2017 und vor allem 2018 waren recht gute Jahre für den deutschen Stahlhandel. Die Lagerabsätze konnten in diesem Zeitraum gesteigert werden. Im vergangenen Jahr wurden, wie der aktuellen Abnehmergruppenanalyse des Bundesverbands Deutscher Stahlhandel (BDS) zu entnehmen ist, 11,2 Millionen Tonnen Walzstahlerzeugnisse abgesetzt, was einem Plus von 1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Ende des Jahres wurden demnach Bestände in Höhe von 2,22 Millionen Tonnen gemeldet. Das sind fast fünf Prozent mehr, als Ende Dezember 2017 auf Lager waren. Bei den einzelnen Produkten konnte erneut der Betonstahl ein Plus verzeichnen, wenngleich dieses lediglich 0,6 Prozent betrug. Ebenfalls zulegen konnten Formstahl und Breitflanschträger, Bandblech und insbesondere oberflächenveredelte Bleche – hier lag das Plus bei satten 4,8 Prozent.
Bei der Verteilung nach Bundesländern lag NRW weiterhin unangefochten an der Spitze. Rund 48 Prozent der Lagerabgänge wurden an Rhein und Ruhr abgewickelt. Die Nummer zwei, Baden-Württemberg, kam 2018 auf gerade einmal 15 Prozent. Der traditionell hohe Anteil ist laut BDS der Tatsache geschuldet, dass in NRW überdurchschnittlich viele Zentralläger und Service-Center ihren Sitz haben, „die ebenso Verbraucher außerhalb der Landesgrenzen bedienen und im Händler-Händler-Geschäft eine bedeutende Rolle spielen“. Die Kundengruppen verteilten sich wie folgt: An erster Stelle der Abnehmer (mit 21 Prozent) stand im vergangenen Jahr der Fahrzeugbau mit seinen Zulieferern. Es folgten der Stahlbau (19 Prozent) und die Bauwirtschaft (17 Prozent).
Bauwirtschaft weiter robust
So weit die guten Nachrichten. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 2019 musste die Branche allerdings einen Mengenrückgang von fünf Prozent verkraften. „Dies ist der konjunkturellen Lage geschuldet, die von Unsicherheit aufgrund der aktuellen Handelskonflikte geprägt ist“, sagt BDS-Prokurist Jörg Feger. Hierunter litten bekanntermaßen u. a. der Automobil- und der Maschinenbau. „Die Bauwirtschaft ist weiterhin sehr robust.“ Exakte Zahlen wurden noch nicht veröffentlicht.
Der Stahlhandel bezieht seine Produkte auf der ganzen Welt. Seine aktuelle Lage ist mit jener der hiesigen Produzenten – die in die ganze Welt exportieren – also nur bedingt vergleichbar. Die Interessen können sogar gegenläufig sein. Dennoch lohnt natürlich auch aus Händler-Sicht der Blick auf die Herausforderungen der deutschen Stahlindustrie. Und die muss sich vor allem mit den Folgen der Trump’schen Wirtschaftspolitik herumschlagen. Anfang Juli wurden die zollfreien Importmengen (Kontingente) der sogenannten Safeguard-Maßnahmen der EU um fünf Prozent erhöht. Bereits im Februar hatte die Europäische Kommission eine Erhöhung dieser Quoten um fünf Prozent veranlasst.
Aus Sicht der Stahlindustrie, vertreten durch die Wirtschaftsvereinigung Stahl, sind die Maßnahmen zumindest so nicht geeignet, die massiven Handelsumleitungen von Stahl in den europäischen Markt wirkungsvoll zu begrenzen und die Stahlunternehmen in der EU vor Schaden zu bewahren. Der Hintergrund: Infolge der Einführung eines pauschalen Wertzolls von 25 Prozent auf alle Stahlimporte durch die US-Regierung im Frühjahr des vergangenen Jahres ist es laut Wirtschaftsvereinigung zu „massiven Handelsumleitungen in den freien und ungeschützten EU-Markt gekommen“. Um die EU vor einer Schädigung zu schützen, führte die EU-Kommission im letzten Sommer vorläufige Safeguard-Maßnahmen ein. „Diese stehen im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) und haben das alleinige Ziel, die Verwerfungen aus den US-Maßnahmen im europäischen Markt einzugrenzen.“ Seit Februar 2019 gelten nun für die Stahlindustrie endgültige Safeguard-Maßnahmen mit einer Laufzeit bis Juli 2021.
„Die Stahlindustrie in Deutschland und Europa braucht dringend einen wirksamen Schutz vor den Umleitungseffekten des US-amerikanischen Protektionismus“, betont Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, der zugleich die „Lockerung der Safeguard-Maßnahmen“ von Anfang Juli kritisiert. „Das ohnehin schon löchrige Schutzklauselsystem wird dadurch weiter erheblich geschwächt. Im Rahmen des nun anstehenden Überprüfungsverfahrens muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass diese Fehlentwicklungen von der Europäischen Kommission korrigiert und auch die anderen Konstruktionsfehler bei der Ausgestaltung der Maßnahmen
behoben werden.“
Bekenntnis zu „Paris“
Ein weiteres großes Thema ist der Klimaschutz. Die Stahlindustrie bekennt sich zum Pariser Abkommen. Durch Einführung neuer Technologien und Ausschöpfung bestehender Potenziale könne das Ziel einer CO2-neutralen Stahlerzeugung bis 2050 technisch erreicht werden, heißt es von der WV Stahl. Dieser Prozess stelle die Industrie allerdings vor erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen. Eine CO2-arme Stahlproduktion in Deutschland ist nur möglich, wenn gegenüber den internationalen Wettbewerbern keine Kostennachteile entstehen. Daher seien grundlegende Veränderungen in den politischen Rahmenbedingungen erforderlich. „Richtig gesetzte Rahmenbedingungen in den Bereichen internationale Wettbewerbsfähigkeit, Forschung sowie energiewirtschaftliche Infrastruktur sind Voraussetzungen dafür, dass die Stahlunternehmen einen entscheidenden Beitrag zur CO2-Reduzierung bis 2050 leisten können“, erklärt Kerkhoff. „So muss eine verlässliche und bezahlbare Versorgung mit Strom, Gas und Wasserstoff
sichergestellt werden.“
In erster Linie ist eine „Transformation der Primärstahlerzeugung“ unerlässlich. Hier arbeite man vor allem an Prozessen, bei denen anders als heute Eisenerze mit Wasserstoff statt mit Kohlenstoff reduziert und anschließend zu Stahl weiterverarbeitet werden, sowie an einer weiteren Nutzung und Kreislaufführung des Kohlenstoffdioxids im industriellen Wertschöpfungsverbund.
Ein weiterer Baustein zur Reduzierung der CO2-Emissionen ist die schrottbasierte Elektrostahlproduktion: „Mit ihr steht bereits heute für rund 30 Prozent des erzeugten Rohstahls ein treibhausgasärmeres Verfahren zur Verfügung. Für eine weitere deutliche Reduktion müssen die erneuerbaren Energien im Strommix weiter ausgebaut und zugleich wettbewerbsfähige Strompreise gesichert werden. Die limitierte Verfügbarkeit an Stahlschrott und die Produktportfolios der Verfahrensrouten begrenzen jedoch grundsätzlich den Anteil der schrottbasierten Elektrostahlproduktion.“ Mit „Verfahrensrouten“ sind die beiden Stahlerzeugungsprozesse im Oxygenstahlverfahren mit Hochofen und Konverter sowie im Elektrostahlverfahren gemeint. Daniel Boss | redaktion@regiomanager.de
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