Management

Prokrastination: Der frühe Vogel kann mich mal

Was steckt dahinter, wenn wir Aufgaben vor uns herschieben oder sie erst unter massivem Zeitdruck erledigen?

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von Regiomanager 07.11.2018
(Foto: © JDB – stock.adobe.com) | Barbara Bocks

Keine Lust, morgen ist auch noch ein Tag, gut Ding braucht Weile … Jeder kennt das: Manche Aufgaben verschiebt man auf den nächsten Tag oder in die nahe bis sogar ferne Zukunft. Auch Unternehmer und Manager können sich davon nicht freisprechen. So fordert beispielsweise erst die Jahresbilanz den Unternehmer dazu heraus, neue Marketingaktivitäten persönlich zu forcieren oder die Mitarbeiter mit einem neuen Aufgabenkonzept zu konfrontieren, obwohl der Gedanke daran schon länger brachlag. Braucht der Manager den akuten Zeitdruck, um die angefragte PowerPoint-Präsentation tatsächlich fertigzustellen, oder ist er einfach nur faul? ‚Aufschieberitis‘ sagt der Volksmund, von ‚Prokrastination‘ spricht die Wissenschaft.
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ein Dopaminmangel im Gehirn dazu führt, dass unsere Motivation nur schwach ausgeprägt ist und wir uns deshalb nur sehr langsam motivieren können, bestimmte Aufgaben in Angriff zu nehmen. Dopamin wird gemeinhin als Glückshormon bezeichnet, das Impulse an das Gehirn sendet. Gerade im studentischen Umfeld erfährt die Prokrastination ein besonderes Interesse, da viele Studenten unter der Aufschieberitis leiden. Daher bieten viele Universitäten ihren Studierenden psychologische Unterstützung an. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz und Mitglied im Koordinationsausschuss des FSP Medienkonvergenz, Universitätsprofessor Dr. Manfred Beutel, berichtet über seine Studienergebnisse: „Die Repräsentativ-erhebung zeigte, dass Menschen, die Tätigkeiten häufig aufschieben, seltener in Partnerschaften lebten, häufiger arbeitslos waren und über ein geringes Einkommen verfügten. Betroffen waren vor allem junge Männer. Schüler und Studierende prokrastinierten dabei häufiger als ihre berufstätigen oder in einer Ausbildung befindlichen Altersgenossen. Die Studie bestätigt, dass ausgeprägtes Aufschiebeverhalten von wichtigen Tätigkeiten mit Stress, Depression, Angst, Einsamkeit und Erschöpfung einhergeht. Insgesamt war bei Prokrastination auch die Lebenszufriedenheit verringert.“ Dabei fragen sich die Prokrastinierer kaum, welche Ursachen hinter den negativen Gefühlen liegen. So sind Leistungsanforderungen auch immer mit Versagensängsten verknüpft oder die eigenen Erwartungen sind zu ehrgeizig, die Ziele unrealistisch.

Komplexes Verhaltensmuster

Prokrastination umschreibt der Psychologe Dr. Johannes Hoppe, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, als bewusstes, aber irrationales Verhalten: „Ich habe eine Aufgabe, die ich eigentlich erledigen möchte, aber ich entscheide mich dennoch bewusst dagegen. Dabei weiß ich, dass das falsch ist und dass dadurch Probleme entstehen.“ In einer Studie ist er der Frage nachgegangen, ob Prokrastination eine Charaktereigenschaft von Studierenden ist oder ob äußere Umstände sie dazu verleiten, Abgabefristen zu vertrödeln. Die dahinterliegende These lautete: „Je unklarer eine Aufgabe und der Lösungsweg sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass prokrastiniert wird.“ Im Rahmen dieser Studie wurden rund 100 Studierende befragt, ob ihnen das Erkenntnisziel ihrer Arbeit klar war und ob ihnen die Schritte, um das Ziel zu erreichen, bekannt waren. Das Fazit: In der Auswertung der Ergebnisse zeigte sich, dass vorgegebene Ziele nicht mit Prokrastinationsverhalten, jedoch mit einem verringerten Engagement zusammenhängen. „Je unklarer den Teilnehmern die Aufgabenstellung erschien, desto häufiger prokrastinierten sie und desto weniger engagiert waren sie bei der Sache“, fasst Hoppe zusammen. Dabei sieht der Wissenschaftler die Verantwortung diesbezüglich nicht ausschließlich bei den Lehrenden. „Sich selbst Klarheit zu verschaffen ist eine wichtige und notwendige wissenschaftliche Fertigkeit. Es kann also auch nicht darum gehen, den
Studierenden alles vorzugeben.“

Zielvereinbarungen mit Mitarbeitern

Auch wenn sich diese Studie konkret auf das Arbeitsverhalten von Studierenden bezieht, lassen sich allgemeine und für das Unternehmertum wichtige Schlussfolgerungen daraus ziehen: Wenn die Aufgabenstellung im Vorfeld relativ konkret gefasst war und die Zwischenstände in regelmäßigen Abständen präsentiert werden konnten, war die Aufgabe zielstrebiger zu erledigen.
Für Brigitte Mohn vom Vorstand der Bertelsmann-Stiftung sollten sogar die Unternehmen eingreifen, damit die Mitarbeiter ein gesundes Arbeitsumfeld vorfinden. „Das Management kann die Leistungskultur maßgeblich beeinflussen und durch realistische Arbeitsziele ein gesünderes Arbeitsumfeld schaffen“, sagte Mohn laut Mitteilung zu einer Studie der Stiftung zum Thema Stress am Arbeitsplatz. Danach berichten 42 Prozent der befragten Mitarbeiter, dass das Arbeitsumfeld durch die Erwartung an steigende Leistungsziele geprägt werde. Jeder Dritte weiß demnach nicht, wie er den Ansprüchen gerecht werden soll. Dazu kommt noch der Teufelskreis, dass die Messlatte sofort noch höher angesetzt wird, wenn einmal hohe Ziele erreicht wurden – die bilden dann nämlich den neuen Maßstab. Des Weiteren stimmten 51 Prozent der Aussage zu, keinen oder nur geringen Einfluss auf ihre Arbeitsmenge zu haben. Mehr 40 Prozent bestätigen diesen Eindruck auch in Bezug auf ihre Arbeitsziele. Als Lösungsansatz gilt es auch hier, zusammen mit dem Mitarbeiter verbindliche und realistische
Zielvereinbarungen zu formulieren.

Die gute Seite

Prokrastination bedeutet allerdings auch, dass man im Joballtag auch mal den Akku laden kann. Denn wer prokrastiniert, setzt darüber hinaus auch Prioritäten. Der ehemalige Investmentbanker und Professor der Universität San Diego Frank Partnoy plädiert in seinem Buch sogar für die Verzögerungstaktik nach dem Motto: Der frühe Vogel bekommt zwar den Wurm, aber die zweite Maus den Käse … Kurz: Ein Trend sollte erst in seiner ganzen Komplexität erfasst und durchdrungen werden, statt ihm einfach hinterherzuhecheln. Seine Formel für Strategieentscheidungen lautet: observe – orient – decide – act (Beobachten, Orientieren, Entscheiden, Handeln). Barbara Bocks
| redaktion@regiomanager.de

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