Regio Manager: Herr Schaefer, welchen Stellenwert haben die Themen Nachhaltigkeit bzw. ESG-Management in der Bau- und Immobilienbranche?
Patrick Schaefer: Der Bau- und Immobiliensektor hat an sich bereits gesellschaftlich einen hohen Stellenwert durch seine soziale Bedeutung für Wohnen, Arbeit und Freizeit (S), seine ökonomische Bedeutung für Wohnen, Dienstleistungen und Produktion, durch die mit ihm verbundenen Emissionen (E) und durch seine starke Durchdringung mit regulatorischen Vorschriften (G). Somit ergibt sich praktisch von selbst, dass diese Branche für die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert hat. Auch anhand der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN zeigt sich diese Vielfalt, da der Sektor in den Zielen Nr. 7 Bezahlbare und saubere Energie, Nr. 8 Arbeit und Infrastruktur, Nr. 9 Industrie, Innovation und Infrastruktur, Nr. 10 Weniger Ungleichheiten, Nr. 11 Nachhaltige Städte und Gemeinden und Nr. 13 Klimaschutz
adressiert wird.
RM: Welche Schlüsselbereiche sollten Ihrer Ansicht nach beim Nachhaltigkeitsmanagement in diesem Sektor besonders im Fokus stehen?
PS: Als Schlüsselbereiche sehe ich: Eigentum –
Miete – bezahlbarer Wohnraum, Baukostensenkungsbedarfe, serielles vs. individuelles Bauen, Reduktion und Vereinheitlichung der Bauvorschriften bzw. Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, Bauen – Renovieren oder Umnutzen, technische bzw. strukturelle Anpassungen der Bestandsimmobilien zur Reduktion der CO2-Emissionen sowie Klima-Resilienz in Verbindung mit Immobilien.
RM: Dann werden Sie doch bitte konkreter: Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung nachhaltiger Prinzipien in der bestehenden Bausubstanz und wie können diese überwunden werden?
PS: Für die Darstellung der Herausforderungen beginnen wir mit der sozialen Dimension: Die Grundfrage lautet mit Bezug auf das Thema Wohnen: Stellt Wohnen eine Art „Grundrecht“ dar? Die Beantwortung dieser Frage entscheidet darüber, wie soziale und sozialpolitische Aspekte zu Eigentum, Miete sowie bezahlbarem Wohnraum etc. zu lösen sind. In Zusammenhang damit steht auch die Frage nach Bauen, Renovieren oder Umnutzen, die zugleich eine ökonomische und eine ökologische Dimension hat. Das Thema Baukosten – Zusammensetzung und Begrenzung – hat neben der sozialen Komponente auch eine ökologische und eine ökonomische bzw. regelungsbezogene (Governance). Gehen wir weiter zur ökologischen Dimension: Der Immobiliensektor in Deutschland ist nach dem aktuellen DENA-Gebäudereport für etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Dies umfasst sowohl den Energieverbrauch für Heizung und Warmwasser als auch die Emissionen, die durch den Bau und die Instandhaltung von Gebäuden entstehen. Daraus folgt, dass bereits der Bedarf an technischen bzw. strukturellen Anpassungen der Bestandsimmobilien zur Reduktion der CO2-Emissionen – sei es auf Einzelebene oder auf Ebene von Quartieren, Stadtteilen bzw. Ortschaften – Herausforderungen an unsere Gesellschaft stellt. Ein weiterer Fokus liegt im ökologischen Zusammenhang in der Frage, wie in Kommunen in diesem Kontext zur besseren Klima-Resilienz Versiegelungen aufgebrochen, Wasser- bzw. Abkühlungszonen integriert aber auch Hochwasser- bzw. Überflutungsrisiken reduziert werden können. In der Beantwortung dieser Fragen bzw. daraus resultierenden Entscheidungen sehe ich die Möglichkeit der Überwindung der Herausforderungen.
RM: Wie kann es gelingen, die unterschiedlichen Interessen von Stakeholdern – wie Investoren, Behörden und Bewohnern – mit den Anforderungen des Nachhaltigkeitsmanagements in Einklang zu bringen?
PS: Ihre Frage spiegelt genau die Grundfrage der Nachhaltigkeit mit ihren verschiedenen Dimensionen wider: Da – wie häufig gemeint bzw. verstanden – Nachhaltigkeit eben nicht nur den Aspekt der Ökologie umfasst, bedarf es einer gesellschaftlichen Verständigung darüber, welche Gewichtung die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit zueinander haben sollen. Denn es ist klar, dass nicht alle Ziele der Nachhaltigkeit in ihren verschiedenen Dimensionen stets in vollem Einklang miteinander stehen (können). Nur ein Beispiel dazu: Das aus einer sozialen Perspektive sicherlich sinnvolle Bauen weiterer neuer Wohnungen mit dem Ziel der Angebotserhöhung und damit der Senkung der Mieten führt –
wenn wir dabei noch einbeziehen, dass ein gewisser Leerstand vorhanden ist, was gerade aktuelle Studien bestätigen – zu einem durch den Neubau bedingten deutlichen Anstieg von CO2-Emissionen sowie zu einer weiteren Verdichtung der Bebauung und damit noch mehr Versiegelung von Flächen, was wiederum weniger Resilienz gegen Hitze bedingt. Die Renovierung des Altbestandes bzw. seine Modernisierung erfüllt den gleichen sozialen Zweck bei geringeren ökologischen Auswirkungen und wahrscheinlich ähnlichen Kosten. Es bedarf also jedenfalls eines gesellschaftlichen Verständigungsprozesses, der zu einer Art Kompromiss zwischen den verschiedenen Zielen führt. Ein Kompromiss gelingt allerdings nur, wenn einerseits auf der Grundlage von Ideen und Vorschlägen, die von den beteiligten Interessengruppen eingebracht werden, und andererseits im Rahmen einer sachlichen und die berechtigten Interessen aller Teilnehmenden berücksichtigenden Diskussion ein für alle tragfähiger Ausgleich, d. h. eine allgemein akzeptierte Lösung gefunden wird, um soziale Aspekte, Umwelt- und Klimaschutz sowie ökonomischen Output unter Beachtung vorhandener Regelungen miteinander in Einklang zu bringen, soweit das möglich ist.
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