„Je höher die Erwartungen, desto größer die Enttäuschung“, weiß der Volksmund. Entsprechend groß dürfte die Ernüchterung bei zahlreichen Juristen nach dem Studienabschluss ausfallen. Insbesondere der Beruf des Rechtsanwalts gilt in den Augen vieler junger Menschen als Traumjob. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass die Zahl der Anwälte in den vergangenen Jahren konstant gewachsen ist. Das Bild der glamourösen Kanzleiwelt, das in Film und Fernsehen häufig dargestellt wird, entspricht aber nur selten dem, was Berufseinsteiger erwartet. Zwar gibt es sie, die Top-Kanzleien, die junge Anwälte mit Einstiegsgehältern von 100.000 Euro im Jahr locken, doch wer die beiden Staatsexamen nicht mit Prädikat abschließt, hat kaum eine Chance auf die begehrten Positionen. Stattdessen müssen sich viele Berufseinsteiger mit Dumping-Löhnen herumschlagen. Gründer haben es ebenfalls schwer: Eine Studie des Instituts für Freie Berufe (IFB) zum Berufseinstieg von Rechtsanwälten hat gezeigt, dass selbstständige Anwälte im ersten Wirtschaftsjahr im Durchschnitt einen Gewinn von nur 400 Euro monatlich erzielen.
Konkurrenzkampf wächst
„Der Beruf übt nach wie vor eine hohe Anziehungskraft auf junge Menschen aus. Problematisch ist, dass Studienanfängern an der Universität nicht vermittelt wird, inwiefern sich die Berufssituation in den vergangenen 20 Jahren verändert hat“, sagt Bertil Jakobson, Vorstands-Mitglied des Verbands Deutscher Anwälte. „Eigentlich verdienen Rechtsanwälte mehr, als sie tatsächlich verdienen.“ Aufgrund der steigenden Anwaltszahlen sei ein Überangebot entstanden, das zu einem immer größeren Konkurrenzkampf führe. Der Kuchen werde schließlich nicht größer, sondern lediglich in kleinere Stücke geschnitten. „Gerade für Berufsanfänger ist es in der heutigen Zeit ein ganz hartes Brot. Es gibt viele Kanzleien, die um die Misere der Junganwälte wissen und sie zu völlig unattraktiven Konditionen einstellen“, erklärt Jakobson. „Das heißt: viel Arbeit, aber wenig Kohle.“ Als Junganwalt sei man jedoch froh, überhaupt Berufserfahrung sammeln zu können. „Je nachdem welches Rechtsgebiet man beackert, kann es bei selbstständigen Anwälten unter Umständen auch vorkommen, dass man viel Energie in extrem arbeitsreiche Mandate steckt, die am Ende aber wenig Ertrag bringen. Manchmal richtet sich das Honorar nach dem Gegenstandswert, unabhängig davon, wie lange man an diesem Fall gearbeitet hat.“
Trend zur Spezialisierung
Möchte man erfolgreich sein, kommt es vor allem darauf an, wie man sich positioniert. „Der Trend geht zur Spezialisierung. Es empfiehlt sich, frühzeitig eine Fachanwaltsausbildung zu absolvieren, um sich von Mitbewerbern abzugrenzen.“ Für Mandanten wird somit schnell ersichtlich, wo die Schwerpunkte eines Anwalts liegen. Vom Pferde- über das Agrar- bis hin zum Straf- und Verkehrsrecht – Fachanwälte sind auf die verschiedensten Bereiche spezialisiert. Erst im November 2015 hat die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise den Fachanwaltstitel für Migrationsrecht beschlossen. Insgesamt gibt es mehr als 20 Fachanwaltstitel; maximal drei davon darf ein Anwalt führen. „Man sollte jedoch keine Fälle aus fachfremden Bereichen annehmen“, sagt der Anwalt für Straf- und Verkehrsrecht. „Es ist zwar oft verlockend – besonders für Berufsanfänger –, wenn ein Mandat mit hohem Streitwert auf dem Schreibtisch liegt. Hat man aber keine Ahnung von diesem Rechtsgebiet und es geht schief, tut man sich und vor allem dem Mandanten keinen Gefallen.“ Viele Anwälte haben sich deshalb ein Netzwerk aufgebaut oder kooperieren mit anderen Juristen, an die sie betreffende Fälle weitergeben können. Der Mandant kann sich dann darauf verlassen, dass sich Fachleute um sein Rechtsproblem kümmern. Gerade deshalb würden es Mandanten auch wertschätzen, wenn man nicht jeden Fall annehme, sondern einen Experten empfehle – das fördere Vertrauen. „Wahres Wissen bedeutet zu wissen, was man nicht weiß. Wenn man Zahnschmerzen hat, geht man schließlich auch nicht zum Ohrenarzt.“ Dennoch seien die Generalisten, die alle Bereiche abdecken, ebenfalls äußerst wichtig: „In ländlichen Regionen, in denen Rechtsanwälte rar sind, ist es beispielsweise unabdingbar, dass eine Kanzlei alles anbietet.“
Mehr Kooperationen
Im Trend liegen auch Zusammenschlüsse von zwei oder mehreren Fachanwälten zu größeren Kanzleien. „Diese haben gegenüber Einzelkämpfern den Vorteil, dass sie über einen viel größeren Werbeetat verfügen und sich somit anders positionieren können“, so Jakobson. Außerdem könne man dort mit anderen Kollegen intensiv zusammenarbeiten und müsse damit rechnen, dass ein Kollege hin und wieder einen seiner Fälle an einen anderen Anwalt weitergibt. „Allerdings geht man auch das Risiko ein, dass einer der Partner aus der Reihe tanzt. Da muss das Vertrauen sehr groß sein. Kriminalität gibt es schließlich auch unter Anwälten. In einer Einzelkanzlei kann man nur selbst Fehler machen und so das Haftungsrisiko besser kontrollieren.“ Einzelkanzleien hätten aufgrund des niedrigeren Budgets aber einen Wettbewerbsnachteil. Immer häufiger schließen sich Rechtsanwaltskanzleien auch mit Angehörigen anderer Berufsgruppen wie Patentanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern oder vereidigten Buchprüfern beruflich zusammen. „Es gibt Kombinationen, die durchaus attraktiv sind und für alle Beteiligten eine Win-win-Situation darstellen. Das hängt davon ab, welche Expertise man mitbringt.“ Seit Februar dürfen sich Rechtsanwälte auch mit Ärzten und Apothekern zusammenzuschließen. Das bisher geltende Verbot wurde vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Festzustellen ist in der Branche außerdem eine zunehmende Digitalisierung. In wenigen Jahren sollen der elektronische Rechtsverkehr und die elektronische Akte (eAkte) für papierlose Schreibtische in der Justiz sorgen. Allerdings verläuft die digitale Entwicklung nicht so schnell wie erwartet: Die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs, das zum 1. Januar 2016 starten sollte, wurde beispielsweise vorerst verschoben. „In deutschen Kanzleien wird schon viel Digitaltechnik genutzt. Allerdings ist es nicht sinnvoll, Anwälten den Einsatz von digitalen Medien vorzuschreiben. Wer 30 Jahre mit der Papierakte gearbeitet hat, sollte nicht gezwungen werden, kurz vor Ende der Dienstzeit bewährte Arbeitsweisen umzustellen“, ist sich der Rechtsanwalt sicher.
Anwalt als Vertrauensperson
Für die Qualität eines Anwalts ist der digitale Faktor ohnehin nicht entscheidend. „Die fachliche Ausbildung ist das A und O, aber auch Soft Skills sind wichtig.“ Schließlich müsse man im juristischen Arbeitsalltag verschiedene Rollen übernehmen und beim Umgang mit Mandanten auch als Psychologe oder Vertrauensperson agieren. Ein guter Anwalt besitzt die Fähigkeit, sich individuell auf den einzelnen Mandanten einzustellen. „Das ‚One size fits all‘-Prinzip funktioniert in unserer Branche nicht, da jeder Mandant anders ist. Man sollte die Fähigkeit haben, sich dem Gesprächsverhalten des Gegenübers anzupassen, Empathie mitbringen und herausarbeiten können, worauf es dem Mandanten ankommt.“ Wichtig ist es auch, direkt zu Beginn über die Kosten aufzuklären. „Viele Streitereien sind überflüssig. Wenn man einem Mandanten vor Augen führt, wie hoch die Kosten sind, zieht er vielleicht lieber die Reißleine, weil ihm die Auseinandersetzung doch nicht so viel wert ist.“ Vor allem zeichnet sich ein guter Rechtsanwalt aber durch Offenheit und Ehrlichkeit aus. Wichtig ist, dass der Mandant Antworten auf Fragen und Informationen über Risiken bekommt. „Manchmal ist das, was der Anwalt nicht sagt, entscheidender als das, was er preisgibt.“ Jessica Hellmann | redaktion@regiomanager.de
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