Zur Veranschaulichung der Möglichkeiten des Business Model Canvas wählt Daniel Bartel eines der größten und bekanntesten Unternehmen der Welt: „Amazon.com verkaufte früher ausschließlich Bücher. Erst später kamen andere Waren hinzu. Es war der erste Sprung des Geschäftsmodelles der amerikanischen Firma.“ Amazon sei technologisch immer besser geworden, so das Vorstandsmitglied des Startup-Verbands NRWalley. „Bald wurden aus hunderten tausende Verkäufe pro Minute weltweit. Ständig wurde die eigene IT optimiert, neue Server angeschafft. Die IT-Abteilung schrieb eigene Programme zur Optimierung der IT-Infrastruktur. Bei einer SWOT-Analyse zur strategischen Planung wurde so schnell ersichtlich: Die Stärke des Unternehmens liegt in der IT. So wurde aus Amazon der führende Cloud-Service-Provider.“ Als weiteres Beispiel nennt Daniel Bartel Nespresso: „Wie kann man einen komplett gesättigten und starren Markt radikal verändern?“ So habe die entscheidende Ausgangsfrage gelautet. „Nespresso hat es geschafft, den Markt für Espresso neu zu definieren. Schweizer Haushalte geben nun 600 bis 800 Prozent mehr für den Espressokonsum aus. Nespresso revolutionierte durch Teilung der Value Proposition das Business Model für Espresso.“
Wichtig: Daniel Bartel behauptet nicht etwa, dass diese und andere Unternehmen (allein) durch das Business Model Canvas so erfolgreich geworden seien. „Womöglich haben sie es damals gar nicht angewendet.“
Er ist aber nach eigenen Worten fest davon überzeugt, dass das rund zwölf Jahre alte Tool nach wie vor zu den besten Methoden gehöre, um genau das zu schaffen: aus einer Geschäftsidee ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu entwickeln und zu visualisieren. Alle wesentlichen Elemente lassen sich damit in ein skalierbares System bringen – „und es wird schnell deutlich, ob die neue Geschäftsidee sinnvoll ist“. Startups, die gerade dabei sind, ihr Geschäftsmodell zu entwickeln, könnten mit dem Business Canvas verschiedene Varianten durchspielen und vergleichen. Aber auch „gestandene Mittelständler“ könnten ihre bestehenden Geschäftsmodelle weiterentwickeln und optimieren. „Und sie können sich mit dem Wettbewerb vergleichen.“ Die Methode ist so etabliert, dass sie laut Bartel einen Businessplan in der Frühphase ersetzen kann. Entwickelt wurde sie von dem Schweizer Alexander Osterwalder, mit dem Daniel Bartel immer wieder zusammenarbeitet.
Bestechende Einfachheit
Für viele bestechend ist die Einfachheit des Modells. Schon Schulklassen setzen sich mit ihm auseinander. Zu seiner Erstellung genügt ein quer gelegtes DIN-A4-Blatt. Das Canvas („Leinwand“) stellt jedes beliebige Unternehmen in neun mittels Quer- und Längsstrichen abgetrennten Feldern dar. Diese stehen für: Wertangebote, Kundensegmente, Kanäle, Kundenbeziehungen, Einnahmequellen, Partner, Ressourcen, Aktivitäten und die Kostenstruktur. Diese Felder gilt es nun nach und nach zu füllen. „Das Design war der geniale Streich von Alexander Osterwalder“, sagt Dr. Stefan Tewes, Professor für Digitale Transformation und Innovation an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Die Einfachheit der Anwendung habe sicher wesentlich zum großen und weltweiten Erfolg des Modells beigetragen. Wer bringe heute noch die Zeit und die Konzentration auf, sich durch einen 30-seitigen Businessplan zu arbeiten, fragt er leicht zugespitzt. „Ich kenne wenige Tools, die so zugänglich sind wie das Business Model Canvas.“ Tewes’ Kritikpunkte: „In seiner Grundstruktur enthält es keinerlei Trendeinflüsse oder gar eine Ausrichtung auf Innovation. Ich sehe also immer nur den Status quo, den es fast täglich zu aktualisieren gilt.“ Wie das Umfeld in drei Wochen oder gar drei Monaten aussehen könnte, verrate es nicht. „Seit der Erfindung des Tools hat sich die Welt natürlich in dramatischer Weise verändert – allein schon in den vergangenen zwei Jahren durch die Corona-Pandemie“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. „Diese Erkenntnisse fehlen natürlich in dem Modell.“ Gerade für KMU könne es seiner Ansicht nach aber weiterhin sinnvoll sein, sich das eigene Geschäftsmodell immer wieder vor Augen zu führen und „eine gemeinsame Sichtweise zu schaffen“, wie es Dr. Stefan Tewes nennt. Von zentraler Bedeutung für den tatsächlichen Nutzen sei die Akzeptanz aller Beteiligten: „Ich muss Bock darauf haben, mit Canvas zu arbeiten.“
Wöchentliche Aktualisierung
Daniel Bartel schlägt vor, das Canvas einmal wöchentlich zu aktualisieren, sodass es alle Abweichungen oder Neuentwicklungen widerspiegelt. Änderungen zur Vorwoche werden in Rot hervorgehoben. „Nachdem sich alle auf die Änderungen am Geschäftsmodell geeinigt haben, werden diese integriert , sodass das neue Canvas für die Woche entsteht – aus Rot wird Schwarz.
„Während der nächsten Woche werden alle neuen Änderungen wieder rot gekennzeichnet. Der Prozess wiederholt sich jede Woche.“ Der NRWalley-Vorstand kennt vor allem zwei Vorgehensweisen: Entweder wird das Tool im Rahmen eines Workshops verwendet (der Tage oder Woche dauern kann) oder es dient als „Dashboard“ bzw. „Cockpit“ bei der laufenden Entwicklung einer
neuen Produktidee.
Wenn es um einen völlig neuen Markt geht, stößt das Modell aber auch laut Canvas-Fan Bartel an seine Grenzen – einfach weil die nötigen Daten fehlen, um das Raster zu füllen. Für Dr. Stefan Tewes kann das Business Model Canvas ohnehin immer nur ein Werkzeug von vielen im Kasten sein. „Sich als Unternehmen allein darauf zu verlassen wäre unprofessionell.“
Daniel Boss | redaktion@regiomanager.de
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