Aufstieg und Privilegien, Macht und Geld: Wer wünscht sich das nicht? Bis vor wenigen Jahren bedeutete Karriere automatisch, Führungsverantwortung zu übernehmen. Obwohl fast jeder die Geschichte vom „Peter-Prinzip“ kennt, nach der jeder so lange befördert wird, bis er die Stufe seiner eigenen Unfähigkeit erlangt hat, wurden viele, die sich in ihrem Bereich hervorgetan hatten, auf die nächste Hierarchiestufe gehievt – für manche eine Offenbarung, für andere der Anfang vom Ende der Freude an einer beruflichen Aufgabe, nicht immer eine optimale Lösung für das Unternehmen.
Personalentwicklung mit Fachkarrieren
Seit etwa 20 Jahren gibt es Alternativen zu den Führungskarrieren. Welche weitsichtige Führungskraft als Erste auf die Idee gekommen ist, lässt sich nicht ermitteln, doch das Konzept soll aus den USA kommen. WDort wurde erkannt, dass sich manche Menschen eher durch eine Ausweitung fachlicher Möglichkeiten als durch Führungsverantwortung motivieren lassen.
„Fachkarriere“ ist der neue Motivationsstab der Personalverantwortlichen und CEOs. Eine Fachkarriere erlaubt es einem Mitarbeiter, sich innerhalb seines Fachbereichs weiterzuentwickeln, womöglich zum Hausexperten für sein Schwerpunktthema; und Experten sind heute gefragt. Als Experte und Spezialist kennt ein Mitarbeiter das Herzstück eines Unternehmenskerns oder einen Teil davon aus dem Effeff. Ohne ihn entstünde eine Lücke, die nicht so schnell zu füllen wäre. Mit einer Fachkarriere werden Mitarbeiter somit zu einem wichtigen Teil im Motor des Unternehmens und bleiben gleichzeitig dem Fachbereich treu, dem ihre berufliche Leidenschaft gilt. Die Unternehmen sichern sich das Know-how inhouse und sind nicht auf fachlichen Output von außen angewiesen.
Die Möglichkeit zu einer Fachkarriere in einem Unternehmen ist also eine klassische Win-win-Situation. Beide Seiten profitieren davon in optimaler Weise: Das Unternehmen hat Fachkräfte, die sich für die Weiterentwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen engagieren, und die Fachkräfte dürfen in ihrem Spezialbereich werkeln, tüfteln und gestalten.
Fachkarrieren sichtbar machen
Einen Wermutstropfen gibt es jedoch bei dem Modell: Eine Fachkarriere ist im traditionellen Karrierebild nicht vorgesehen. Neben der Anzahl der Mitarbeiter – und in manchen Institutionen sogar noch die der Bürofenster – sind Titel, Gehalt und Fringe Benefits sichtbare Zeichen für einen Karrieresprung. Aber hier ändert sich einiges. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Personalführung hat 2012 festgestellt: „Fast zwei Drittel der befragten Unternehmen beschäftigten sich zum Befragungszeitpunkt konkret mit der Fachlaufbahn.“ Und die Personalmanager stehen dieser neuen Form der Karriere positiv gegenüber: „Knapp 90 Prozent sind der Meinung, dass sich die Fachlaufbahn ganz sicher oder ziemlich wahrscheinlich auf den Unternehmenserfolg auswirken wird.“
Doch wie sieht eine Fachkarriere aus? Bei einer Führungskarriere wird der Aufstieg schon am Titel deutlich, aber wie verhält es sich mit der Fachkarriere? Welche Äquivalenzen und Differenzen gibt es zwischen den beiden Karrierewegen?
Das ist abhängig von den Unternehmen und deren Struktur sowie Kreativität. Wo bereits klare Aufstiegswege für Führungskräfte definiert sind, existieren oft vergleichbare Definitionen für die Fachkarriere. Statt Führungsverantwortung für eine Abteilung oder eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern wird bei der Fachkarriere die Fachverantwortung für einen Bereich übertragen, mit mehr Freiheiten, Fortbildungsmöglichkeiten und der Steuerung hochkomplexer Prozesse. Selbst Titel, mit denen der Aufstieg nach außen dokumentiert wird, werden eingeführt wie Expert oder Senior Expert und diese werden im optimalen Fall sogar noch den Ebenen der Führungskarriere gegenübergestellt, z. B. Senior Expert und Gruppenleiter, Science Expert und Bereichsleiter. Solche transparenten und konkreten Festlegungen erleichtern einerseits die Einführung des neuen Karriereweges, denn wer befördert wird, möchte auch, dass dies nach außen deutlich wird. Andererseits können sie in gemischten Gremien für Klarheit darüber sorgen, wer welche Rolle einnimmt: bei fachlichen Fragen der Experte, bei strategischen oder organisatorischen Fragen die Führungskraft. Für den Erfolg sind beide nötig: Ein Experte ohne Overhead wird ebenso wenig ausrichten wie eine Führungskraft ohne die fachlichen Grundlagen für
den Unternehmenskern.
Fachkarriere versus Führungskarriere?
Fachliche Kompetenz war in den meisten Unternehmen wie auch in Behörden und anderen Institutionen schon immer ein Faktor bei der Mitarbeiterentwicklung bzw. Beförderung. Wer gut in seinem Bereich war, durfte damit rechnen, den Platz seines Vorgesetzten einzunehmen, wenn dieser frei wurde – auch wenn jegliches Interesse fehlte, Chef zu werden. Führungskräfte können sich oft nicht vorstellen, dass es Mitarbeiter gibt, die nicht von einer Position mit Organisations-, Entscheidungs- und Personalverantwortung träumen. So kam und kommt es, dass in manchen Führungspositionen gute Fachleute sitzen, die sich nicht durchsetzen können und zunehmend frustriert von ihrer Tätigkeit sind – zum Nachteil der Einzelnen und des Unternehmens.
Führung hat eben mit „führen“ im Sinne von „den Weg zeigen, anleiten, motivieren“ zu tun. Deshalb zeichnet gute Führungskräfte aus, dass sie strategisch denken, eher das große Ganze als das Detail im Blick haben, Menschen begeistern und ihre Potenziale herauskitzeln können, gut organisieren sowie delegieren und gerne Verantwortung übernehmen. Menschen mit diesen Fähigkeiten und Eigenschaften steht eine glänzende Führungskarriere bevor.
Mitarbeiter blühen auf
Andere Mitarbeiter hingegen blühen auf, wenn sie ihrer Neugier und ihrer Wissbegierde in ihrem Fachgebiet nachgehen und Dinge ausprobieren dürfen, wenn sie sich in Details verbeißen können, um etwas zu optimieren oder einen Fehler zu finden. Sie sind getrieben davon, ihr Fach vollständig zu verinnerlichen und immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben, um neue kreative Wege zu sehen und anzustoßen. Für diese Menschen wären Führungsarbeiten wie Personalgespräche, Mitarbeiterplanung und -entwicklung, Abteilungsorganisation, Budgetüberwachung und die ständige Abstimmung mit Führungskreisen und anderen Beteiligten lästige Störfaktoren auf dem Weg zur optimalen Problemlösung. Ihr Engagement und ihre Leistung werden mit einer Fachkarriere, die der Führungskarriere ebenbürtig ist, belohnt. Und wer weiß, vielleicht erkennen auch diese Experten irgendwann das Managergen in sich. Einem ausgewiesenen Experten, der sich im Unternehmen und darüber hinaus einen Namen gemacht hat, stehen die Türen zur Führungshierarchie offen. Kommunikation und Motivation haben sie bei der Vermittlung ihres Know-hows zur Genüge trainiert. Der umgekehrte Wechsel ist schwieriger, denn Führungsverantwortung bedeutet oft auch, dass die Zeit fehlt, um in einem Fachgebiet auf dem Laufenden zu bleiben!
Entscheidend ist, dass Mitarbeiter und Unternehmen die für sie optimalen Wege finden. Aber alle Seiten sollten, um im Bild der Häuptlinge zu bleiben, daran denken, dass der Häuptling zwar offiziell das Sagen hat, aber der Schamane, als Experte, nicht selten das letzte Wort!
Dr. Birgit Ebbert | redaktion@regiomanager.de
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