Nachhaltigkeit

Nachhaltige Geschäftsmodelle: ESG kann Umsatz ankurbeln

Verpflichtungen zum Nachhaltigkeits-Reporting erfassen zunehmend auch den Mittelstand. Lästige Pflicht – oder Chance zum Überholen?

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von Claas Syrt Möller 14.11.2023
(© master1305 − stock.adobe.com)

Werner & Mertz? Der Firmenname dürfte wenigen auf Anhieb etwas sagen, die Marke „Frosch“ aus diesem Haus aber wohl eher. 2008 setzte die Mainzer Firma erstmals recycelten Kunststoff für ihre Reinigerflaschen ein. Danach richtete sie das Verpackungsthema völlig neu aus – mit hohen Investitionen. Man verzichtet durch die höheren Kosten auf mehr Umsatz, sagte Firmenchef Reinhard Schneider dem Internetportal „Mainzund“. Der Einsatz hat sich allerdings gelohnt: 15 Jahre später ist Werner & Mertz nach eigenen Angaben Weltmarktführer mit 297 Millionen abgefüllten PET-Flaschen aus Altplastik. Und seit Frosch mit den recycelten Flaschen wirbt, stieg der Umsatz um zehn bis 15 Prozent. „Dem Konsumenten ist es eben doch wichtig, woraus die Verpackung gemacht ist“, so Schneider. „Unser Gewinn ist schmaler, aber das können wir uns leisten, weil wir in Generationen planen.“

Thema für Familienunternehmen

Gerade weil Familienunternehmen auf Dauer angelegt sind, ist das Thema Environmental, Social und Governance (ESG) auf sie zugeschnitten, ist Felix A. Zimmermann überzeugt. Der langjährige Unternehmer und Unternehmensberater hat aus Anlass der Klimakonferenz der Vereinten Nationen „COP2023“ in Dubai gerade das Buch „ESG – Made in Germany“ vorgelegt. In dem Kürzel ESG steht das E für „Environmental“. Es umfasst Umweltaspekte, etwa Einsatz erneuerbarer Energien und Emissionsverminderung. Das S für „Social“ steht für gesellschaftliche Verantwortung. Darunter fallen etwa faire Arbeitsbedingungen und Ausschluss von Kinder- oder Zwangsarbeit – auch in der Lieferkette. Das G („Governance“) schließlich beinhaltet Aspekte wie eine ethisch vertretbare Unternehmensführung, Compliance und Verhinderung von Korruption.

ESG als Chance

Mit dem Buch-Untertitel „Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie für deutsche Familienunternehmen“ wirbt Zimmermann dafür, ESG als Chance zu begreifen. „Manche Unternehmer sagen mir, nach der Abwahl der Grünen werde das grün-rote Hirngespinst doch wohl vom Tisch sein. Aber sie irren sich. Das Nachhaltigkeitsthema ist nahezu verfassungsrechtlich verankert. Alle anderen Gesetze in der Kaskade sind eine Folge des Green Deals“, so Zimmermann. Der Green Deal ist die Selbstverpflichtung der EU, bis 2050 die Netto-Treibhausemissionen auf null zu reduzieren. „Nichtstun oder Abwarten ist das größte Risiko, das man unternehmerisch eingehen kann.“ Eine Berichterstattungspflicht zu ESG-Themen wurde in Deutschland erst 2017 für die etwa 500 größten deutschen Firmen eingeführt. Aber durch die neue EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) wird sie in Deutschland in den nächsten Jahren auf rund 15.000 Unternehmen ausgedehnt. Zimmermann: „Die ESG-Berichterstattung wird qualitativ so wichtig werden wie der Jahresabschluss.“

ESG macht Firmen interessanter

Braucht es eine Revolutionierung des Geschäftsmodells, einen Turnaround, um auf ESG einzuschwenken? „Ich würde gar nicht mal von Turnaround sprechen“, meint Felix A. Zimmermann. Sein Buch enthält zehn Beispiele von Mittelständlern in Baden-Württemberg, die ESG klug und konsequent in ihre Unternehmens-DNA eingearbeitet haben. Etwa Witzenmann. Der Hersteller geflochtener Schmuckarmbänder stellte später um auf geflochtene Schläuche für Verbrennungsmotoren und produziert inzwischen Schläuche für Wasserstofftransport – neben vielen anderen Veränderungen im ESG-Sinne. Schmalz, weltweit führend in der Vakuumtechnik, schneidet mit verschiedenen Produkten beim Lebenszyklus, in der Energieeffizienz und der CO2-Bilanz deutlich besser ab als vergleichbare chinesische Produkte. „Für große Kunden wie VW, die ESG-Reporting betreiben müssen, wird ein Lieferant wie Schmalz gerade darum interessant“, so Felix A. Zimmermann.

Querschnittsthema

Bei den porträtierten Unternehmen überspannen ESG-Aspekte alle Bereiche. „Wenn es ein Querschnittsthema gibt, dann ist es ESG“, sagt auch Tina Deutsch, Co-Gründerin und Gesellschafterin der Unternehmensberatung Klaiton. Das Thema komme nun mit Macht – ähnlich wie die Datenschutzgrundverordnung, auf die manche Firmen vorbereitet waren und manche nicht. Nur: „ESG ist viel größer.“ Momentan, so ihre Einschätzung, biete ESG noch eine Chance, damit Geld zu verdienen: „Solange ESG noch lange nicht für alle Unternehmen gilt und auch die Kontrollen noch lange nicht für alle Unternehmen möglich sein werden, lässt sich mit ESG noch ein Wettbewerbsvorteil erzielen.“

Manch große Modekonzerne haben das Ruder rechtzeitig herumgerissen. „Inzwischen gibt es Fast-Fashion-Unternehmen, die einen relevanten Anteil ihrer Gesamtumsätze mit Secondhand-Mode erzielen – weil sie erkannt haben, dass ihr ursprüngliches Geschäftsmodell, das auf dem Wegwerfen von Ein-Euro-T-Shirts basiert, auf Dauer wahrscheinlich nicht funktionieren wird: wegen ESG, aber auch wegen der Nachhaltigkeitsansprüche der Konsumenten.“ Ein klassischer Weg der Transformation: Das Kaufen von Secondhand-Startups und das darauffolgende Etablieren ganzer Secondhand-Prozessketten.

Tod vieler Geschäftsmodelle

„Geschäftszweige und Businessmodelle, die bisher darauf gesetzt haben, zum Beispiel Menschen im globalen Süden auszubeuten oder der Umwelt zu schaden, werden dies unter ESG nicht mehr so einfach tun können“, zeigt sich Tina Deutsch überzeugt. „Ob ich nun Chemikalien in den Fluss schütte oder ob ich bestimmte Gruppen gezielt ausnütze – solche Verhaltensweisen lassen sich dann nicht mehr als Externalitäten abtun, die mich nichts angehen.“ ESG wird potenziell derartige Businessmodelle zerstören. Diese große Bewegung wird ganz neue Zweige der Wirtschaft erfassen, also etwa auch die Immobilienbranche oder den Dienstleistungssektor. „ESG verändert beispielsweise das Portfolio von versicherungsfähigen Produkten total. Wenn ich den Bau eines Gaskraftwerks künftig nicht mehr versichern lassen kann, wird es auch nicht mehr gebaut.“ Kunden und Konsumenten werden für den Nachhaltigkeitsprozess immer wichtiger: „Bei einem großen Unternehmen, das Lichtlösungen für große Hotelketten und Restaurants macht, sagte man mir: ‚Es geht hier nicht nur um die Regulatorik, sondern unsere Kunden wollen unsere Lichtsysteme nicht mehr kaufen, wenn wir ihnen unsere Scope-3-Emissionen – also die Emissionen unserer Zulieferer – nicht transparent und detailliert darstellen können.‘“ 

Jetzt handeln

Sowohl Felix A. Zimmermann als auch Tina Deutsch sind überzeugt: ESG ist ein unternehmerisches Thema. „Allerdings ist die Führungsebene oft das Problem“, so die Klaiton-Gesellschafterin. Wohl aus diesem Grunde tut sich eine große Lücke zwischen der Erkenntnis, etwas tun zu müssen, und dem Tun auf. Von 700 befragten Mittelständlern in Frankreich, Italien, Benelux und Deutschland halten 80 Prozent Klimaschutz für wichtig, Dreiviertel betrachten die grüne Transformation als Chance. Aber nur elf Prozent der Befragten investieren auf diesem Gebiet stark und haben einen Plan für die Verminderung von Treibhausgasen. Jetzt aufzuschließen kann darum eine echte Chance sein – noch.

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Fotostrecke

Dr. Felix A. Zimmermann, Inhaber Unternehmensberatung Voikos

Tina Deutsch, Co-Gründerin Unternehmensberatung Klaiton

(© master1305 − stock.adobe.com)

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