Vom Allzeithoch des Nachwendejahrs 1994 ist die Baubranche noch ein Stück entfernt, aber seit einigen Jahren zeigt die Branche einen nachhaltigen Aufwärtstrend, wie Andreas Geyer, Leiter der Abteilung Wirtschaft im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) erklärt: “Der Wohnungsbau “brummt“ seit 2011 sehr nachhaltig.“ Von den drei Bereichen Wohnungsbau, Wirtschaftsbau und öffentlicher Bau trägt vor allem der Wohnungsbau diese Entwicklung, schon aufgrund seines größeren Volumens. Die Bauinvestitionen in diesem Bereich lagen 2016 bei 164 Milliarden Euro. 73 Milliarden Euro wurden im gewerblichen Bau und 32 Milliarden Euro im öffentlichen Bau investiert. Für alle drei Sparten zusammen hatten der ZDB zusammen mit dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie ein Umsatzwachstum von drei Prozent für 2016 prognostiziert. Tatsächlich betrug der Zuwachs sogar 6,3 Prozent “ davon im Wohnungsbau 8,5 Prozent. Für diesen Sektor liegt die Verbandsprognose für das laufende Jahr 2017 bei 7,0 und für alle drei Sparten bei fünf Prozent, doch auch diese Prognose könnte noch von den realen Ergebnissen übertroffen werden. Besonders die Bauwirtschaft in Nordrhein-Westfalen kann sich über ein Auftragsplus von 20 Prozent in den ersten drei Monaten des Jahres freuen “ dieser Wert liegt deutlich über dem bundesweiten Wert von 9,8 Prozent.
Zu wenige Wohnungen
Dennoch werden noch zu wenige Wohnungen gebaut. “Wir haben schon 2009 darauf hingewiesen, dass wir pro Jahr 350.000 Wohnungen fertigstellen müssten. Immerhin sind wir im vergangenen Jahr auf 278.000 Fertigstellungen pro Jahr angewachsen “ während wir von einem Niveau von 160.000 Wohnungen kamen“, erläutert Andreas Geyer vom ZDB. Die Zahl der Baugenehmigungen lag im vergangenen Jahr bei etwa 375.000. Die Fertigstellungen halten also nicht Schritt mit der steigenden Nachfrage. Dies könnte an dem tiefgreifenden Abbau von Überkapazitäten in der zehnjährigen Baurezession bis 2005 liegen. Die Zahl der Betriebe im Bauhauptgewerbe “ also den Gewerken, die für den Rohbau von Gebäuden und den Straßenbau zuständig sind “ sank insgesamt dabei kaum. Seit 2009 liegt sie konstant bei 74.000. Die Branche ist dadurch heute wieder stärker als zuvor mittelständisch geprägt. Nur noch ein einziges deutsches Unternehmen findet sich unter den Top 50 der börsennotierten oder kapitalmarktorientierten Baukonzerne. Wie eingreifend der Abbau von Überkapazitäten war, zeigt vor allem der Blick auf die Beschäftigtenzahlen “ ein Aderlass: “1995 hatten wir 1,4 Millionen Beschäftigte, 2009 wurde die Talsohle mit 705.000 erreicht. Inzwischen gewinnen wir wieder Arbeitskräfte hinzu. Wir rechnen für dieses Jahr mit 800.000 Beschäftigten, das heißt wir haben seit 2009 immerhin 100.000 wieder hinzugewonnen“, so Andreas Geyer vom ZDB.
Bauberufe attraktiver darstellen
Von rund 100.000 Auszubildenden im Jahr 1995 ist das Bauhauptgewerbe inzwischen bei rund 34.000 angekommen “ eine Zahl, die sich erstmals stabilisiert hat. Es kommt darauf an, so Andreas Geyer, die Bauberufe mit all ihren Chancen attraktiver darzustellen “ gerade auch angesichts einer Ruhestandswelle bei den Babyboomern: “Wir müssen uns innovativer zeigen, um den Wettbewerb um die jungen Leute zu gewinnen. In der Außendarstellung braucht es mehr, als nur eine Schaufel oder Kelle in der Hand zu haben, sondern nach Möglichkeit auch ein Tablet.“ So gibt es Überlegungen, das Berufsbild des “BIM-Managers“ zu schaffen, einem zentralen Akteur im “Building Information Modeling“ (BIM) “ kurz gesagt: der Digitalisierung beim Bauen.
Löhne steigen wieder
Der Anpassungsprozess der vergangenen zwei Dekaden zwang die Branche zur Zurückhaltung bei den Löhnen. Dies verändert sich nun: “Jetzt, da die Baukonjunktur angesprungen ist, entwickeln sich auch wieder die Löhne weiter.“ Die Tariflöhne für Bauingenieure sind seit 2007 je nach Tarifgruppe um 31 Prozent bis 43 Prozent gestiegen. Andreas Geyer tritt damit dem Eindruck entgegen, als gehörten Bauingenieure zu den am schlechtesten bezahlten. Anhand von Daten des Statistischen Bundesamts kommt er zu dem Schluss, dass das Bauwesen die Ingenieurslöhne sogar stärker angehoben hat als im traditionell gut bezahlenden Maschinenbau, der dennoch absolut gesehen noch immer besser zahlt; übrigens werden derzeit sogar mehr Bauingenieure gesucht, als es Kandidaten auf dem Markt gibt.
Ingenieure und Architekten fehlen
Auch die Bauämter haben zu wenig Fachpersonal. Wenn zum Beispiel Bauabnahmen unbearbeitet bleiben, so kann das im Einzelfall fatale Folgen haben, wie Heinz G. Rittmann von den Baugewerblichen Verbänden in Düsseldorf erklärt: “Wenn die Kommune keine freien Ressourcen für die Schlussabnahme hat, dann wird auch die Schlussrechnung nicht bezahlt. Nicht nur in Einzelfällen sind Bauunternehmen dadurch schon insolvent geworden.“ Rittmann weist noch auf ein anderes Thema hin: “Nordrhein-Westfalen erhebt zusammen mit Brandenburg, Thüringen, Schleswig-Holstein und dem Saarland die höchsten Grunderwerbssteuern, nämlich 6,5 Prozent. Mit 3,5 Prozent bilden Bayern und Sachsen das Schlusslicht. Wer ein Einfamilienhaus bauen will und das Grundstück kaufen will und in Köln oder Düsseldorf knapp kalkulieren muss, dann schlägt das schon stark zu Buche.“ Ein Beispiel für Köln: Der Durchschnittspreis für Grundstücke liegt hier bei 630,22 Euro. Ein 500-Quadratmeter-Grundstück belastet Kölner Bauherrn also zusätzlich mit fast 20.500 Euro; in Bayern und Sachsen wären es nur halb so viel: gut 11.000 Euro.
Meisterpflicht soll wieder her
Ein Dorn im Auge ist der Baubranche immer noch die Abschaffung der Meisterpflicht für einige nicht sicherheitsrelevante Gewerke. Sie hat die Konkurrenz in einigen Branchen stark ansteigen lassen. Seit die Handwerksnovelle 2004 die Meisterpflicht in manchen Branchen abgeschafft hat, schnellte etwa die Zahl der Fliesenlegerbetriebe von 12.401 auf über 72.000 hoch. Die Gesetzesnovellierung ließ zwischen 2004 und 2015 in diesem Gewerk auch die Zahl der Auszubildenden um 27 Prozent sinken, die der Meisterprüfungen um 73 Prozent. „Viele zuvor florierende Betriebe mit qualifizierten Fachkräften konnten dem Unterbietungswettlauf mit den Dumpinganbietern nicht Stand halten, mussten langjährige Mitarbeiter entlassen oder aufgeben“, sagt Karl-Hans Körner, Vorsitzender des Fachverbandes Fliesen und Naturstein im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes. „Durch die fehlende Meisterqualifikation tummeln sich auf deutschen Baustellen Soloselbstständige zuhauf, die sich auch als Kolonnen für Bau- und Ausbauarbeiten aller Art verdingen. Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit halten verstärkt Einzug in die Branche“, ergänzt Dietmar Schäfers, stellvertretender Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt.
Insgesamt sieht die Baubranche europaweit optimistisch in die Zukunft, weil die Nachfrage nach Immobilien wächst und die Investitionen in den meisten europäischen Staaten wieder steigen. Ein Report der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte bescheinigt vor allem der deutschen Bauwirtschaft glänzende Aussichten: „Deutschland ist der europaweit größte und attraktivste Markt für Anbieter der Bau-branche.“
Claas Möller | redaktion@regiomanager.de
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