten des Schmiedens. „Wir können uns auch weiterhin mit anderen Fertigungsverfahren messen“, so Lickfett.

Daniel Boss | redaktion@regiomanager.de

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Heiko Lickfett, Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (Foto: A. Bednareck)

Mit Gießverfahren lassen sich komplexe Formen herstellen.

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