Ray Dalio gründete seine Investmentfirma Bridgewater Associates 1975 mit gerade mal 26 Jahren. Heute gelten die Bridgewater-Fonds als die erfolgreichsten der Welt. Allein der Fonds Bridgewater Pure Alpha II verwaltet etwa 50 Milliarden US-Dollar, etwa dieselbe Summe steckt in zwei weiteren Bridgewater-Fonds. Ray Dalios Vermögen betrug im Frühjahr 2021 rund 17 Milliarden Euro. Anders als etwa Warren Buffett setzt Bridgewater nicht nur auf Einzelaktien, sondern streut das Investment über verschiedenste Vermögensklassen in bis zu 20 miteinander nicht zusammenhängenden Märkten. Das verwaltete Vermögen bei Bridgewater liegt etwa zehnmal höher als bei den meisten Hedgefonds-Firmen. Ein einzigartiger Erfolg, der sogar viele Pensionsfonds dazu brachte, bei Dalios Firma zu investieren.
Totale Überwachung
Einzigartig erscheinen auch Ray Dalios Management-Methoden. Bei Bridgewater bewerten alle Mitarbeiter über iPads und ein internes Feedback-Portal namens Dot Collector bei Besprechungen kontinuierlich die Wortbeiträge der anderen. So kann zwar auch eine frische Uni-Absolventin den Firmenlenker kritisieren, wenn sie findet, dass er etwa schlecht vorbereitet ist. Das würde sie sich vielleicht in einem anderen Unternehmen sicherlich nicht trauen. Allerdings sorgt ein Algorithmus auch dafür, dass der Glaubwürdigkeits-Score erfahrener Manager höher ist. Deren Bewertungen werden also stärker gewichtet, wenn dann am Ende abgestimmt wird. Bei Bridgewater werden alle wichtigen Anlageentscheidungen auf diese Weise getroffen. „Die Konsensmeinung ist ja schon im Markt eingepreist“, sagt Dalio. „Um den Markt zu schlagen, brauchen wir unabhängige Denker.“ Alle Besprechungen und fast jedes Gespräch werden aufgezeichnet und jedem der etwa 1.500 Mitarbeiter im Intranet zugänglich gemacht. Wer auf diesem Weg dabei erwischt wird, Kollegen hinter deren Rücken zu kritisieren, fliegt. Die totale Überwachung ist in Dalios Bestseller „Principles“ beschrieben, den jeder Bridgewater-Beschäftigte erhält. So wird sie auch praktiziert.
Ideen-Meritokratie
Ray Dalio hat Mexikos Staatsbankrott Anfang der 80er-Jahre prophezeit und sprach darüber sogar vor dem US-Kongress. Falsch lag er allerdings mit der Prognose einer anschließenden Weltwirtschaftskrise und seinen Investments, die er auf dieser Annahme gegründet hatte. Er stand vor der Pleite und musste alle Mitarbeiter entlassen. Seitdem ist sein ganzes Streben darauf gerichtet, keine falschen Entscheidungen zu treffen, wie er in „Principles“ beschreibt:
1.
Prinzipien sind der ultimative Weg, die Welt so zu sehen, wie sie ist, nicht, wie man sie gerne hätte. Er erlegte sich auf, grundsätzlich rational statt emotional zu denken. Ihn trieb die grundsätzliche Frage um: „Wie kann ich wissen, dass ich recht habe?“ Daraus leitete Dalio ab:
2.
Zwei der wichtigsten Prinzipien sind radikale Wahrhaftigkeit und Transparenz. Nur so werden in einem Unternehmen Fehler grundsätzlich aufgedeckt, diskutiert und Konsequenzen aus ihnen gezogen, statt unter den Teppich gekehrt zu werden. Daraus leitet Dalio ab:
3.
Die besten Unternehmen sind Ideen-Meritokratien, also Orte, an denen die besten Ideen gewinnen. Also: permanente Reflexion und Selbstkorrektur statt falscher Glaubenssätze, die schwer revidierbar und schädlich seien, wie der österreichische Digitalisierungsexperte und Gründer Michael Hirschbrich über die „Principles“ zusammenfasst. Diese Kultur der Offenheit lege natürlich Schwächen offen, aber „die meisten hassen es, auf ihre Schwächen aufmerksam gemacht zu werden“. Nur Menschen mit der richtigen DNA seien dankbar, Schwächen erkennen und ausmerzen zu können. Erfolglose Menschen dagegen würden nicht wachsen wollen.
Unbarmherziges Betriebsklima
Wer bei Bridgewater nicht die erwartete Leistung bringt, muss ständig mit seiner Kündigung rechnen. Dalio sagt: Der psychische Schmerz, den seine Mitarbeiter bei Fehlern empfinden, treibe sie dazu an, besser zu arbeiten. Abgesehen vom harten Betriebsklima scheint es bei Bridgewater teilweise wie in einer Sekte zuzugehen, bei der jedes Detail auf Dalio ausgerichtet sei. In den ersten anderthalb Jahren kündigt ein Viertel aller Mitarbeiter. Der frühere Apple-Manager Jon Rubinstein hielt es nur zehn Monate als Co-Chef von Bridgewater aus. Wer aber den Druck aushält, kann wohlhabend werden.
Algorithmus für alle
Ray Dalio, der nicht mehr als CEO, sondern nur noch als CIO und „Mentor“ auftritt und sich langsam zurückzieht, will den Bewertungs-Algorithmus interessierten Unternehmen weitergeben. Ob Organisationen schon nach Dalios Prinzipien arbeiten, ist unbekannt, aber die Investmentbanken JPMorgan Chase und Goldman Sachs sollen ein ähnliches Tool eingeführt haben. Der Wirtschaftspsychologe Professor Dr. Uwe Kanning spottet: „Zu Dalios Geboten gehören u.a. tiefschürfende Erkenntnisse wie: ‚Suche nach Menschen, die glitzern‘, ‚Akzeptiere keine Schlechtheit‘, ‚Sei bereit, die Leute zu erschießen, die du liebst.‘ In stiller Demut verneigen wir unser Haupt vor so viel Weisheit.“ Professor Kanning ist nicht überzeugt, dass der Erfolg von Bridgewater tatsächlich auf die „Principles“ zurückgeht, denn es gebe sehr erfolgreiche Unternehmen, die die Regeln von Dalio weder kennen noch umsetzen. Diese Regeln stellten also keine notwendige Bedingung für Erfolg dar. „Für mich steht das Ganze in der Tradition amerikanischer Management-Ratgeberliteratur, bei der ein erfolgreicher Unternehmer ein Buch schreibt, um sich selbst als Vorbild oder gar Held zu stilisieren. Dabei wird naiv davon ausgegangen, dass sich der Erfolg in jeder beliebigen Branche und unter jedweden Bedingungen immer einstellen würde, wenn man nur dem Vorbild folgt.“ Es passt ins Bild, dass Dalio kürzlich einen Psychotest – „Laientest“ in Professor Kannings Worten – entwickelt hat. Danach sind die Menschen in 28 Persönlichkeitstypen einzuteilen. Er selber sei ein „Shaper“ (Gestalter) wie auch Elon Musk oder Bill Gates, ließ sich Dalio vernehmen. Eingereiht bei den Ultra-Erfolgreichen lässt es sich besser am eigenen Denkmal werkeln.
Zuletzt wenig Fortüne
Im Krisenjahr 2020 hatte Bridgewater allerdings wenig Fortüne und konnte in den vergangenen Jahren in Bezug auf Ertrag und Risiko nicht überzeugen. „Wir haben den Marktrückgang im Zuge der Corona-Pandemie nicht gesehen, das ist die Realität“, gab Dalio zu. Die Strategie der Fehlervermeidung scheint nicht aufzugehen: „Dalio und sein Flaggschiff-Fonds Pure Alpha produzieren seit zehn Jahren magere Renditen. In den vergangenen fünf Jahren waren diese Renditen besonders armselig“, schreibt etwa der Analyst Dr. Gerd Kommer. Der Lack am Denkmal des Management-Gurus hat Kratzer bekommen.
Claas Möller | redaktion@regiomanager.de
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