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Netzwerke & Allianzen: Beziehungskisten in der Wirtschaft

In den letzten Jahren wurde die Wirtschaft gleich mehrfach durchgeschüttelt: Corona, Lockdown, Lieferengpässe, Immobilienboom & Personalnot, Ukrainekrieg, Rezession und jetzt auch noch ChatGPT. Es ist höchste Zeit, dass auch Mittelständler sich mit den Themen Kooperationen und Allianzen auseinandersetzen.

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von Regiomanager 22.03.2023
(© ­­­ASDF − stock.adobe.com)

REGIO MANAGER: Welchen Nutzen haben Kooperationen zwischen Unternehmen?
Professor Sascha Albers: Kooperationen werden in der Regel geschlossen, um Probleme eines Unternehmens zu lösen oder Chancen zu realisieren, die es alleine nicht hinreichend lösen oder realisieren kann. Strategische Kooperationen sind langfristig ausgelegt und sollen Unternehmen helfen, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, und dies funktioniert nur, wenn – Achtung – alle Partner davon profitieren. Kooperationen ermöglichen den Zugriff auf Ressourcen und Fähigkeiten, die dem eigenen Unternehmen zumindest temporär fehlen. Dabei kann es sich um komplementäre Ressourcen und Fähigkeiten handeln, wenn beispielsweise das Biotechunternehmen einen neuen Wirkstoff entdeckt und das große Pharmaunternehmen die klinischen Studien und Distribution übernimmt, oder auch um das Poolen von gleichen Ressourcen und Fähigkeiten, um Größen- und Zeitvorteile zu erzielen: Wenn z.B. Volkswagen und Ford bemerken, dass sie den Trend zum Van verschlafen haben, und daher gemeinsam ein solches Modell möglichst schnell entwickeln und produzieren müssen. Firmen brauchen also immer dann Partner, wenn es zu teuer ist oder zu lange dauert, etwas selbst zu machen.

RM: Wie lassen sich Unternehmens-Kooperationen sinnvoll einteilen?
Prof. Albers: Strategische Allianzen sind vertragsbasierte, langfristige Kooperationen zweier Unternehmen zum gegenseitigen Vorteil. Es gibt rein vertragliche Allianzen; „Vertrag plus“ schließt dagegen eine Kapitalbeteiligung oder gar ein Joint Venture ein. Allianzen mit mehr als zwei Partnern werden „mulitilaterale Allianzen“ oder strategische Netzwerke genannt, z.B. die Fluglinien-Kooperation Star Alliance unter Einschluss der Lufthansa oder Einkaufskooperationen. Multilaterale Allianzen können sehr komplex sein, etwa bei den großen Allianzen der Fluggesellschaften, denn jeder weiß: Wenn Sie zwei Kinder zusammen spielen lassen, läuft das in der Regel gut. Wenn Sie drei Kinder zusammen spielen lassen, gibt es schnell Streit, weil eines außen vor ist.

RM: In welchen Branchen sind Allianzen und Netzwerke verbreiteter, in welchen weniger?
Prof. Albers: Allianzen gibt es in allen Branchen. In der Transport- und Logistikbranche oder in Hochtechnologiebranchen sind sie sehr verbreitet, aber aus unterschiedlichen Motiven. Dabei geht es in den Hightech-Branchen oft darum, an spezialisiertes Wissen oder Know-how zu kommen. Beispiel: Bayer möchte einen neuen Wirkstoff entwickeln und sieht sich bei diversen Biotechfirmen um. Daraus wird dann auch schon mal schnell eine Übernahme. Ähnliche Motive stehen hinter Kooperationen in der Computer- und Softwarebranche, auch in Kreativbranchen. Etwa, als der Medienkoloss Disney und die kleine innovative Firma Pixar, die Animationsfilme mit dem Computer machte, zusammengingen. Um Effizienz- und Skalenvorteile geht es auch in der Logistik: Je mehr Volumen konsolidiert und in Laster, auf Bahnen und in Flugzeuge geladen und je besser die ganze Welt abgedeckt wird, desto besser. Im Zuge des technologischen Wandels auf E-Antriebe und autonomes Fahren sind Allianzen aktuell auch in der Automobilindustrie wieder sehr populär. Beispielsweise helfen sich Ford und Volkswagen seit 2019 gegenseitig aus.

RM: American Express gab für 2017 an, dass mittelgroße Firmen, die mit anderen kooperieren, ihr Investment 1,4-fach zurückverdienen. Gibt es genauere Zahlen?
Prof. Albers: Solche Zahlen sind mit Vorsicht zu nehmen, denn es ist methodisch höchst schwierig, den Allianz-Erfolg zu messen. Wenn man eine vertragliche Allianz eingeht, ist das ja zunächst mal kein Investment. Eine Aussage der Art, dass eine Airline 100 Millionen Euro mehr Umsatz in einer Allianz macht als ohne, lässt sich allerdings treffen.

RM: Wie groß ist überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Allianz Vorteile bringt?
Prof. Albers: Wenn man es richtig macht, schon recht groß. Dazu gehört aber, eine realistische Einschätzung zu haben, was eine Allianz leisten kann und was eben nicht. Eine sorgfältige Partnerauswahl gehört dazu, ebenso wie das richtige Design der Allianzorganisation und ihrer Governance-Struktur. Und gut gemanagt werden muss sie auch. Studien zufolge scheitern 40 bis 60 Prozent der Allianzen in dem Sinne, dass die angestrebten Ziele nicht erreicht wurden, übrigens auch etwa 40 bis 80 Prozent aller Übernahmen.

RM: Welches Beispiel können Sie nennen für eine gescheiterte Allianz?
Prof. Albers: Eine dramatische Geschichte ist der Untergang der Swissair, den eine fehlgeleitete Allianz-Strategie herbeigeführt hat. Die „alte“ Swissair verfolgte ab 1989 eine eigentlich recht smarte Allianzstrategie. Sie setzte auf gleich mehrere Allianzen und baute u.a. eine trilaterale Allianz mit Partnern aus den USA und Asien auf. Diese Allianz scheiterte allerdings recht früh, die Partner wurden „untreu“. Entsprechend wollte die Swissair im nächsten Versuch ihre Partner stärker binden, indem sie erhebliche Anteile an ihnen kaufte – allerdings solche eher kleinerer und weithin unprofitabler Fluglinien wie Sabena oder Air Littoral. Die Swissair verbrannte dadurch viel Cash; die Mutter wurde ausgesaugt und musste 2002 Bankrott anmelden. In der Folge wurde sie dann Teil der Lufthansa.

RM: Welche Allianzbildung halten Sie für besonders gelungen?
Prof. Albers: Die zwischen Pfizer und Biontech hat sich ja wohl für beide Seiten gelohnt. Biontech brachte die mRNA-Kompetenz und Plattform als Innovation ein und Pfizer seine Impfstofferfahrung, regulatorische Kompetenz, weltweite Produktionskapazität und Distribution. Interessant ist die scheinbare Asymmetrie in dieser Verbindung. Natürlich muss ein kleines Start-up ohne großes kommerzielles Know-how, das sich mit einem Riesenpharmakonzern einlässt, aufpassen. Auf der anderen Seite aber möchte natürlich der große Konzern unbedingt den Wirkstoff mit der Technologie haben, die dann eventuell mal die Medizin revolutionieren kann. Asymmetrie hat also nicht unbedingt etwas mit der Größe zu tun, sondern damit, wie ersetzbar man ist und wie kritisch die eingesetzten Ressourcen sind.

RM: Durch Kooperationen lasse ich mir natürlich in die Karten schauen. Ist das gefährlich?
Prof. Albers: Es ist ein Thema: Wie viel wollen wir teilen und wie viel Einblick erlauben wir dem Partner? Auf der anderen Seite ist es aber so: Je weniger man erlaubt, desto weniger Gelegenheiten ergeben sich auch, daraus mehr zu machen. Die sogenannte „Coopetition“ – also wenn man gleichzeitig kooperiert und im Wettbewerb steht – spielt in der Forschung gerade eine große Rolle. Sie kann Vorteile bringen, denn wenn man ohnehin im Wettbewerb steht, kennt man sich oft schon recht gut, man ist möglicherweise sogar in derselben Branche, man kennt den Markt und hat ähnliche Technologien. Auch Chancen, eine Innovation zu generieren, sind gegeben – aber nur, wenn eine gewisse Offenheit da ist.

RM: Kann die Mitgliedschaft in mehreren Kooperationen auch Probleme mit sich bringen, z.B. indem man verschiedenste Verpflichtungen in ganz unterschiedlichen Verbünden eingeht, die miteinander im Konflikt stehen könnten?
Prof. Albers: Große Techunternehmen wie etwa Microsoft haben eine Vielzahl von Allianzen, sogenannte „Allianzportfolios“. Ein Trugschluss ist, dass Allianzen billiger sind und einfacher zu führen als Übernahmen. Eine Allianz bedarf immer Aufmerksamkeit und Management-Ressourcen: Wenn Sie viele Allianzen haben, dann erfordert das also entsprechend viel Management-Ressourcen. Beispiel Swissair: Sie konnte der Vielzahl in den Allianzen eben nicht gleichzeitig im erforderlichen Maße gerecht werden. Da ist es schon angeraten, den Überblick zu behalten.

RM: Wie finde ich für meine Firma geeignete Allianzen oder Netzwerke?
Prof. Albers: Man sollte sich klarmachen, welche Ergebnisse herauskommen sollen: ein neues Produkt, eine neue Prozesstechnologie, die meine Produktion optimiert oder die ich vermarkten kann? Man sollte die Augen offen halten, netzwerken, Inspiration suchen. Was passiert in anderen Branchen – können die Initiativen dort als Vorbild dienen? So hat die Telekom sich seinerzeit in ihren Bemühungen, ein Machine-to-Machine-Netzwerk zu schmieden, durchaus Inspiration bei der Star Alliance geholt. Handelskammern mit ihren Branchenreferenten oder Universitäten können der Inspiration weiterhelfen. Wichtig ist es, „out of the box“ zu denken. Das muss nicht teuer sein. Zum Beispiel könnte man auch Wirtschaftsstudenten bitten, im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten Kooperationsoptionen für das eigene Unternehmen zu suchen oder Allianzstrategien zu entwickeln.

RM: Worauf sollte man beim Eingehen von Kooperationen weiter achten?
Prof. Albers: Man muss wettbewerbsrechtliche Aspekte und Compliance schon am Anfang mitdenken. Allianzen wurden in den 1980er-Jahren oft noch unter den Generalverdacht gestellt, wettbewerbsverhindernd zu sein, also Innovation zu schwächen und Preise hochzuhalten. Darüber sind wir hinweg – wir sehen ja, dass sie das genaue Gegenteil leisten können. Sie müssen aber differenziert betrachtet werden. Eine Kooperation mit dem Ziel, einen neuen Markt für ein Produkt gemeinsam zu erschließen, ist in dieser Hinsicht ziemlich unverdächtig, denn Marktzugang stellt ja quasi das genaue Gegenteil von Marktbeschränkung dar.

RM: Haben Sie ein Beispiel für lange gedeihliche Kooperationen?
Prof. Albers: In Allianzen und Netzwerken geht es zu wie in einer Beziehung, einer Ehe – das ist ein häufig verwendetes Bild. Manche Beziehungen gehen schnell auseinander, andere halten lange. Die Kooperation zwischen Fuji und Xerox wurde zum gegenseitigen Vorteil schon 1962 begründet. Beide Partner hatten offenbar ein gutes Verständnis der Kompetenzen des jeweiligen anderen Partners und trieben die Allianz sehr erfolgreich immer weiter. Auch die bereits genannte Star Alliance kann durchaus als Erfolgsmodell dienen, sie feiert dieses Jahr ihren 25. Geburtstag.

RM: Wie schaffe ich den Ausstieg aus einer Kooperation, die meiner Firma nicht guttut?
Prof. Albers: Wenn ich feststelle, dass mir eine Allianz nicht guttut, kann ich entweder versuchen, sie zu reparieren, oder ich muss aussteigen. Darum sollte man – wie am Anfang einer Ehe – auch schon an ein mögliches Ende denken und vertraglich festhalten, wie man aussteigt, was also beispielsweise mit den allianzspezifischen Investitionen passiert und dem gemeinsam generierten – auch geistigen – Eigentum, oder ob die Allianz mit einem anderen Partner weitergeführt werden kann oder ob z.B. ein Partner ein Vorkaufsrecht hat. Allianzen sind eine faszinierende Möglichkeit für Unternehmen, sie bieten große Potenziale – aber sie sind kein triviales Instrument und bedürfen sorgsamer Vorbereitung und Pflege. Claas Möller | redaktion@regiomanager.de

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