„Wir bedauern das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster. Aus unserer Sicht wurde damit eine große Chance für die Stadt Werl verbaut. Werl hat beste Voraussetzungen für die Ansiedlung eines Outlet-Centers: Mit Blick auf das Einzugsgebiet bietet die Stadt eine erstklassige Lage, sie verfügt über eine sehr gute Infrastruktur, liegt sehr verkehrsgünstig und ist an große Ballungsgebiete in der nächsten oder näheren Umgebung angeschlossen. Wir werden uns zeitnah mit Vertretern der Stadt Werl zusammensetzen, um gemeinsam zu entscheiden, wie unsere weiteren Schritte aussehen werden“, kommentiert Neinver-Geschäftsführer Sebastian Sommer die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster, das sehr eindeutig die Pläne der Hellweg-Stadt zur Ansiedlung eines „Factory-Outlet-Centers“ (FOC) abgeschmettert hat.
Fast genau sieben Jahre zuvor wurden 2011 Pläne eines Investors bekannt, das „größte Designer-Outlet-Center Deutschlands“ in Werl errichten zu wollen. Fast zwangsläufig brach ein öffentlicher Sturm der Entrüstung über die Hellweg-Stadt herein. 20 Nachbarn formierten sich mit der „Hammer Erklärung“ vehement gegen das Projekt. Ihre Befürchtung: die massive Gefährdung der Funktionsfähigkeit ihrer Innenstädte. „Wir unterstützen die Bedenken der Nachbarkommunen, die mit erheblichen Umsatzeinbußen für ihre Städte rechnen.“ Die Nachbarn sahen beim FOC die große Gefahr, „die Innenstädte und das funktionierende Geflecht der Groß-, Mittel- und Kleinstädte in der Region durch unbedachte und räumlich fehlgerichtete Ansiedlungsvorhaben zu gefährden oder gar scheitern zu lassen“. Deutlich gemacht wurde, dass beim FOC vor allem Kleidung, Sportkleidung und Schuhe angeboten werden sollen. Dadurch würde die „zentrale Handelsfunktion der Innenstädte durch eine Konzentration der wichtigen Leitsortimente außerhalb der Stadt infrage gestellt“, folgerten die FOC-Gegner.
Was der spanische Investor vorhatte
Handel gehöre neben Kultur und Bildung, Begegnung und Gastronomie, Arbeiten und Wohnen zum städtischen Leben. Er bestimme in seinen vielfältigen Facetten in hohem Maße die Lebendigkeit und Attraktivität der urbanen Zentren. „Die Vitalität und Qualität unserer Innenstädte ist in diesem Sinne die Grundvoraussetzung für eine zukunftsfähige, offene und integrative Stadtgesellschaft“, formulieren die Städte, die in ihrer Haltung auch von der IHK unterstützt wurden (siehe Info-Kasten).
2013 war Neues über das Projekt zu erfahren: Der Werler Bauausschuss wurde darüber informiert, dass der spanische Investor Neinver an der A445-Anschlussstelle Werl-Zentrum ein FOC mit 13.800 Quadratmetern Verkaufsfläche plant und sich die dafür notwendigen Grundstücke gesichert habe. Im Auftrag der Stadt Werl hatte das Wiesbadener Forschungsinstitut ecostra die bis dato umfangreichste Untersuchung der Einzelhandelslandschaft in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Fast 10.000 Einzelhandelsbetriebe mit einer Verkaufsfläche von rund 2,9 Millionen Quadratmetern wurden für die Erstellung der Auswirkungsanalyse bewertet.
„Verträglich für alle“
Das Gutachten analysiert und prognostiziert mögliche Auswirkungen des in Werl geplanten Vorhabens auf Wirtschaftsstruktur, Raumordnung und Städtebau in den Oberzentren Dortmund und Hagen, dem Grundzentrum Bad Sassendorf, der Stadt Werl sowie in 16 weiteren Mittelzentren innerhalb eines Einzugsgebietes von circa 30 Pkw-Fahrminuten. Darüber hinaus wurden die Einzelhandelslagen in Bochum, Essen, Düsseldorf, Köln, Münster und Paderborn untersucht. Die Auswirkungsanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass die Realisierung eines Outlet-Centers am Standort Werl „wirtschaftsstrukturell, städtebaulich und raumordnerisch als verträglich einzustufen ist“. In allen untersuchten Städten und Gemeinden könne eine nachhaltige Schwächung der Angebotsattraktivität und des Branchenmixes ebenso wie eine wesentliche Einschränkung stadtplanerischer Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden: „Die Umsatzverteilungseffekte liegen im Rahmen konjunktureller Schwankungen und zum Teil sogar unterhalb der rechnerischen Nachweisgrenze“, attestierte das Gutachten. „Für die Einzelhändler in der Region besteht kein Grund zur Sorge. Denn ein Outlet-Center in Werl wird den innerstädtischen Handel umliegender Städte und Gemeinden nicht beeinträchtigen. Wir sind vielmehr davon überzeugt, dass das Outlet-Center das bestehende Angebot vor Ort bestens ergänzt und die wirtschaftliche und touristische Entwicklung der gesamten Region nachhaltig stärken wird“, so Sebastian Sommer.
Hervorragender Standort
„Die Gutachten belegen klar, dass Werl ein hervorragender Standort für ein Outlet-Center in Nordrhein-Westfalen ist. Für uns ist die Erkenntnis sehr wichtig, dass von einem Outlet-Center in Werl für den regionalen Einzelhandel keine Bedrohung ausgeht“, urteilte Werls Bürgermeister Michael Grossmann, als das Bauleitverfahren startete.
Die Euphorie der Stadt war groß: Hingewiesen wird auf den „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ der Investitionssumme, auf 400 bis 600 neue Arbeitsplätze zum Start und „langfristig eine Größenordnung von rund 1.000 Jobs“.
Rathaus, Politik und der potenzielle Investor verdeutlichen die Vorzüge des Standorts. „Die Stadt verfüge über ein Einzugsgebiet von rund 18 Millionen Einwohnern: Bis 30 Pkw-Minuten entfernt leben 1,2 Millionen Menschen, 30 bis 60 Pkw-Minuten entfernt sind es 7,3 Millionen, 60 bis 90 Pkw-Minuten entfernt werden 9,6 Millionen gezählt“, heißt es in der Analyse. Hingewiesen wird auch darauf, dass „aufgrund der hervorragenden Verkehrsanbindung“ die Kunden nicht nur aus NRW, sondern auch aus Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und sogar den Niederlanden kommen, jubelten die Befürworter.
Die Antwort der FOC-Gegner konnte prompter und eindeutiger nicht sein: „Die interkommunale Gemeinschaft wird alle erforderlichen Schritte vornehmen, um die Ansiedlung des FOC zu verhindern“, verdeutlichte IHK-Standort-Sprecher Thomas Frye.
Das Urteil des OVG
Im September 2014 leitete die Stadt Werl die Planverfahren ein. Die erforderliche Flächennutzungsplanänderung fand nicht die Gnade der Bezirksregierung Arnsberg. Werl klagte vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg. Diese Klage wurde 2017 abgewiesen. Das endgültige Aus kam nun am 22. November: In mündlicher Verhandlung entschied das Oberverwaltungsgericht in Münster, dass das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg nicht zu beanstanden und die Versagung der 85. Änderung des Flächennutzungsplanes der Stadt Werl durch die Bezirksregierung zu Recht erfolgt sei. Die beantragte Änderung des Flächennutzungsplans widerspreche den Zielen der Raumordnung. Danach dürfen Sondergebiete für großflächige Einzelhandelsbetriebe, zu denen ein FOC gehört, nur in regionalplanerisch festgelegten allgemeinen Siedlungsbereichen geplant werden. „Die von der Stadt Werl erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken greifen ebenso wenig durch wie die kurz vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemachten europarechtlichen Einwände.“ Im Kern gehe es um den Schutz der gewachsenen Innenstädte vor Großprojekten auf der „grünen Wiese“, die dem innerstädtischen Einzelhandel Kaufkraft nehmen und so seine Existenz gefährden können. Reinhold Häken | redaktion@suedwestfalen-manager.de
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