Wir selbst schaffen es oft schon sehr gut, uns von der Arbeit abzuhalten. Wir surfen im Internet, schreiben auf dem Handy Nachrichten und quatschen mit der netten Kollegin über ihre Urlaubserlebnisse. Deutlich verstärkt wird diese Ineffektivität, wenn uns unsere Organisation dabei noch tatkräftig unterstützt, indem sie uns mit Tonnen von E-Mails bedenkt und zu unzähligen Meetings einlädt, die sich dazu noch deutlich länger hinziehen als erwartet. Kommt dazu dann noch eine ausgeprägte Bürokratie mit einer Vielzahl von Formularen und Anträgen, haben wir eine gute Chance, die wirklich wichtigen Arbeiten zu vermeiden. In vielen Unternehmen scheint das Pareto-Prinzip eine unausgesprochene Leitlinie zu sein. Die Mitarbeitenden sind gezwungen, 80 Prozent der zu erbringenden Leistung in 20 Prozent der Arbeitszeit zu bewältigen, da der übergroße Rest – fremd- oder eigenverschuldet – für anderes draufgeht.
Zeit ist Geld! Das scheint oft nicht der Fall zu sein!
Dass diese Zeitverschwendung Unternehmen jeden Tag bares Geld kostet, ist anscheinend auch heute noch nicht allen Führungskräften bewusst. Interessanterweise wird das wertvolle Gut Zeit völlig anders behandelt als andere Ressourcen wie Finanzmittel oder Arbeitsmaterialien. Oft ist in Unternehmen sehr detailliert festgelegt, wer welche Geldbeträge ausgeben darf. Bei größeren Summen muss in der Regel jemand hierarchisch Höherstehendes zustimmen oder es bedarf der Unterschrift von mindestens zwei Funktionsträgern. Maßnahmen, die immens Zeit fressen, wie ausgiebige Meetings, werden jedoch oft weitgehend ungeregelt ins Leben gerufen.
Einige Unternehmen haben die Herausforderung angenommen
Dass das nicht so sein muss, beweisen Unternehmen wie Apple oder Ford, die den Kampf gegen die Zeitverschwendung bereits vor Jahren aufgenommen haben. So war Apple-CEO Steve Jobs dafür bekannt, dass er Wert auf straffe Tagesordnungen legte und auch schon einmal ein Meeting abrupt abbrach, wenn es ihm zu ineffizient erschien. Bei Ford wurden Manager bereits von 15 Jahren angehalten, den Sinn von regelmäßigen Meetings infrage zu stellen und überflüssige Zeiten zu kürzen. Woraufhin die Meetingzeiten drastisch zurückgingen. Auf Basis der Erfahrungen einer Vielzahl von Unternehmen haben die amerikanischen Zeitmanagement-Experten Michael Mankins, Chris Brahm und Gregory Caimi bereits 2014 acht Wege lokalisiert, wie Unternehmen mehr Zeit für die wichtigen Aufgaben freischaffen können.
Zeit für wichtige Aufgaben schaffen
Dabei gehen auch Mankins und Kollegen auf die Straffung und Effektivierung von Meetings ein und schlagen vor, Tagesordnungen so klar wie möglich zu formulieren, sie so kurz wie möglich zu halten und darauf zu achten, dass alle Beteiligten vorbereitet sind und Diskussionen zielführend stattfinden. Ein weiterer Vorschlag ist eine „Nullbasisbudgetierung“ für regelmäßige Meetings, deren Notwendigkeit immer wieder neu auf den Prüfstand gestellt wird. Darüber hinaus soll festgelegt werden, wer Meetings überhaupt einberufen darf – und alle diesbezüglichen Entscheidungsprozesse sollten standardisiert werden. Deutlich tiefer in die Organisationsstruktur von Unternehmen greift der Vorschlag ein, Hierarchieebenen abzubauen, da Studien ergeben haben, dass jeder neue (Top-)Manager eine Vermehrung der Arbeit nach sich zieht – allein schon deswegen, weil kein Direktor ohne Assistenten und Sekretärinnen auskommt. So schaffe jeder neue Manager etwa 1,5 zusätzliche Vollzeitarbeitsplätze und viele
zusätzliche Arbeitsstunden.
Eine Top-down-Mentalität ist problematisch
Andere Vorschläge der amerikanischen Berater sind eher von der Top-down-Mentalität klassischer Konzerne geprägt. So ist eine Standardisierung von Entscheidungsprozessen wahrscheinlich ein Tool, um die Arbeit im Unternehmen effektiver zu machen, missachtet dabei aber die Individualität von Teams und einzelnen Mitarbeitenden. Ebenso zwiespältig erscheint der Vorschlag, eine Businessplanpflicht für Neuprojekte vorzuschreiben. Zum einen verhindert eine solche Vorgabe sicherlich, dass viel zu viel Arbeit in (neue) Projekte gesteckt wird, die wirtschaftlich von Anfang zum Scheitern verurteilt waren. Es wird also weniger Arbeit in das „Reiten von toten Pferden“ verschwendet. Auf der anderen Seite jedoch besteht die Gefahr, neue Ideen im Keim zu ersticken, wenn deren Erfolgsaussichten noch nicht abgeschätzt werden können. Dass neue Wege beim Gehen entstehen, ist ja nicht nur ein Kalenderspruch. Manches bekommt man eben erst heraus, wenn man es ausprobiert.
Weniger Fahrzeiten – mehr Bürokratie
Ein anderer Weg, Zeit zu sparen, ist uns in den letzten Jahren durch die Corona-Pandemie zwangsweise aufgezeigt worden: Die Möglichkeit, Präsenz-Meetings durch Videokonferenzen zu ersetzen, spart zumindest die Anfahrtszeiten. Darüber hinaus spart die erweiterte Möglichkeit zum Homeoffice den Beschäftigten viel Zeit und Energie, die sie nun anders investieren können. Nicht umsonst gilt das Pendeln als eine der Top 10 der modernen Zeitfresser.
Ein anderes Thema hat sich in den letzten Jahren eher zum Negativen hin verändert. Die Anzahl an arbeitsverursachenden Gesetzen nimmt leider eher zu als ab, sodass Unternehmen durch staatliche Vorgaben zu immer mehr Dokumentationen verpflichtet werden. Das trifft Unternehmen aller Branchen – und in noch stärkerem Maße alle direkt durch Steuermittel und Sozialversicherungsleistungen finanzierten Organisationen wie Behörden, Sozialverbände und Gesundheitsberufe.
Mut zur Eigenverantwortung
Was also können Unternehmen tun, um ihren Teammitgliedern mehr Zeit für deren eigentliche Aufgaben, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen für die Kunden, freizuschaufeln? Auf der einen Seite sicher eine starke Reduktion aller bürokratischen und kommunikativen Anforderungen. Weniger Formulare, weniger E-Mails, weniger Meetings – und eine Vereinfachung von Regeln und Entscheidungswegen. Auf der anderen Seite könnte uns New Work, wenn es denn ernst genommen wird, auch hier einen Produktivitätsschub geben.
Umso autonomer Teams und Einzelne im Rahmen der Organisation agieren können, desto mehr Zeit können sie für ihre produktiven Aufgaben verwenden. Wer nicht jeden Schritt mit seinem Chef abstimmen muss, gewinnt mehr Energie und Motivation. Das bedarf natürlich auch einer sinnvollen Rahmensetzung. Aber die könnte mehr ergebnis- als prozessorientiert sein. Also mehr Mut zur Eigenverantwortung auf allen Ebenen – auch unter der Gefahr, dass dann Fehler passieren.
Michael Otterbein | redaktion@regiomanager.de
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