Fast drei Jahre Austrittsverhandlungen und kein Ende in Sicht? Am 30. März 2019 endete die Frist, die in Artikel 50 des EU-Vertrages für die Austrittsverhandlungen vorgesehen ist. Wird bis zum Auslaufen der Verlängerung zum 12. April kein Abkommen verabschiedet, heißt es: harter oder auch ungeregelter Austritt aus der Europäischen Union für das Vereinigte Königreich. Nach fast drei Jahren Verhandlungen ist nach wie vor nicht absehbar, wie der „Wirtschaftskrimi“ im Vereinigten Königreich ausgeht. Die grundlegende Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen, fiel bereits beim Referendum am 23. Juni 2016. Für viele Menschen in Europa eine zunächst überraschende und dann schnell polarisierende Entscheidung – kein Wunder, denn auch die Einstellung der Inseleuropäer selbst war durchaus geteilt. Der Entscheid war mit 51,9 Prozent eindeutig, aber dennoch stimmte mit 48,1 Prozent fast die Hälfte der Bevölkerung gegen den Austritt und damit für den Verbleib in der EU. Am 29. März 2017 hat das Vereinigte Königreich die Europäische Union dann formell über ihre Austrittsabsicht informiert.
Die EU – ein Rückblick
Bereits seit den 1950er-Jahren gibt es sie: die Europäische Union. Als europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von sechs Staaten gegründet, hat sie heute 28 Mitgliedsstaaten und mehr als eine halbe Milliarde Einwohner. Mittlerweile ist der EU-Binnenmarkt gemessen am Bruttoinlandsprodukt der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Erde. Das Vereinigte Königreich trat bereits 1973 im Rahmen der ersten Norderweiterung bei. Und nach wie vor wollen Staaten dazugehören; so reichten Bosnien und Herzegowina im Februar 2016 den Beitrittsantrag ein.
Seit der Finanzkrise im Jahr 2007, die in teilweise hohen Staatsschuldenständen endete, gibt es jedoch auch immer mehr EU-Skeptiker. So wurden im Vertrag von Lissabon 2007 auch Austrittsszenarien geregelt. Nach Artikel 50 des EU-Vertrages kann jeder Mitgliedsstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten. Und genau von diesem Recht machten die Briten Gebrauch. Aber mit dem Entschluss an sich ist es nicht getan, wie die letzten drei
Jahre zeigen.
Ja zum Austritt – aber was jetzt?
Die Entscheidung zum EU-Austritt war im Juni 2016 abgeschlossen, die Verhandlungen allerdings begannen erst dann. David Cameron trat als Premierminister zurück. Theresa May nahm seine Stelle ein. Jetzt galt es, ein Austrittsabkommen mit der EU zu verhandeln. Bis zu zwei Jahre sieht Artikel 50 des EU-Vertrages dafür vor.
Nach intensiven Verhandlungen ist es dann gelungen: Die Europäische Kommission und die britische Regierung haben sich am 18. November 2018 auf ein Austrittsabkommen geeinigt. Zentrale Elemente waren die Verlängerung der Übergangsphase, die eigentlich mit Ablauf des Jahres 2020 endet, sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs während dieser Phase. Nur für diese Zeit erhält das Vereinigte Königreich weiterhin Zugang zum Binnenmarkt und kann an der Zollunion teilnehmen. Der Europäische Gerichtshof ist dem Abkommen zufolge weiterhin für alle Verfahren zuständig, die während der Übergangsphase von oder gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet werden, und seine Entscheidungen sind
dort verbindlich.
So weit, so gut – Grund zum Optimismus? Weit gefehlt. Denn im Januar dieses Jahres hieß es 432 Nein-Stimmen zu 202 Ja-Stimmen: Das Unterhaus in London lehnte den Vertrag von Mays Regierung mit Brüssel zum ersten und nicht zum letzten Mal ab (siehe Kasten). Was jetzt? Tritt innerhalb der zwei Jahre kein Austrittsabkommen in Kraft, das einen sogenannten „weichen Brexit“ ermöglichen würde, finden die Europäischen Verträge auf das Vereinigte Königreich keine Anwendung mehr – dies soll (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses am 4.April 2019) am 12. April 2019 der Fall sein. Die Frist kann der Europäische Rat allerdings einstimmig im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich verlängern. Ohne Abkommen würde es zu einem „harten“, also ungeregelten Ausscheiden der Briten aus der EU kommen. Was würde das bedeuten? Sämtliche Übergangsregelungen würden nicht gelten.
Auswirkungen auf die Wirtschaft
Was wären die wirtschaftlichen Folgen für die verbleibenden Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland? Auch hier sind die Aussichten unklar, die Experten uneinig. Würde Großbritannien die EU verlassen und dennoch Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum bleiben, könnten sich Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital weiterhin frei zwischen der EU und Großbritannien bewegen. Wenn zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und Großbritannien allerdings erneut Zölle eingeführt würden, könnte das negative Auswirkungen auf den Export von Waren aus den verbleibenden Mitgliedsstaaten nach Großbritannien haben. Darunter könnte u.a. auch die deutsche Autoindustrie leiden. Denn Großbritannien ist der drittwichtigste Handelspartner für deutsche Exporte. Es ist wahrscheinlich, dass Großbritannien nach einem EU-Austritt keinen Einfluss auf wirtschaftspolitische Entscheidungen oder gemeinsame Standards haben wird.
Würde, hätte, könnte – sicher ist auf jeden Fall, dass die EU mit Großbritannien einen wichtigen Netto-Zahler verlieren wird: 2014 war das Land der drittgrößte EU-Nettozahler nach Deutschland
und Frankreich.
Und dann wäre da auch noch die Frage der Grenze zu Nordirland. Im Fall eines harten Brexits läge das Land hinter einer harten EU-Außengrenze, die den EU-Binnenmarkt als offene, unkontrollierte Grenze gefährden könnte.
Beim letzten Besuch von Premierministerin Theresa May schienen die Fronten auch nach drei Jahren verhärteter als je zuvor: May will die von ihr selbst zugesagte und unterschriebene unbefristete Garantie für eine ungeteilte und grenzfreie irische Insel nun doch begrenzen. Doch die EU will sich aus besagten Gründen nicht auf eine Begrenzung einlassen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab sich auf ARD-Nachfrage im Landtag von Baden-Württemberg eher wenig optimistisch, dass man sich bald einigen würde. Er glaube nicht, dass man „zu Potte“ komme. Einem britischen Antrag auf Verlängerung der Brexit-Frist würde aber keiner der 27 Mitgliedsstaaten widersprechen, so seine Einschätzung.
Brexit – eine „Never-ending Story“? Zurzeit scheint es zumindest so, als würde es im britischen „Wirtschaftskrimi“ noch eine Fortsetzung geben. Verena Bittelbrunn |
redaktion@regiomanager.de
PS: Weitere Meldungen zum Thema Brexit lesen Sie in dieser Ausgabe in
unserer Serie „Unternehmenspraxis“.
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