Die digitalen Pioniere des Silicon Valley unterscheiden sich nicht unbedingt durch bahnbrechend innovative Technologien von deutschen Mittelständlern, sondern vielmehr durch ihre innovativen Managementmethoden – wie etwa Scrum, OKR oder Design Thinking. Denn bei der Digitalisierung geht es nicht nur um Technik, sondern um eine tief greifende Veränderung von Unternehmenskulturen.
Das „Agile Manifest“ setzte einen Anfang
Begonnen hat der Trend zu einer neuen Art der Unternehmensorganisation wie so vieles in der Softwarebranche. Dort zeigte sich früh, dass straffe Prozessvorgaben und enge Arbeitsregeln oft zu schlechten Ergebnissen führten, da auf unvorhergesehene Entwicklungen nicht reagiert werden konnte. So gab es immer wieder Projektergebnisse, die zwar nach Plan entstanden, aber niemanden zufriedenstellten. Um Softwareentwicklung leichter und effizienter zu machen, verfassten daher 17 renommierte Entwickler im Jahr 2001 das „Manifesto for Agile Software Development”, das sogenannte Agile Manifest, in dem sie forderten, mehr Wert auf ein optimales Ergebnis als auf die Einhaltung von Projektplänen zu legen. Dabei sollten Menschen und Interaktionen wichtiger sein als Prozesse und Werkzeuge und das Reagieren auf Veränderungen wichtiger als das Festhalten an einem Plan. Nur auf diese Weise könne man das volle Potenzial der Teammitglieder ausschöpfen. Denn durch allzu enge Handlungsvorgaben werde die Kreativität unterdrückt und durch das Unterbinden von Kommunikation unter den Beteiligten verhindere man potenzielle Innovationen.
„Fail often, fail early“
Um das agile Denken in die Tat umzusetzen, bedarf es allerdings ebenfalls Methoden und Werkzeuge, die schon bald von Vorreitern der neuen Arbeitsorganisation entwickelt wurden. Drei bekannte agile Methoden sind Scrum, Kanban und Design Thinking, die inzwischen auch in einigen deutschen Unternehmen Anwendung gefunden haben. Design Thinking geht auf den amerikanischen Designer und Innovationsberater David Kelley zurück. Es handelt sich vor allem um eine Methode zur Förderung innovativer Denkansätze zur Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsfelder. Grundidee ist es, die Welt durch eine vorurteilsfreie „neue Brille“ zu betrachten, um ohne Selbstbeschränkung zu innovativen Ergebnissen zu kommen. Entsprechend der agilen Denkweise geht es darum, so weit wie möglich ohne Angst vor Fehlern zu handeln. Entsprechend dem Motto „Fail often, fail early“ sollen neue Wege so schnell wie möglich ausprobiert werden. Design Thinking-Teams sind idealerweise heterogen aus Mitgliedern unterschiedlichen Alters, Geschlechts und beruflichen Hintergrunds zusammengesetzt und orientieren sich nicht an Abteilungsgrenzen.
Teams als selbstorganisierende Einheiten
Eine weitere klassisch agile Methode ist Scrum, was sich vom englischen Wort „Gedränge“ ableitet. Diese Projektmanagementmethode geht auf ein im Jahr des Agilen Manifests erschienenen Buch der Amerikaner Ken Schwaber und Mike Beedle zum Thema „agile Softwareentwicklung“ zurück. Scrum betrachtet Teams als selbstorganisierende Einheiten. Um den Prozess trotz hoher Freiheitsgrade effizient zu gestalten, werden allerdings wichtige Rollen im Rahmen des Teams festgelegt. Dabei sollen die Teams idealerweise drei bis neun Mitglieder haben – allerdings keinen klassischen Projektleiter, sondern einen Scrum Master, der vor allem eine moderierende Funktion hat und das Team nach außen vertritt. Auf die Produktergebnisse achtet der Product Owner. Er sammelt die Anforderungen in Product Backlogs und hält Kontakt zu den Stakeholdern – zu denen Personen wie Kunden, Mitarbeiter des Unternehmens oder auch Manager zählen. Wie bei Design Thinking wird bei Scrum iterativ, also wiederholend, vorgegangen. Entwicklungsschritte werden in meist zwei oder vier Wochen dauernden Sprints durchgeführt. Genügen die Ergebnisse nicht, geht es in eine Wiederholungsphase. Damit alle Teammitglieder stets im Bilde sind, gibt es zu Beginn jedes Arbeitstages ein 15-minütiges Daily Scrum Meeting. Aufgrund der freien und zugleich klaren Struktur ist Scrum ein sehr effektiver Ansatz, der sich leicht mit anderen Tools wie dem Kanban-Board oder Design Thinking kombinieren lässt.
Arbeitsfortschritte transparent machen
Eine gute Möglichkeit, größtmögliche Transparenz in Projekte zu bringen, ist das bereits 1947 vom japanischen Managementexperten Taiichi Ono für den Automobilkonzern Toyota entwickelte Kanban-Board. Auf der Tafel (japanisch „kanban“) werden Aufgaben in die Kategorien „zu tun“, „in Arbeit“ und „erledigt“ eingetragen. Für die Bearbeitung der Einzelaufgaben werden klare Verantwortlichkeiten definiert und Erledigungszeiten festgelegt. Damit der Arbeitsfortschritt im Fokus bleibt, versammelt sich das Team in regelmäßigen, kurzen Abständen, am besten täglich, vor dem Board, um den aktuellen Stand zu besprechen. Auf diese Weise kommt größtmögliche Transparenz in das Projekt und Ressourcen werden optimal eingesetzt.
Synthese von Führung und Agilität
Ein Instrument, Teamergebnisse mit der übergeordneten Unternehmensstrategie zu koordinieren, ist das moderne Managementsystem Objectives and Key Results (OKR). Dabei sind Objectives qualitativ und klären, welche Zielvision ein Unternehmen oder ein Team hat, während Key Results festlegen, was konkret dafür getan werden muss und messbare Zahlen enthalten sollen. Alle drei Monate sollen die OKR für das gesamte Unternehmen neu formuliert werden, sodass Unternehmenseinheiten und Teams ihre Teilziele davon ableiten können. Mit der OKR-Methode soll im Unternehmen Klarheit über die wichtigsten Aufgaben erreicht werden, sodass für die nächsten drei Monate der richtige Fokus gefunden und knappe Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden können. Auch über Objectives and Key Results wird also eine größtmögliche Transparenz und eine offene Kommunikation im Unternehmen angestrebt. Dabei sollen OKR nicht als Einbahnstraße von oben nach unten funktionieren, sondern bewusst Austausch in beide Richtungen ermöglichen.
Veränderung ist mehr als Technik
Die Managementmethode Objectives and Key Results wurde bereits Ende der 90er-Jahre bei Google entwickelt und wird heute von großen amerikanischen Tech-Unternehmen wie LinkedIn oder Twitter eingesetzt. In Deutschland sind es meist Unternehmen der IT- und Kreativbranche, die sich mittels OKR organisieren oder auch Scrum, Kanban oder Design Thinking anwenden. Dagegen scheinen traditionellere Branchen sich noch weit weniger mit agilen Methoden identifizieren zu können, auch wenn häufig verbreitete PR-Botschaften das Gegenteil signalisieren. Wie im Technikland Deutschland zu vermuten, ist sich laut einer Bitkom-Studie die Mehrheit der deutschen Unternehmen einig, dass sie um die Digitalisierung nicht herumkommt. Sehr häufig ist die Digitalisierung von Arbeitsprozessen auch bereits in den Unternehmensstrategien verankert – wenn auch hier in verschiedenen Branchen unterschiedlich stark ausgeprägt. Übersehen wird dabei allerdings, dass es bei der Digitalisierung nicht nur um Technik geht, sondern um eine tief greifende Veränderung von Unternehmenskulturen. Um die Transformation hin zu einer neuen Arbeitswelt erfolgreich zu bewältigen, müssen auch bisherige Managementstandards und Wertesysteme infrage gestellt werden.
Michael Otterbein | redaktion@regiomanager.de
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