Prof. Dr. Caren Sureth-Sloane, Wirtschaftswissenschaftlerin der Universität Paderborn, spricht im Interview über die durch die Corona-Pandemie entstandenen Schäden an der Wirtschaft. Sie erklärt, warum mutigeres Vorgehen sinnvoll gewesen wäre, was Liquiditätshilfen bringen und warum es nicht darauf ankommt, jedes unternehmerische Risiko abzufedern, sondern die richtigen.
Prof. Sureth-Sloane forscht zu den Wirkungen der Besteuerung auf unternehmerische Entscheidungen sowie zur internationalen Unternehmensbesteuerung und Steuerkomplexität. Sie ist Dekanin der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Sprecherin des Sonderforschungsbereichs/TRR 266 „Accounting for Transparency“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Caren Sureth-Sloane ist außerdem Vizepräsidentin der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V..
Frau Sureth-Sloane, welche Maßnahmen sollten schnellstmöglich umgesetzt werden, damit bereits entstandene Schäden für die Wirtschaft noch ausgeglichen werden können?
Prof. Sureth-Sloane: Was die Wirtschaft jetzt braucht, ist weiterhin vor allem Liquidität und das schnell und unbürokratisch. Hierzu hatten wir im Sonderforschungsbereich TRR 266 „Accounting for Transparency“ bereits im März einen Vorschlag gemacht und einen unbürokratischen Verlustrücktrag empfohlen. Auf formlosen Antrag sollten Unternehmen so zuvor gezahlte Steuern im Vorgriff auf die zu erwartenden Verluste zurückgezahlt werden. Das wäre keine Steuersenkung im eigentlichen Sinne, sondern nur eine vorgezogene Berücksichtigung steuerlicher Verluste, die durch die sofortige Auszahlung schnelle Hilfe verspricht und sich in zukünftigen Gewinnphasen wieder abbaut.
Gehen die jüngsten Beschlüsse von Finanzausschuss und Bundesfinanzministerium (23.4.) in die richtige Richtung?
Prof. Sureth-Sloane: Ja, die Politik reagiert wirklich beeindruckend schnell, auch wenn es für den Einzelnen manchmal noch nicht schnell genug sein mag. Die neueste Maßnahme eines beschränkten sofortigen Verlustrücktrags geht in die richtige Richtung, greift aber noch zu kurz, da sie den Verlustrücktrag nur in einem beschränkten Maße (15%, betragliche Grenze) erlaubt. Da die Unternehmen aber bereits in 2020 erhebliche Verluste erwarten, die eine umfassendere Vorziehung der Verlustverrechnung durch einen umfassenderen Rücktrag verlangt, wäre hier ein mutigeres Vorgehen sinnvoll gewesen. Etliche Studien zeigen, dass gerade der Verlustrücktrag ein sehr wirksames Instrument ist. Ich hoffe, dass hier noch nachgeliefert wird, sowohl kurzfristig in der Krise als auch mittelfristig für den Wiederaufbau.
Aktuell beantragen auch Unternehmen, die bereits vor Corona selbstverschuldet Insolvenz anmelden mussten, Staatshilfen. Wie sollte der Staat mit solchen Fällen umgehen?
Prof. Sureth-Sloane: Ziel müsste es sein, dass alle die Unternehmen, die perspektivisch wettbewerbsfähig und damit überlebensfähig sind, unterstützt werden. Hier gilt es aber, in der aktuellen Situation abzuwägen. Eine umfassende Beurteilung der Zukunftsfähigkeit und der Bedürftigkeit von Unternehmen ist aufwendig und zeitintensiv. Zeit ist aber im Moment ein sehr wichtiger Faktor. Damit Hilfe hilft, muss es schnell gehen. Daher muss mit vereinfachten Prozessen und Indikatoren für Bedürftigkeit gearbeitet werden. Der Rückgriff auf eine steuerliche Bemessungsgrundlage aus dem letzten Steuerbescheid kann hier beispielsweise schnell als grobes Indiz für ein an sich wettbewerbsfähiges Unternehmen dienen.
So ein Steuerbescheid liefert natürlich nur eine ganz spezielle Momentaufnahme aus der Vergangenheit und ist kein passgenauer Indikator für die aktuelle Situation eines Unternehmens. Einige Unternehmen werden so als „begünstigt“ identifiziert, die es, Stand heute, nicht wären. Andere, die erfasst werden sollten, fallen leider durch das Raster. Diese Unvollkommenheiten schneller Handlungsfähigkeit durch grobe Indikatoren muss man zum Teil politisch in Kauf nehmen, um im Großen und Ganzen an der richtigen Stelle zu helfen.
Hierfür braucht es dann nicht nur eine Maßnahme, sondern ein Maßnahmenpaket, um solche Unzulänglichkeiten auszugleichen. Denkbar wäre es, das bereits beschlossene Paket an Steuerstundungen aus Aussetzungen von Vorauszahlungen etwa um eine Rückerstattung bzw. Aussetzung von Lohnsteuerzahlungen durch Unternehmen (auch im Vorgriff auf eine zukünftige Verlustverrechnung) zu ergänzen. Auch das könnte eine schnelle vorübergehende Maßnahme sein, die sich in einer wirtschaftlich stabilen Zukunft wieder langsam abbaut.
Welche Lehren und Konsequenzen können aus der aktuellen Situation gezogen werden?
Prof. Sureth-Sloane: Tempo und Einfachheit von Unterstützung sind fundamental. Tempo und Einfachheit gehen aber immer auch auf Kosten von Genauigkeit und Einzelfallgerechtigkeit. Das sind schwierige politische Abwägungen, bei denen es kein objektiv richtiges Maß für die richtige Mischung aus möglichst hoher Treffsicherheit bei der Identifizierung von Bedürftigen und der Vermeidung von Missbrauch gibt.
Dennoch ist neben Liquiditätshilfen auch Bürokratieabbau wichtig. Um ein Beispiel zu geben: Viele gut gemeinte Regeln der Kontrolle, die etwa im Zusammenhang mit der Kreditvergabe nach der Finanzkrise eingeführt wurden, stehen aktuell der Kreditvergabe an Unternehmen im Wege oder verlangsamen die Auszahlung. Hilfe kommt so nicht an.
Natürlich darf im Bedürfnis zu helfen der Blick für das Budget und die Lasten, die wir mit den Maßnahmen und der damit im Zusammenhang stehenden Neuverschuldung der jungen Generation aufbürden, nicht aus den Augen verloren werden. Es gilt nicht, jedes unternehmerische Risiko abzufedern, sondern die richtigen. Auch das ist eine wichtige politische Abwägung, die hier und da dazu führen wird, dass Vorschläge nur teilweise umgesetzt werden können.
Mein Eindruck ist, dass wir hier in Deutschland aktuell auf einem sehr guten Weg sind. Wir müssen jedoch dabei alle miteinander (Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Bürger usw.) aushalten, dass schnelle fundierte Maßnahmen zur Soforthilfe, die deren Folgewirkungen im Blick behalten sollen, ausgiebige Analysen und Diskurse brauchen und daher – angesichts der enormen Geschwindigkeit der Entwicklungen und Erkenntnisse – die Bereitschaft, nachzujustieren.
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