Alte
und hilfsbedürftige Menschen haben in den meisten Fällen den großen
Wunsch, so lange wie irgend möglich in der eigenen Wohnung bleiben und
dort gepflegt zu werden. Die gewohnte Gemütlichkeit der privaten
Umgebung, die Erinnerungen an der Wand, die eigenen Möbel, mit denen
persönliche Geschichten verbunden sind – dies alles ziehen sie in der
Regel der Anonymität eines Krankenhauses oder der neuen Atmosphäre eines
Pflegeheims vor. Das ist nur allzu menschlich. Und genauso natürlich
ist es dann auch, dass die häusliche Pflege von Kranken und Senioren
zumeist durch deren nächste Angehörige erfolgt – auch hier so lange wie
irgend möglich und mit viel persönlichem Engagement, wenn der eigene
Beruf diese zusätzliche Aufgabe zulässt. Unterstützt werden die
pflegenden Angehörigen durch ein etabliertes System von
Pflegeversicherungen, welche dazu beitragen sollen, die besonderen
Belastungen in Pflegehaushalten aufzufangen. Vor dem Hintergrund der
weiterhin alternden Gesellschaft und jetzt schon 2,6 Millionen
pflegebedürftigen Menschen ist jedoch eine kontinuierliche Verschärfung
des viel diskutierten „Pflegenotstandes“ zu erwarten. Dies trifft in
besonderem Maße die pflegenden Angehörigen. Denn die Pflege erfolgt zu
rund 65 Prozent in den heimischen vier Wänden!
Pflege ist
überwiegend weiblich
Die Statistik verdeutlicht den
kontinuierlichen Anstieg der pflegebedürftigen Personen sehr
anschaulich, wobei Frauen mit mehr als 60 Prozent den deutlich größten
Anteil haben. Aber nicht nur bei den Pflegebedürftigen herrscht ein
überwiegender Frauenanteil, auch die Angehörigen, die oft neben der
eigenen Berufstätigkeit ein Familienmitglied pflegen, sind in der
Mehrzahl weiblich. Von 100 pflegenden Angehörigen sind 29 Töchter, 17
Schwiegertöchter, 16 Ehefrauen und sogar zwei Mütter im heimischen
Einsatz. Die Zahl der männlichen Pfleger sowie sonstigen Verwandten,
Freunde, Bekannten und Nachbarn liegt bei 36 Personen, also nur bei rund
einem Drittel. Auf die besondere Situation dieser zumeist sehr
engagierten, aber wenig professionalisierten Personengruppe privater
Pflegekräfte weist der aktuelle „AOK-Pflege-Report 2016″ hin. Die
überraschende Erkenntnis der Studie: Trotz der emotionalen
Herausforderungen und extremen Belastungen, die in vielen Haushalten mit
pflegebedürftigen Angehörigen in Deutschland vorherrschen, nehmen viele
die Möglichkeiten und Hilfsleistungen der Pflegekassen nicht in
Anspruch. Die Gründe hierfür liegen nicht nur im persönlichen
Pflichtgefühl oder der Scham der pflegenden Angehörigen begründet.
Vielmehr werden in vielen Fällen zu hohe Kosten und organisatorische
Hürden als Hinderungsgründe genannt. Daher fordert der
AOK-Bundesverbands-Vorsitzende Martin Litsch: „Die Pflegeversicherung
hat sich bewährt. Aber wir müssen ihre Leistungen noch einfacher und
flexibler gestalten.“
Der Pflegemarkt wächst
Der
„Pflegemarkt“ wächst seit Jahren kontinuierlich. Wies das Statistische
Bundesamt für das Jahr 2013 noch 12.700 ambulante Pflegedienste aus, so
ist ihre Zahl mittlerweile auf über 14.300 angewachsen. Im Durchschnitt
gibt es im Monat rund 50 neue Pflegedienste in Deutschland, wobei sich
die Konkurrenzsituation zwischen Stadt und Land deutlich unterscheidet.
Dabei sind weit mehr als 10.000 Pflegedienste privatwirtschaftlich
organisiert. Rund 3.500 Pflegeangebote sind in gemeinnütziger
Trägerschaft, während es bei der ambulanten Pflege so gut wie keine
kommunalen Angebote gibt. Mit einem monatlichen Gründungs- und
Insolvenzradar bietet die Internetplattform „pflegemarkt.com“
beziehungsweise „pflegedatenbank.com” einen laufenden und sehr
detaillierten Überblick über dieses sehr dynamische Marktsegment: „Der
ambulante Sektor in der Pflegebranche ist mit einem Marktvolumen von
12,3 Milliarden Euro pro Jahr einer der bedeutendsten Segmente im
Gesundheitsmarkt. Zunehmend interessieren sich nationale und
internationale Investoren für diesen stark wachsenden Arm der Pflege“,
sagt Sebastian Meißner, der als Autor ständig die Pflegedatenbank des
Online-Portals auswertet und kommentiert. Die Bedeutung der Branche wird
auch bei der Entwicklung der Mitarbeiterzahlen deutlich. Arbeiteten im
Jahr 2013 noch rund 230.000 Menschen bei einem ambulanten Pflegedienst,
so ist diese Zahl inzwischen auf mehr als 300.000 Pflegerinnen und
Pfleger angewachsen, so die Analyse von „pflegedatenbank.com“. Sie
betreuen in Deutschland aktuell rund 1,25 Millionen Pflegebedürftige,
das ist eine Steigerung um rund 55.000 Menschen im Vergleich zum
Vorjahr. „Voraussichtlich wird sich diese Entwicklung fortsetzen und
verschärfen. Das größte Problem dieser Tendenz stellt aktuell der
Fachkräftemangel in der Pflegebranche dar“, weist Sebastian Meißner auf
die größte aktuelle Sorge der Pflegeunternehmen hin. Während sich der
Markt auf der Nachfrageseite sehr positiv entwickelt, stellt sich die
Frage, ob er den gesellschaftlichen wie auch den eigenen Ansprüchen an
eine professionelle und qualitätsvolle Pflege auch künftig mit der
nötigen Menge an gut ausgebildeten Fachkräften begegnen kann. Um diesem
Ziel entsprechen zu können, verkündete Andreas Westerfellhaus, Präsident
des Deutschen Pflegerates, erst im März zur Eröffnung des Deutschen
Pflegetags 2016: „Endlich ist das Pflegeberufegesetz auf den Weg
gebracht. Das ist eine gute Nachricht für die professionell Pflegenden,
denn damit wird ihre Arbeit deutlich aufgewertet.“ Das Gesetz soll eine
neue Ausbildungsstruktur mit besseren Karrierechancen und einer
angemesseneren Bezahlung bringen, besonders in der Altenpflege.
Regionale und
heterogene Struktur
Bleibt zu hoffen, dass neben den
Pflegebedürftigen insbesondere die Vielzahl der kleinen und
Kleinstbetriebe davon profitieren kann, die mit bis zu 20
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Schwerpunkt der Branche bilden.
Die deutsche Pflegedatenbank führt rund zwei Drittel aller
Pflegeanbieter in dieser Kategorie, doch allmählich verschieben sich die
Anteile. Prozentual wachsen die Pflegebetriebe. Dass es sich bei der
Pflege um einen sehr heterogen, regional strukturierten Markt handelt,
wird deutlich, wenn man sieht, dass die größten zehn Pflegedienste in
Deutschland gerade einmal zwei Prozent des gesamten Volumens abdecken.
Gegenwärtig größter Pflegedienst in Deutschland ist die Bonitas Holding
in Herford mit rund 2.500 Pflegekräften an 45 Standorten. Sie hat sich
bei ihren rund 2.400 Patienten auf den Bereich Intensivpflege und
Heimbeatmung spezialisiert und erzielte zuletzt einen Umsatz (ambulant)
von 170 Millionen Euro. Zweitgrößter ambulanter Pflegeanbieter ist die
Münchener Deutsche Fachpflege Holding GmbH mit 21 Standorten und 110
Millionen Euro Umsatz, gefolgt von der Renafan GmbH mit Hauptsitz in
Berlin und 75 Millionen Euro Umsatz an 23 Standorten in Deutschland.
Emrich Welsing I redaktion@regiomanager.de
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