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Zeiterfassung: Digitale Antwort aufs „Stechuhr-Urteil“

Die Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung hat für Wirbel gesorgt. Doch die IT-Branche bietet Lösungen.

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von Regiomanager 26.11.2019
Das Ein- und Ausstempeln per Tastendruck oder per Bestätigung in einer mobilen App ist heutzutage kein Problem (Foto: ©Zerbor – stock.adobe.com)

Mancher spricht von einem „Stechuhr-Urteil“: Gemeint ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, kurz EuGH, zur Erfassung von Arbeitszeiten, die seit dem Frühjahr für reichlich Wirbel in Unternehmen gesorgt hat und dies auch weiterhin tut. „Der EuGH entnimmt der Arbeitszeitrichtlinie eine Verpflichtung der Arbeitgeber, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“, erklärt Rechtsanwältin Dr. Nathalie Oberthür, Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Damit soll gewährleistet werden, „dass dem Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten hinreichend Geltung verschafft wird“. Derzeit sei noch umstritten, ob diese Verpflichtung bereits jetzt besteht oder ob zunächst der Gesetzgeber tätig werden muss. „Nach meiner Auffassung besteht die Verpflichtung bereits jetzt, da der Gerichtshof diese auch aus Art. 31 Abs. 2 der Grundrechte-Charta herleitet, an die die Mitgliedsstaaten und deren Gerichte primärrechtlich gebunden sind.“
Bislang ist laut der Juristin unklar, wie das Zeiterfassungssystem ausgestaltet werden muss. „Objektiv“ sei ein System, das die geleisteten Arbeitszeiten zutreffend wiedergebe, wobei dies nur Arbeitszeiten im arbeitszeitrechtlichen Sinne betreffe. „Zeiten, die nicht Arbeitszeit in diesem Sinne sind, beispielsweise Reisezeiten, müssen nicht erfasst werden.“ „Verlässlich“ sei ein System, das Manipulationen möglichst ausschließe. „Damit dürften elektronische, gegebenenfalls Web- oder App-basierte Systeme vorzuziehen sein.“ „Zugänglich“ sei ein System, wenn es die Überwachung der Arbeitszeiten durch Aufsichtsbehörden und Arbeitnehmervertreter ermögliche. „Der Arbeitgeber muss deshalb gewährleisten, dass er selbst über die aufgezeichneten Daten verfügt und diese zu Prüfzwecken zur Verfügung stellen kann. Aufgabe des Gesetzgebers wird es sein, zu regeln, für welche Dauer diese Daten aufzubewahren sind“, sagt Dr. Nathalie Oberthür.

Steigerung der Transparenz

So weit die rechtliche Einschätzung. Doch wie sieht es mit den Möglichkeiten der technischen Umsetzbarkeit aus? Branchenkenner sehen hier keine Probleme, im Gegenteil. „Gerade in kleinen bis mittelständischen Unternehmen kann die Einführung einer digitalen Zeiterfassung dank Transparenzsteigerung zur Mitarbeiterzufriedenheit beitragen“, sagt Pierre Quaschnik vom IT-Verband networker NRW. Sei bei den alten Systemen oder beispielsweise der manuellen Erfassung per Liste die Möglichkeit der Manipulation und fehlerhaften Verarbeitung gegeben, werde durch ein zertifiziertes, manipulationssicheres System das Vertrauen gegenüber den Mitarbeitern gestärkt. „Ein modernes System schafft für beide Seiten eine Garantie, dass die erfassten Stunden entsprechend entlohnt werden und zugleich Missverständnissen vorgebeugt wird, die das Arbeitsverhältnis nur unnötig stören würden.“ Diese allgemeine Zufriedenheit schlage sich in der Regel auch in der Arbeitsleistung sowie der Loyalität der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen nieder.
Ein weiterer Pluspunkt ist der Anwendungskomfort: „Während in der Vergangenheit die papierhafte Stempelkarte oder die allseits unbeliebte Liste zur Erfassung der Arbeitszeiten, Überstunden und Krankheitstage bemüht wurde, ist heute das Ein- und Ausstempeln per Mausklick oder per Bestätigung in einer mobilen App nahezu gang und gäbe – dank Digitalisierung“, sagt Pierre Quaschnik. Dabei behalte der Chef die Kontrolle und könne bei Bedarf prüfen, wie ehrlich der einzelne Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Erfassung beispielsweise per App sei: Durch GPS-Module in den mobilen Endgeräten wird der Standort miterfasst: War der Mitarbeiter bereits vor Ort – oder hat er sich eventuell schon zu Hause eingestempelt?
Das Einsparpotenzial lässt sich, so der IT-Experte, schon an einem ganz einfachen Beispiel verdeutlichen: „Jeder Mitarbeiter, der täglich mindestens zweimal seine Arbeitszeiten, also Arbeitsbeginn und -ende, erfassen muss, kann die Personalabteilung mit digitaler Unterstützung massiv entlasten. Denn pro Monat kommen so im Schnitt 40 Buchungen zusammen, die womöglich noch mit einem manuellen System bearbeitet werden müssen, bevor sie durch den Steuerberater respektive das Lohnbüro final verarbeitet werden können.“ Und das ist nur der einfachste Fall. Buchen die Mitarbeiter beispielsweise ihre Pausen, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, kommen mindestens zwei Buchungen täglich hinzu. „Besonders jüngere Generationen legen heute viel Wert auf Mobilität und Flexibilität“, ergänzt Quaschniks Verbandskollege Francisco Yela Pacheco. „Daher sind flexible Arbeitszeitmodelle zusammen mit einer systematischen Zeiterfassung ein guter Ansatz, den Arbeitsplatz zukunftsfähiger und agiler zu gestalten. Beispielsweise können Kernarbeitszeiten genutzt werden, um die Erreichbarkeit der Mitarbeiter zu gewährleisten und trotzdem mehr Flexibilität zu ermöglichen. Ein Gleitzeitmodell kann eingesetzt werden, um gesammelte Überstunden wieder abzubauen. Mit einer Zeiterfassungssoftware können sowohl tarifliche, gesetzliche als auch betriebliche Regelungen zu den Arbeitszeiten automatisch beachtet werden.“

Positiver Schub für Firmen

Francisco Yela Pacheco von networker NRW sieht in moderner Zeiterfassung sogar Potenzial für einen Modernisierungsschub in den Unternehmen. „In Sachen Digitalisierung gibt es in Deutschland noch immer viel Luft nach oben. Daher können Zeiterfassungssoftware und Co. als Einstiegspunkt dafür dienen, diese voranzutreiben.“ Angefangen in der Personalabteilung ließen sich digitale Tools unternehmensübergreifend im Sinne der Ressourcenoptimierung und Transparenzsteigerung implementieren. Gewonnene Daten könnten über integrierte Schnittstellen direkt an das Gehaltsabrechnungssystem übergeben werden. „Der Verwaltungsaufwand kann damit minimiert werden und gleichzeitig erhalten Führungskräfte und Geschäftsführung Möglichkeiten, Optimierungspotenziale hinsichtlich der Unternehmensstrategie daraus zu gewinnen.“
Daniel Boss | redaktion@regiomanager.de

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Dr. Nathalie Oberthür ist Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins (Foto: Bine Bellmann)

Francisco Yela Pacheco ist Mitglied des IT-Verbands networker NRW (Foto: Catrin Moritz)

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