Vor dem befürchteten Bibber-Winter 2022/2023 kam der Hitzesommer. So ist es nur logisch, dass nicht nur über Energiesparmaßnahmen beim Heizen, sondern auch bei der Gebäudekühlung diskutiert wurde und wird. Ein Vorschlag zum reduzierten Stromeinsatz lautet beispielsweise, die Raumtemperatur im Juli und August auf 26 Grad Celsius heraufzusetzen. Das dürfte vielen schon beim Lesen den Schweiß auf die Stirn treiben.
Mehrere Fachverbände weisen in diesem Zusammenhang gemeinsam auf Raumlufttechnische Anlagen (RLT-Anlagen) hin. Diese temperierten die Zuluft, mit der sie die Gebäude versorgten, und erhöhten so den „thermischen Komfort“ im Raum. Mit Energierückgewinnung könne die zugeführte Außenluft nicht nur im Winter erwärmt, sondern auch im Sommer gekühlt werden, heißt es aus der Branche. Die gegebenenfalls erforderliche zusätzliche Energie für die Nachkühlung werde häufig über externe Quellen bereitgestellt. „Durch die Energierückgewinnung und eine Befeuchtung auf der Abluftseite kann eine indirekte adiabatische Verdunstungskühlung bei zentralen RLT-Anlagen realisiert werden“, erklärt Christoph Kaup, Vorsitzender des Fachverbands Gebäude-Klima (FGK). Adiabatisch meint einen Prozess ohne Wärmeaustausch mit der Umgebung. Das System ermögliche eine ökologische, regenerative Kühlung der Räume durch Wasserverdunstung. „Selbst bei einer Außentemperatur von 32 Grad kann mit der indirekten Verdunstungskühlung eine Zulufttemperatur von 22 bis 24 Grad erreicht werden. Damit können mechanische Kältemaschinen entweder deutlich kleiner dimensioniert werden oder gänzlich entfallen“, so Kaup.
Lüftungs-Push durch Corona
Das Beispiel zeigt: Der Technischen Gebäudeausstattung, kurz TGA, kommt wegen der Energiekrise erhöhte Aufmerksamkeit zu. Aber auch aus „normalen“ Einspargründen und Nachhaltigkeitsaspekten denken Unternehmen über Sanierungen oder größere Austauschmaßnahmen nach. Das sagt auch Frank Ernst, Hauptgeschäftsführer des BTGA – Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung, und ergänzt noch einen Aspekt: „Pandemiebedingt erfährt die Lüftungstechnik zurzeit die Aufmerksamkeit, die ihr als Garant einer gesunden Raumluft eigentlich schon immer hätte zustehen müssen. Aktuell nehmen auch die Anforderungen an die Behaglichkeit in Innenräumen zu – und durch die heißen Sommer steigt der Kühlbedarf. Viele gewerbliche Kunden wollen aus Kosten- und Imagegründen ihre Gebäude auch nachhaltig und ohne klimaschädliche Emissionen betreiben.“
Nur: Theoretisch kann die moderne Technik viel leisten – aber was sagt die Praxis? „Technisch ist quasi alles möglich“, sagt Michaela Lambertz vom Institut für Technische Gebäudeausrüstung der TH Köln. „Wir können Bürogebäude so planen und realisieren, dass optimale Arbeitsbedingungen entstehen. Aber wir haben zahlreiche Randbedingungen, die zu berücksichtigen sind und die Frage der ,richtigen’ Technik für Gebäude sehr komplex und herausfordernd machen. Neben regulatorischen Aspekten sind dies z. B. Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit, Komfortanspruch und steigende Außentemperaturen. Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld vor allem zwischen Kosten, Klima und Komfort. Die Erstellung und der Betrieb von Gebäuden muss zum einen bezahlbar sein. Zum anderen ist es, um den Klimawandel abzuschwächen, notwendig, den Energiebedarf für Gebäude stark zu reduzieren“, so die Professorin. Dies stehe im Widerspruch zu hohen Komfortansprüchen. „Wir müssen deshalb den Energiebedarf mit erneuerbaren Energien abdecken. Theoretisch und praktisch kann der Betrieb von Gebäuden umfassend automatisiert werden. So wird eine Optimierung des Energiebedarfs und des Raumklimas möglich. Eine Herausforderung ist hier immer wieder die Bau-
und Bedienbarkeit.“
„Auch in der Praxis leistet die moderne Technik der Gebäudeausrüstung sehr viel“, betont auch Frank Ernst. Beeindruckend sei beispielsweise die Entwicklung im Bereich der Wärmebereitstellung – vom Festbrennstoff über Standardkessel Öl oder Gas, Niedertemperaturkessel, Brennwertkessel, Solarthermie, Wärmepumpe bis hin zur Brennstoffzelle. „Die Technik wird zwar immer komplexer, sie führt aber weg von fossilen Energieträgern und hin zu mehr Energieeffizienz. Ein Problem ist allerdings die nach wie vor viel zu niedrige Sanierungsquote im Gebäudebestand. Sie muss unbedingt gesteigert werden, wenn wir die Energieeinspar- und Klimaschutzziele erreichen wollen.“
Oft fehlt laut Ernst auch noch die Motivation, verschiedene Sektoren zu koppeln. Gemeint ist die Bereitschaft, Energie zwischen verschiedenen Gebäudetypen zu verschieben. „Beispielsweise könnte viel öfter Abwärme aus Rechenzentren oder anderen Prozessen zur Trinkwassererwärmung oder Beheizung genutzt werden – die Technik dafür ist längst vorhanden.“
Sektorkopplung als Standard
Der BTGA-Hauptgeschäftsführer ist nach eigener Aussage von den bevorstehenden Umwälzungen überzeugt: „In 10 bis 15 Jahren, vielleicht auch ein paar Jahre später, wird es Standard sein, dass die Wärme zum Heizen fast vollständig elektrisch oder solarthermisch bereitgestellt wird – auch im Gebäudebestand. Auf fossile Brennstoffe wird verzichtet.“ Grüner Wasserstoff und Biogas bzw. Bioöl würden im Gebäude dagegen wahrscheinlich eine eher untergeordnete Rolle spielen. „Die benötigte Energie muss bedarfsabhängig bereitgestellt werden, Stillstandsverluste müssen vermieden werden. Das gelingt durch eine übergeordnete, vorausschauende Anlagensteuerung und durch die Optimierung über Cloud-Dienste. Auch der mobile Eingriff des Nutzers über eine App wird zum Standard gehören. Der Gebäudeenergieverbrauch und die E-Mobilität werden in den Betrieb der Versorgungsnetze eingebunden sein.“ Und Frank Ernst wiederholt: „Die dafür benötigte Technik bzw. die dafür nötigen technischen Lösungen existieren bereits heute.“ Zum Standard müsse und werde bis dahin aber der systemische Gedanke werden – „also
die Sektorkopplung“.Daniel Boss
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