„Wir wollen bauen, wir sollen bauen, aber wir können oft nicht bauen“, sagt Peter Hübner. Der Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB) beschreibt, was die Akteure vor Ort seit mittlerweile zwei Jahren erleben: Lieferengpässe bei Baumaterialien verquickt mit hohen Rohstoffpreisen. Immer mehr Auftraggeber müssen Projekte verschieben oder stornieren. Lösungen sind nicht in Sicht. „Wer Unternehmen nun hängen lässt und die Situation aussitzen will, spielt mit dem Feuer und akzeptiert Stillstand beim ohnehin schon angespannten Wohnungsbau und der energetischen Sanierung“, appelliert Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Er fordert, dass Preisgleitklauseln in den öffentlichen Aufträgen zum Standard werden. Zudem dürfe kein Handwerksbetrieb, der wegen der aktuellen Probleme den Vertrag nicht rechtzeitig erfüllen kann, mit Vertragsstrafen überzogen werden.
Schockstarre
Die Corona-Pandemie, die die Welt Anfang 2020 in Schockstarre versetzte und Produktionskapazitäten dramatisch bröseln ließ, war des Übels Anfang. Viele weitere Faktoren wie die Abschottungen in China, hohe Infektionszahlen und Personalausfälle, die großen Verspätungen wichtiger Lieferungen, der Mangel an Lkw-Fahrern, fehlende Schiffscontainer, der Chip-Mangel, die Blockade im Suezkanal und natürlich der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Kostenexplosion sorgten für die augenblickliche Unwucht des Welthandels.
Pessimismus
Die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte gehen durch die Decke, sie liegen derzeit um nahezu 40 Prozent über Vorjahresniveau. Für das Statistische Bundesamt war dies der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949. Die Unwucht des Systems zeigte sich bei den Lieferengpässen mit Masken und Corona-Tests, trifft das Bauhandwerk, die Automobilhersteller, Elektroindustrie oder den Maschinenbau: Fehlen plötzlich Elektronikchips, die in jedem Fahrzeug stecken, endet die Produktions-Fahrt. Die Reise geht auch bei den Herstellern von Haushaltsgroßgeräten, dem Elektrobereich, der Papierindustrie abrupt zu Ende. Neben Energie, Diesel und Stahl, die im Preis um bis zu 87 Prozent zugelegt haben, sind aktuell auch Holz, Zement, Beton, Spundwände, selbst Parkett betroffen. „Besonders knapp ist derzeit Baustahl, der oft aus Russland oder der Ukraine importiert wurde. Auch beim Bitumen kommt es zu Problemen. Mancherorts klagten die Betriebe auch über einen Mangel an Ziegelsteinen. Dämmstoffe waren bereits vor Kriegsbeginn vielerorts knapp, aber auch hier hat sich die Situation weiter verschlechtert“, sagt ifo-Forscher Felix Leiss. So kosten derzeit Dämmstoffe und verzinkte Stahlbleche bis zu 60 Prozent mehr als im ersten Quartal 2020, Rohre bis zu 50 Prozent. Für Fußbodenheizungen mit Wärmeleitlamellen muss man bis zu 27 Prozent mehr zahlen. Besonders die Bauwirtschaft und die Industrie schauen pessimistisch in die Zukunft, zeigt die neue Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Nur noch 30 Prozent der Unternehmen in der Bauwirtschaft rechnen mit einer Produktionszunahme im Jahr 2022.
Nur eine Richtung
„Die Preise scheinen weiterhin nur eine Richtung zu kennen – nach oben. Die starken Baumaterialpreis- und damit Baukostensteigerungen machen den Bauunternehmen schwer zu schaffen. Bei Projekten, die schon vor mehreren Monaten oder gar Jahren begonnen wurden, konnte man diese Entwicklung bei Vertragsunterzeichnung auf keinen Fall vorhersehen. Bei Vereinbarung von Festpreisen müssen die Unternehmen die gestiegenen Kosten nun selbst schultern. Davon ist nahezu jedes vierte Tiefbauunternehmen betroffen“, untermauert Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, die Umfrage mit den vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Erzeugerpreisindizes.
Hoher Mangel
Diese Zahlen decken sich auch mit Erkenntnissen des ifo Instituts. „Der Materialmangel auf dem Bau ist so schlimm wie seit mindestens 31 Jahren nicht mehr. Im Hochbau klagen mehr als 56 Prozent der Unternehmen über Materialmangel, im Tiefbau sank der Anteil minimal auf 44,8 Prozent, der zweithöchste hier jemals ermittelte Wert. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Lieferprobleme bei Baustoffen drastisch verschärft“, sagt ifo-Forscher Felix Leiss. Der Mangel macht Bauen teurer: „Die Materialpreise legen infolge der Knappheit und höheren Energiekosten weiter zu“, analysiert Leiss.
Spitzer Bleistift
Insgesamt sind die Auftragsbücher dem ifo zufolge aber immer noch prall gefüllt. Für die Unternehmen sei die Situation existenzgefährdend: So standen einige Betriebe vor der paradoxen Situation, dass sie sich vor Aufträgen kaum retten konnten, aber dennoch Kurzarbeit anmelden mussten, weil es an Materialien mangelte und die Angestellten schlichtweg nicht arbeiten konnten. Hinzu kommt: Materialpreiserhöhungen lassen sich für Bauunternehmen in vielen Fällen nicht an den Kunden weitergeben, weil in den Verträgen selten Preisanpassungsklauseln enthalten sind. „Neue Projekte sind kaum kalkulierbar“, sagt ifo-Experte Leiss. Künftige Vorhaben würden wegen Inflation und Zinssteigerungen mit spitzerem Bleistift berechnet.
Keine Aussichten
Lösungsmöglichkeiten zum Mangel sind ebenfalls Mangelware: Kein Verband der Bauindustrie und keine Handwerksorganisation können Lösungsansätze formulieren. Vorschläge, alternative Baustoffe anzubieten und Fristen zu verlängern, seien allenfalls gut gemeint, und auch der Vorschlag einer Exportbeschränkung greife nicht. Die Online-Plattform für gewerbliche Handwerker, um Baustoffe und Materialreste nutzen zu können, sei ebenfalls nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Baufirmen sollten bei laufenden Verträgen auf Kunden zugehen und ihnen transparent die Situation erläutern, um zu versuchen, einvernehmlich Preise und Fristen anzupassen“, heißt ein Rat des Handwerker-Zentralverbandes.
„Faire Neugestaltung“
Während private Auftraggeber Verständnis für die Situation hätten und Mehrkosten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer aufgeteilt würden, seien die Hürden für entsprechende Verhandlungen bei der öffentlichen Hand noch zu hoch. „Wir können unmöglich weiterhin ein Puffer des Staates für gestiegene Preise sein und an unsere Substanz gehen, wenn wir auch künftig die Infrastrukturmodernisierung unseres Landes realisieren sollen. Wir brauchen daher eine faire Neugestaltung der Regelungen des Bundes für den Umgang mit Mehrkosten bei öffentlichen Bauvorhaben“, so HDB-Geschäftsführer Tim-Oliver Müller.
Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de
Reinhold Häken
| redaktion@regiomanager.de
Teilen: