Es erscheint paradox: Auf der einen Seite sind „die älteren Generationen die einzige wachsende Mitarbeiter- und Kundengruppe und aktuell im Durchschnitt auch die vermögendste. Sie entscheiden zum Beispiel mit ihrem Kaufverhalten über die Existenz der Unternehmen in fast allen Branchen und von ihrer Bereitschaft, länger zu arbeiten, wird es abhängen, ob die massiven demografischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt bewältig werden“. Das sagt der Berater und Autor Helmut Muthers, der sich seit Jahren intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Unter anderem ist er seit 2011 Landes-Geschäftsführer Nordrhein-Westfalen des Bundesverbandes Initiative 50plus.
Doch auf der anderen Seite hat genau jene an sich starke Gruppe seiner Aussage nach keine Interessenvertretung in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, die ihrer Bedeutung angemessen ist. „Wir brauchen ein anderes Altersbild, das den heutigen Gegebenheiten gerecht wird. Wenn sich heute 60-Jährige zehn Jahre jünger fühlen, hat es keinen Sinn, sie mit gefühlt 50 aufs Abstellgleis oder aus angeblichen Kostengründen frühzeitig in die Rente abzuschieben“, meint Muthers. In den letzten 100 Jahren habe sich die Lebenserwartung fast verdoppelt und die wenigsten hätten Lust, „nach der Rente 30 Jahre lang im Schaukelstuhl vor dem Fernseher auf ihren Tod zu warten“. Er ist sich sicher: „Viele wollen gebraucht werden und suchen die sozialen Kontakte. Andere müssen arbeiten, um sich ihre karge Rente aufzubessern.“
Ein Problem: das Image
Ein großes Problem sei das Ansehen: „Insgesamt haben ältere Menschen in unserem Land ein eher negatives Image, anders als in anderen Regionen dieser Welt, wo sie ob ihrer Weisheit und Lebenserfahrung wertgeschätzt sind.“ Mehr als deutlich werde das beim Wort „Senior“, das in unseren Breitengraden eher negativ besetzt sei. „Wenn in einer Firma Mitarbeitern ab 50 die Teilnahme an der Senioren-Betriebssportgruppe empfohlen oder ein Ansprechpartner für die besonderen Probleme älterer Menschen angeboten wird, hat das eher geringschätzenden und ausgrenzenden Charakter“, so Helmut Muthers.
Ähnlich äußert sich Marion Kopmann. Die Unternehmerin hat vor einigen Jahren eine Beraterfirma mit dem vielsagenden Namen Silberrücken GmbH gegründet. Außerdem betreibt die Frankfurterin die Plattform Masterhora für den Austausch und die Vernetzung. Immer geht es dabei um die „Potenziale 50plus“. „Leider“, so Kopmann, „halten sich immer noch in weiten Teilen der Bevölkerung die ‚alten Stereotypen‘ in Bezug auf ältere Mitarbeiter.“ Diese sind ihrer Erfahrung nach im Wesentlichen „defizitorientiert“, das heißt, man geht von einem Verlust bzw. Rückgang der (gesundheitlichen) Kräfte, der eigenen Motivation, der Innovationsfähigkeit und der allgemeinen Leistungs- und Lernbereitschaft sowie von einem Anstieg der Krankheitstage aus. Hinzugekommen sei in den letzten Jahren, dass ihnen die „dringend erforderliche“ digitale Kompetenz abgesprochen werde. „Zudem gelten sie als zu teuer und – insbesondere bei ehemaligen Führungskräften – als nicht bereit, sich unterzuordnen oder in der Hierarchie einen ‚Schritt zurückzugehen‘“. Im Gegenzug werde älteren Mitarbeitern zwar attestiert, dass sie mehr Erfahrungen hätten und deswegen schneller seien, besser wüssten, „was Sache ist“, und ein hohes soziales und Fachwissen hätten. „Aber dies ist ein zweischneidiges Lob, da es mit der Kritik einhergeht, dass ältere Mitarbeiter deswegen nicht mehr ‚Change-fähig‘ seien.“
Abschied von den „Babyboomern“
Sowohl Marion Kopmann als auch Helmut Muthers vertreten die Meinung, dass Unternehmen ganz bewusst auf solche Mitarbeiter setzen sollten. Und lassen u. a. die Zahlen sprechen: „In den nächsten 15 Jahren scheiden nach den heutigen Bedingungen rund 20 Millionen ‚Babyboomer‘, also die Jahrgänge 1950 bis 1965, aus dem Arbeitsleben aus“, so Muthers. „Diese Zahl lässt sich mit den jungen Generationen nicht ausgleichen.“ Und: „Ältere Mitarbeiter sind leistungsfähig. Es gibt weltweit keine einzige Studie, die beweist, dass die Produktivität mit zunehmendem Alter sinkt. Es gibt aber unzählige Studien, die das genaue Gegenteil beweisen, ihre Leistungsfähigkeit wächst.“ Ältere Mitarbeiter hätten naturgemäß andere Fähigkeiten als jüngere. „Sie bringen Erfahrung, Disziplin, Übersicht, ausgewogenes Sozialverhalten, Ruhe, Ausgeglichenheit, Flexibilität, funktionierende Netzwerke und langjährig gewachsene Kundenbeziehungen mit. Sie sind weniger karriere- und statusorientiert.“
Für Marion Kopmann stellen Mitarbeiter „50plus“ eine wichtige Ressource im Unternehmen dar, da sie einerseits das „Gedächtnis der Firma“ sind, viel Wissen auf sich vereinen und oftmals über „enorme Netzwerke“, beispielsweise zu Lieferanten, verfügten. „Sie helfen, bereits gemachte Fehler zu erkennen und in die lebendige DNA des Unternehmens einzuspeisen. Dieses Fakten- und Erfahrungswissen kann sie zu einer wichtigen Quelle für Verbesserungsprozesse und Innovationsmanagement machen.“ Bei altersgemischten Teams kämen die jeweiligen Stärken aus unterschiedlichen Perspektiven zusammen: „Erfahrungswissen ergänzt durch frisches Uni-Wissen, erworbene Ruhe ergänzt durch Sturm und Drang, bekannte, bewährte Wege ergänzt durch frisches Ausprobieren.“
Die Unternehmen müssen, findet Helmut Muthers, die „Vielfalt ihrer Belegschaftsstrukturen“ leben. Die Zusammenarbeit von Alt und Jung werde zum Erfolgsfaktor. „Funktionieren wird es allerdings nur, wenn die Führungskräfte und das Personalmanagement es wollen. Altersgemischte Teams haben einen Wert in sich. Sie bringen die Generationen zusammen und sie beugen einer Entfremdung der Altersgruppen vor.“
Die Digitalisierung sieht der NRW-Vertreter der Initiative 50plus nicht als große Hürde. „Eine der größten Käufergruppen bei Tablets und Smartphones sind die Menschen zwischen 50 und 60. Die einfache Nutzung ist einer der wichtigsten Gründe. Und immer mehr Ältere wissen die Einkaufsmöglichkeiten im Internet mit ihren Vorzügen, zum Beispiel bei Preis und Lieferung, zu schätzen. So ist es auch keine Besonderheit mehr, wenn heute über 80-Jährige ihre Tageszeitung abbestellen oder ihren Urlaub online buchen.“ Auch Computerspiele seien nicht mehr nur etwas für pubertierende Teenies. Kurz: „Alter und Technik sind kein Widerspruch.“ Der Aufbruch in die digitale Zukunft sei ohne die älteren Mitarbeiter undenkbar. Aber: Wer sie mitnehmen wolle, müsse seinen Fokus auf die Weiterentwicklung ihrer digitalen Fähigkeiten richten. Daniel Boss
| redaktion@regiomanager.de
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