Für begrenzt begabte Heimwerker ist es ein wunderbarer Traum: Mittels Augmented Reality werden Installationsanleitungen oder Inbetriebnahme-Routinen in der Datenbrille eingeblendet. Trotz zweier linker Hände könnte man damit, so die Vorstellung, Profi-Arbeit übernehmen. Klaus Jung, Geschäftsführer des Fachverbands Elektroinstallationssysteme des ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie), lässt den Traum jedoch schnell zerplatzen: Augmented Reality bedeute nicht, „dass irgendwann jeder Hobby-Handwerker alles installieren könnte – allein schon wegen der rechtlichen Grenzen.“ So sei „Elektro“ bekanntlich ein Gefahrenhandwerk. Vorteile sieht Jung in der zunehmenden Digitalisierung aber durchaus – Stichwort „Easy Installation“. Vieles werde seiner Aussage nach von der Industrie vorkonfektioniert, um es für die Handwerker so unkompliziert wie möglich zu machen. „Die neuen Technologien müssen so einfach zu installieren sein, dass der Handwerker einfacher und schneller installieren kann.“ Denn schon heute arbeite etwa das Elektro-Handwerk in Vollauslastung. „Man bräuchte viel mehr Leute.“
Die Zahl der vorhandenen Fachkräfte ist die „natürliche Bremse“ für das momentane Wachstum bei der Gebäudeautomation, die ein Teil der Elektroinstallation ist. „Wir sind die ‚Schwester‘ von Heizung, Lüftung, Klima“, sagt der Fachverbands-Geschäftsführer. Und diese „Schwester“ präsentiert sich in Nordrhein-Westfalen besonders stark. „NRW ist Keimzelle und Cluster für die Elektroinstallation und Gebäudeautomation in ganz Europa“, sagt Klaus Jung und lässt Zahlen sprechen: Von 180 Herstellern in Europa sitzen 150 in Deutschland – davon etwa zwei Drittel in NRW. Die Branche macht acht Milliarden Euro Produktionsumsatz im Jahr. „Unser Kunde ist das Handwerk, das wiederum 55 Milliarden Euro umsetzt. Unterm Strich sprechen wir also von mehr als 63 Milliarden Euro – die volkswirtschaftliche Bedeutung ist enorm.“ 60 Prozent der Umsätze werden in großen Zweckgebäuden und Industrie-Automation generiert.
Exportquote von 55 Prozent
Deutschland sei ein „Leitmarkt“. Das liege u. a. daran, „dass den Deutschen das Haus besonders am Herzen liegt“ und sie auf gute, langlebige Produkte setzten. „Made in Germany ist auch hier ein Gütesiegel, das weltweit zieht.“ Dabei wird in Deutschland nicht nur entwickelt, sondern auch produziert. Die Exportquote liegt bei 55 Prozent. Der Branchenvertreter geht von bis zu 60.000 Industriearbeitsplätzen aus, spricht von einer stark mittelständischen Prägung. Demnach haben die Firmen im Schnitt 500 bis 1000 Arbeitsplätze. „Hinzu kommt oft eine lange Tradition: Familienunternehmen in dritter oder vierter Generation sind keine Seltenheit.“ International seien NRW und Deutschland maßgebend, was die Qualität angehe – und das bei 400.000 bis 500.000 verschiedenen Produkten. Die Bandbreite reicht vom einzelnen Lichtschalter bis zum kompletten Cable-Management.
Nach einem „kleinen Knick“ 2008/2009, bedingt durch die Finanzkrise, geht es seit zehn Jahren stabil bergauf. „Dieses Wachstum hat nicht allein mit dem Bauboom in Deutschland zu tun“, sagt Klaus Jung und verweist auf die hohe Exportquote. Denn die „Megatrends“ spielten ebenfalls eine Rolle: Energieeffizienz, smarte Netze der Energieversorger, Breitbandausbau und Elektromobilität stärken die Marktentwicklung. Gerade am Beispiel Elektromobilität lasse sich das gut erkennen: „Immer mehr Menschen möchten eine Lade-Infrastruktur in der eigenen Garage haben. Der Markt für die Lade-Infrastruktur für ein Elektroauto wird in den kommenden Jahren massiv wachsen.“ Beim weiteren Beispiel Breitband ist die „letzte Meile“ im Gebäude wichtig. „Denn was nützt mir Breitbandversorgung bis vor die Haustür, wenn die Breitband-Infrastruktur im Haus fehlt? Das ist dann wie ein Feldweg mit Autobahnanschluss.“ Grundsätzlich werde das Gebäude elektrischer. „Das ist ein unumkehrbarer Prozess, allein schon durch die dezentrale Energieversorgung, ausgelöst durch die Energiewende“, ist sich der Fachverbands-Chef sicher.
Allerdings: Bei aller Freude über die derzeit guten Zahlen müssten die Unternehmen am Ball bleiben. „Sie müssen ständig innovieren und teilweise Erfolgsprodukte selbst disruptieren, bevor es der Wettbewerb tut und man so beim Innovationstempo zurückfällt.“ So kauften die Handwerker mehr und mehr online ein, nicht mehr physisch. „Die B2B-Abläufe werden immer digitaler.“
Bauboom: Fluch und Segen
Und was sagt der Handel zur augenblicklichen Situation? Achim Laubenthal ist Geschäftsführer des Deutschen Großhandelsverbands Haustechnik und spricht für die Bereiche Sanitär, Heizung und Klima (SHK): „Der Bauboom ist für den SHK-Großhandel Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite bescheren die ,Flucht in die Sachwerte‘ aufgrund des niedrigen Zinsniveaus und der generell hohe Bedarf an neuen Wohnungen eine sehr gute Auftragslage im Handwerk, wovon auch der Großhandel profitiert.“ Auf der anderen Seite führe dies dazu, dass Zeit – insbesondere im Handwerk – mehr denn je ein wertvolles Gut geworden sei.
Der Fachkräftemangel ist auch hier eine große Herausforderung. „Dies gilt sowohl für das Fachhandwerk als Kundenklientel als auch für den Großhandel selber.“ Um den zunehmenden Bedarf an handwerklichen Leistungen zu bedienen, gebe es neben der Werbung um neue Fachkräfte auch Ideen und Initiativen, die Montagekapazitäten bei bestehender Fachkräfteanzahl zu erhöhen. „Der Großhandel ist hier zu nennen mit vielfältigen Services, die dem Handwerker Entlastungen bieten und ihm mehr Zeit für die Montage ermöglichen.“
Auch Achim Laubenthal nennt zwei Megatrends, an denen die Branche mitarbeitet: das Wohnen im Alter durch altersgerechte Bäder und die Energiewende im Heizungskeller. „Fast die Hälfte der Wohnungen hat kein altersgerechtes Bad, lediglich 17 Prozent sind voll und ganz barrierefrei.“ Und von den installierten Heizungsanlagen in Deutschland seien „60 Prozent ineffizient“. Das Potenzial ist bei beiden Produktgruppen also entsprechend groß. Produktseitig sei zudem auch die Digitalisierung zunehmend erkennbar, wobei dies laut Laubenthal eher bei Heizungsprodukten (z. B. Steuerung der Heizung per App, Fernwartungsmöglichkeiten) als im Sanitärbereich anzutreffen ist. „Aber auch dort gibt es intelligente Produkte, etwa im Bereich Leckage-Schutz oder auch beim Dusch-WC.“
Klar ist für ihn, dass sich mit der Digitalisierung auch die Konkurrenzsituation verändert hat. „So sind einige neue Onlineshops bzw. neue Online-Vertriebswege am Markt erschienen, die sich auch einen gewissen Marktanteil erarbeitet haben. Wir sehen dennoch für den SHK-Großhandel eine gute Zukunft, denn in unserer Branche dreht es sich in der Regel nicht um einzelne Produkte, sondern um Produktkombinationen, die zusammen ein neues Bad, eine neue Heizung oder auch eine neue Lüftungsanlage ergeben.“ Die richtige Kombination der richtigen Produkte sei entscheidend für das Gelingen. Der Endverbraucher sei hier auf fachkundige Beratung von seinem Handwerker oder auch vom Großhandel angewiesen – „nicht zuletzt verlangt der Gesetzgeber zum Teil fachkundigen Einbau durch Vorschriften zu beispielsweise Gasleitungen oder auch Trinkwasser“.
Der Handwerker wiederum habe im Großhandel einen zuverlässigen Partner, der ihn nicht nur bei der Produktlogistik, sondern auch bei vielen weiteren Fragen und Problemen unterstütze. Daher gingen – „trotz Konkurrenz aus dem Netz“ – etwa zwei Drittel aller Sanitärprodukte in Deutschland über den Großhandel. „Bei den Heizungsprodukten liegt der Anteil bei gut 50 Prozent. Dies gekoppelt mit der Tatsache, dass es auch bei unseren Mitgliedern selbstverständlich zeitgemäße Kontakt- und Bestellmöglichkeiten gibt, macht uns für die Zukunft zuversichtlich.“ Daniel Boss | redaktion@regiomanager.deDaniel Boss
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