Recht & Finanzen

Arbeitszeiterfassung: Das „Stechuhr-Urteil“ und seine Folgen

Arbeitsrechtler Jan Ludwig von der Xantener Kanzlei Kreutz & Partner über die Entscheidung des EuGH.

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Kreutz & Partner

28.06.2019
Jan Ludwig ist Partner der Kanzlei Kreutz & Partner in Xanten

NRM: Herr Ludwig, was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erfahren haben?

Jan Ludwig: Bislang waren Fälle, in denen Arbeitnehmer Überstunden bezahlt verlangten und dies auch gerichtlich durchsetzen wollten, für Arbeitgeber oftmals relativ „dankbar“. Die Arbeitnehmer sind insoweit voll in der Beweispflicht. Diesen Beweis zu führen war für Arbeitnehmer bislang oft schwierig bis unmöglich. Dies ändert sich jetzt ein Stück weit, zumindest was den Nachweis der Anwesenheit anbelangt. Der nächste Gedanke war natürlich das Thema Bürokratie für die Arbeitgeber. Aus Arbeitnehmersicht ist die Entscheidung natürlich zu begrüßen.

NRM: Warum musste der EuGH überhaupt in dieser Sache entscheiden?

Jan Ludwig: Eine Gewerkschaft in Spanien hat gegen die Deutsche Bank geklagt. Ziel war es, festzustellen, dass die Bank verpflichtet ist, die Arbeitszeit der Mitarbeiter vollständig zu erfassen. Es geht darum, die Einhaltung der Arbeitszeit kontrollieren zu können, und auch, um die Bezahlung von Überstunden sicherzustellen. Da das spanische Gericht einen Konflikt zwischen EU-Recht und spanischem Recht gesehen hat, hat es den EuGH gefragt, ob die Rechtslage in Spanien, die nur die Aufzeichnung von Überstunden fordert, mit europäischem Recht vereinbar sei. Dies hat der EuGH verneint. Aus deutscher Sicht ist dies auch von Interesse, da das deutsche Arbeitszeitgesetz – abgesehen von Minijobbern und bestimmten Branchen – bislang nur die Erfassung von Überstunden anordnet.

NRM: Was bedeutet das Urteil hier und heute für Unternehmen?

Jan Ludwig: Der EuGH hat entschieden, dass die bloße Aufzeichnung von Überstunden nicht genügt, sondern dass die gesamte Arbeitszeit zu erfassen ist, um überhaupt feststellen zu können, ob Überstunden geleistet wurden. Unmittelbar ändert sich für die Unternehmen zunächst nichts. Die Gesetzgeber in den Mitgliedsstaaten der EU müssen jetzt gegebenenfalls tätig werden. Daraus werden jedoch sicherlich gesteigerte
Aufzeichnungspflichten resultieren.
 

NRM: Wie könnte es denn nun konkret in Deutschland weitergehen?

Jan Ludwig: Zunächst ist der deutsche Gesetzgeber gefordert, das Arbeitszeitgesetz anzupassen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat hierzu bereits ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Im Ergebnis könnte – so haben es die Richter des EuGH bereits angedeutet – eine generelle Verpflichtung zur Zeiterfassung beispielsweise mit Ausnahmen für kleinere Unternehmen kommen. Es gibt mehrere Schwellenwerte, die hierfür übernommen werden könnten. Das Kündigungsschutzgesetz greift z.B. erst oberhalb von zehn Vollzeitkräften, einen Anspruch auf Brückenteilzeit gibt es erst bei mehr als 45 Arbeitnehmern. Auch leitende Angestellte, für die das Arbeitszeitgesetz nicht gilt, dürften wohl weiter ausgenommen bleiben.

NRM: Aus der Wirtschaft waren nach dem Urteil sehr kritische Stimmen zu lesen und zu hören: Sehen Sie auch Chancen
für Firmen?

Jan Ludwig: Es mag Fälle geben, in denen Mitarbeiter Vertrauensarbeitszeit ausgenutzt haben. Insofern bietet die Einführung einer Zeiterfassung natürlich Kontrollmöglichkeiten. Auch für die längerfristige Personalplanung kann es nützlich sein, solche Daten zu besitzen. Aus Sicht der Unternehmen dürfte jedoch der zusätzliche Bürokratieaufwand im Vordergrund stehen und mögliche Schwierigkeiten damit, Arbeit flexibilisieren zu können. Für die Zeiterfassung gilt es, möglichst einfache technische Lösungen zu finden, die jedoch in vielen Branchen, die bereits jetzt die Arbeitszeit voll erfassen, schon im
Einsatz sind.

NRM: Welche weiteren europäischen Urteile aus jüngerer Zeit sind für
Arbeitgeber bedeutsam?

Jan Ludwig: Zuletzt hat der EuGH z.B. entschieden, dass Rufbereitschaft dann als Arbeitszeit anzusehen ist, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, im Falle des Falles innerhalb weniger Minuten im Betrieb zu sein. Die „Bewegungsfreiheit“ des Arbeitnehmers ist in einem solchen Fall so stark eingeschränkt, dass von Freizeit hier keine Rede mehr sein kann.

NRM: Haben Sie ein weiteres Beispiel?

Jan Ludwig: Wichtig sind noch die Entscheidungen des EuGH zum Verfall von Urlaubsansprüchen vom vergangenen Jahr. Der gesetzliche Mindesturlaub von vier Wochen darf nicht mehr einfach zum Jahresende verfallen, wenn der Mitarbeiter keinen Urlaub beantragt hat. Zumindest sollten Arbeitgeber ihre Mitarbeiter regelmäßig darauf hinweisen, dass sie Urlaub beantragen müssen und dass ansonsten der Urlaub verfällt. Ob Arbeitgeber zur Vermeidung der Übertragung ins nächste Jahr sogar verpflichtet sind, ihre Mitarbeiter in den Urlaub zu schicken, wenn diese keinen beantragen, bleibt abzuwarten. Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung gründlicher Vertragsgestaltung. Im Arbeitsvertrag sollte zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vertraglich vereinbarten Zusatzurlaub unterschieden werden. Sind z.B. 30 Urlaubstage vereinbart, ist es zulässig, die zehn Urlaubstage, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus gewährt werden, verfallen zu lassen und auch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten. Dies muss jedoch vertraglich geregelt werden. Daniel Boss | redaktion@regiomanager.de

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