Wie viel PS hat Ihr Auto? Wissen Sie nicht? Und jetzt erinnern Sie sich einmal an den Moment, als Sie zum ersten Mal in diesem neuen Auto saßen, das Zucken Ihres großen Zehs sorgte bereits für mächtig Vorschub, die Beschleunigung drückte Sie in den Sitz und hätten Sie keine Ohren gehabt, hätten Sie im Kreis gegrinst.
So ging es mir, als ich das erste Mal in einem Auto mit über 300 PS saß. Ich, die von den Forderungen meines Umfelds, mir endlich mal ein Auto mit mehr Leistung zu kaufen, immer vollkommen unbeeindruckt war. Und zwar genau so lange, bis ich selbst am Steuer saß und mir an der Ampel die Arme lang wurden, sobald sie auf grün schaltete.
Was ist eigentlich Storytelling?
Genauso funktioniert Storytelling. Mit Storytelling verpacken Menschen Zahlen, Daten und Fakten, die zu einem Ohr rein und zum anderen wieder hinaus gehen würden, in packende Geschichten, die Leser und Hörer nicht mehr vergessen. Geschichten werden von unserem Gehirn anders verarbeitet als reine Informationen. Wenn Menschen eine Geschichte hören, im besten Falle eine mit einer spannenden Wendung, mit Herausforderungen, mit Gefahr, dann fiebern sie mit. In ihren Köpfen entstehen Bilder, das Gehirn geht mit einer guten Story um, als hätte man sie selbst erlebt. Deswegen bleiben Geschichten länger im Kopf und deswegen versuchen auch alle möglichen Menschen, sich diese Taktik zunutze zu machen. Doch gerade in Unternehmen wird das Potenzial der Geschichten oft noch nicht ausgeschöpft. Kommunikationsberaterin Petra Sammer fordert: „Wir müssen weniger präsentieren und mehr erzählen. Die meisten Gespräche, Präsentationen und Vorträge finden in einer asymmetrischen Kommunikationssituation statt. Das heißt Sender und Empfänger, diejenigen die etwas präsentieren und diejenigen die zuhören, teilen nicht die gleichen Interessen oder haben nicht das gleiche Verständnis. In der Regel sind sie auch nicht beide gleich stark auf das Gesagte konzentriert. Diese Situation nennt man asymmetrische Kommunikationssituation. Und im Geschäftsalltag ist das eigentlich die Regel. In so einer Situation ist emotionale Kommunikation, “Storytelling”, der rationalen Kommunikation, dem “Präsentieren”, haushoch überlegen. Denn emotionale Kommunikation spricht alle Gehirnregionen an. Nicht nur die logische Seite, auf der wir Sprache und Fakten registrieren, sondern Geschichten arbeiten mit Emotionen, sie binden die Erfahrungen der Zuhörer ein und bieten eine Identifikationsplattform. Oft identifizieren wir uns mit den Personen in Geschichten – und können und daher Stories wesentlich besser merken als Daten. Storytelling ist daher eine ganz notwendige Alternative zu rationaler Kommunikation und eine essentielle Fähigkeit, die jede Führungskraft beherrschen sollte.“
Die Geschichte der Geschichten
Auch unsere Vorfahren haben sich bereits für Geschichten begeistert. Die Vorlage für unser heutiges Business Storytelling findet sich an Lagerfeuern, die vor etwa 200.000 Jahren brannten. Später waren es Märchen und Fabeln, die mit moralischen Ansätzen versuchten, die Hörer zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Während für Aristoteles noch die Handlung einer Geschichte im Fokus stand, zeigen heutige Forschungsergebnisse, dass es eher die Charaktere in den Geschichten sind, ihre Absichten, Motivationen und Überzeugungen. Menschen identifizieren sich mit den Figuren in Geschichten und genau deswegen wirken sie auch so gut und bleiben im Gedächtnis. Dieses Nachfühlen ist das, was wir Empathie nennen. Wenn Hörer oder Leser sich in einer Geschichte verlieren, dann, weil sie die Emotionen nachfühlen, weil sie sich mit der Motivation der Figuren auseinandersetzen. Die Gefühle also sind es, die die Verbindung schaffen. Denn Gefühle schaffen im Gehirn das, was rationale Fakten nicht vermögen. Sie schlagen die Brücke zum eigenen Ich, sie involvieren Menschen, sie geben ein gutes Gefühl und schaffen Vertrauen.
Was kann Storytelling für das Geschäft tun und kann man das lernen?
Storytelling kann im geschäftlichen Leben sehr positive Auswirkungen haben. Product Placement, also das Zeigen von Produkten, etwa in Filmen, ist ein Milliardengeschäft. Warum? Weil das Produkt so hervorragend in eine Geschichte eingebettet ist. Doch Vorsicht, wirksames Geschichtenerzählen braucht Übung. Eine langweilige oder nicht authentisch wirkende Geschichte kann schnell das Gegenteil bewirken. Menschen schalten ab, langweilen sich oder fühlen sich im schlimmsten Fall an der Nase herumgeführt. Doch demjenigen, dem es gelingt, mit Geschichten überzeugend Emotionen zu wecken, der wird eine erhöhte Bindung zu Kunden und Mitarbeitenden bemerken.
„Gerade im Mittelstand ist eine gute Story nicht nur „nice to have“, sondern überlebensnotwendig. Denn: Der Mittelstand hat häufig abstrakte und erklärungsbedürftige Produkte, die sich mit einer guten Story sehr viel einfacher verkaufen lassen als mit Zahlen, Daten, Fakten. Viele mittelständische Unternehmen können mit Gründerpersönlichkeiten beeindrucken, die oft sogar Inhaber des Unternehmens sind. Hier keine spannende „Personal Story“ zu erzählen heißt, sich unter Wert zu verkaufen. Und zuletzt: Den Fachkräftemangel besiegt man nicht mit austauschbaren Linked-In Posts und Selbstbeweihräucherungen, die verlautbaren, wie „divers“, „innovativ“, „purposeful“ und „people oriented“ man doch ist. Nein, Talente kommen zu Unternehmen, weil ihnen die Menschen dort gefallen. Und diese Menschen müssen eine Story erzählen, die einzigartig und wiedererkennbar ist.
„Keine Story zu erzählen ist unterlassene Hilfeleistung; für Kunden, Mitarbeiter und Talente.“
Prof. Dr. Veit Etzold
Inzwischen gibt es unzählige, teilweise selbsternannte, Expertinnen und Experten, die mit Storytelling-Kursen, Akademien und Workshops ihr Wissen unter die Leute bringen. Also ja, man kann Storytelling lernen. Was man dazu braucht? Fingerspitzengefühl und Empathie, Wissen um dramaturgischen Aufbau von Geschichten sowie Zeit und Geduld. Schreiben lernt man nicht über Nacht. Lesen hilft, ein Verständnis für Geschichten zu entwickeln, auch aus Filmen kann man lernen, wie Storytelling funktioniert, denn oft haben Geschichten ähnliche Grundgerüste.
Vorlagen für Business Storytelling
Es gibt verschiedene Handlungen, die sich perfekt für Storytelling eignen, einfach weil wir Menschen sie mögen. Wir fiebern gerne mit, Abenteuer von der Couch aus zu erleben ist weitaus ungefährlicher als im realen Leben und ganz besonders identifizieren wir uns mit den Charakteren von Geschichten.
Spätestens seit Odysseus ist die Suche ein gängiger Plot und sie taucht immer wieder auf. Sei es im Herren der Ringe oder bei Indiana Jones. Der Held muss an einem fernen Ziel eine Mission erfüllen. Für Unternehmen ist die Heldenreise ein ganz wunderbares Mittel, denn als strategisches Ziel stehst bereits fest, was eigentlich gesucht wird, nur der Weg dahin ist ungewiss, es werden Gefährten oder Partner gebraucht, es gilt, Hürden und Gefahren zu überwinden.
Perfekt für Start-Ups ist das Schema „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Kaum jemand kennt nicht die Geschichte der legendären Garage, in der Apple gegründet wurde. Solche Geschichten wecken Sehnsüchte, spenden Hoffnung und sind daher ungeheuer wirksam. Denken wir nur an Aschenputtel oder Pretty Woman.
Auch der Kampf gegen das Böse ist ein beliebter Plot für Business Storytelling. Hier reihen sich natürlich besonders Unternehmen und Institutionen ein, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Welt ein Stück besser zu machen, Nachhaltigkeit könnte also ein Thema für eine passende Story sein.
So geht gelungenes Storytelling
Mit Sicherheit erinnern Sie sich noch an den Edeka-Weihnachtswerbespot aus dem Jahr 2015. Ein älterer Herr verbringt jahrelang allein das Weihnachtsfest. Keiner kümmert sich, keiner scheint sich für ihn zu interessieren. Schließlich erhält die Familie die Nachricht, der Großvater sei verstorben. Doch die Trauerfeier ist eigentlich ein Weihnachtsfest, an dem endlich einmal die ganze Familie zusammen kommt. „Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?“, fragt der Senior am Ende. Wäre stattdessen der Fakt präsentiert worden, dass viele Senioren zur Weihnachtszeit allein sind und man sich um sie kümmern solle, wäre der Spot sicherlich nicht so eingeschlagen.
Wie etabliert man Storytelling im Unternehmen?
Ein Anfang wäre es, bei der nächsten Betriebsversammlung nicht nur die Umsatzzahlen herunterzurattern und sich dafür mächtig auf die Schulter zu klopfen. Wie wäre es stattdessen, Mitarbeitende zu Wort kommen zu lassen, wie sie ihren Beitrag zu einem sensationellen Ergebnis geleistet haben, trotz welcher Widrigkeiten sie ihren Job machen und warum sie sich im Unternehmen wohlfühlen? Erzählen Sie die Geschichten ihrer Kunden, sprechen sie von Herausforderungen, vom eigenen Antrieb und zeigen Sie Persönlichkeit. Um erfolgreich Storytelling im Unternehmen, also im Marketing, im Vertrieb aber auch in der HR zu etablieren, braucht es immer jemanden, der das Potenzial einer Geschichte sieht und jemanden, der sie in Worte oder Bilder kleiden kann. Ideal ist es, wenn das in Personalunion passiert, aber es ist kein Muss. Holen Sie sich bei jeder Geschichte auf jeden Fall Experten aus dem entsprechenden Fachbereich. Und wenn Sie niemanden im Unternehmen haben, der Ihre Geschichte als Text oder Video zum Leben erweckt, dann holen Sie sich externe Hilfe.
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