Sind Sie schon einmal bei einer Rede gedanklich abgetaucht, haben lieber auf Ihr Smartphone geschaut oder sind vielleicht sogar kurz eingenickt? Dann geht es Ihnen nicht anders als mir. Viele Vorträge sind so abgrundtief langweilig, dass sich die Zeit auch sinnvoller verbringen lässt, etwa mit dem Zählen der Blätter des Baums vorm Vortragsraum, dem Betrachten von Wolkenformationen oder dem Nachlesen einer Internetdiskussion über die Zierfischzucht. Blöd nur, dass es so viele Redeanlässe gibt, denen man sich schwer entziehen kann, hat man einmal eine höhere berufliche Position erreicht. So wäre es unhöflich, während eines Vortrags aufzustehen und zu gehen, und ein „Halt die Klappe!“ lässt sich einem Redenden schon gar nicht zurufen, selbst wenn er es verdient hätte. So sitzen viele Menschen im Publikum, betrachten ihre Fingernägel, als ob dort die neueste Netflix-Serie liefe, und warten auf Sekt und Schnittchen, die nach Reden oft gereicht werden. Die Belohnung ist dann hart erkauft.Sie selbst sprechen vor Publikum natürlich anders. Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer kleben an Ihren Lippen und saugen jedes Ihrer Worte auf. Bereits wenn Sie auftreten, brandet Applaus auf und nach dem Ende Ihrer Rede gibt es Standing Ovations. Oder etwa nicht? Das Selbstbild vieler Redner und Vortragenden deckt sich leider nicht immer mit dem des Publikums. Ein gesundes Selbstbewusstsein ist zwar einerseits hilfreich, wenn man auf die Bühne muss oder will. Andererseits führt es leider oft dazu, dass Redende das Podium nicht mehr verlassen wollen. Denn hier können sie endlich die Dinge loswerden, die ihnen auf dem Herzen liegen, ohne unterbrochen zu werden.
Sie gehören natürlich nicht in die Kategorie des selbstverliebten Redners. Sie beginnen Ihre Rede auch nicht mit einem ermüdenden Grußwort, in dem Sie all die Honoratioren aufzählen, die Ihnen nun lauschen werden. Nein, Sie verwenden klare Sätze, lassen Substantivierungen à la „das Wiedererstarken unseres Aktienkurses führt zu einer Neuaufstellung unseres Unternehmens“ weg, erklären komplizierte Sachverhalte mit anschaulichen Beispielen und konzentrieren Ihre Rede auf ein einziges Thema, auf eine Idee, die Sie mit den Zuhörern teilen und für die Sie sie begeistern möchten. Sie machen reichlich Gebrauch von Verben und Ihre Sätze sind so kurz, dass Sie jeder verstehen kann. Sie spielen mit Ihrer Stimme, lassen Sie mal laut, mal leise klingen, betonen wichtige Aussagen und machen Pausen, damit Ihr Publikum die Möglichkeit bekommt, Ihre Worte zu verarbeiten. Sie verwenden Bilder, erzählen eine Geschichte, die Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer fesselt, und kontern Zurufe aus dem Publikum schlagfertig. Ihr Vortrag ist nicht auswendig gelernt. Sie lesen ihn auch nicht vom Blatt ab, sondern Sie wissen, worüber Sie reden, und könnten jederzeit – auch kurz nach dem Aufwachen – über Ihr Thema sprechen. Ihre Gestik und Mimik sind auf das Gesagte abgestimmt und Sie stehen nicht steif hinterm Rednerpult, sondern verlassen es, um die Aufmerksamkeit des Publikums stärker auf sich zu ziehen. Selbstverständlich kommen Ihnen auch keine „Ähs“ und „Öhs“ über die Lippen. Sie reden weder zu schnell noch zu langsam und Sie beschränken Ihre Redezeit, denn Sie wissen: 10 bis 15 Minuten sind genug. Sie pflanzen Ideen in Köpfe ein und jeder, der den Raum verlässt, kann wiedergeben, worüber Sie gesprochen haben.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Gratulation! Sie wissen, wie man ein Publikum begeistert. Und wenn nicht, auch nicht schlimm. Denn das Vortragen von Reden kann man lernen. In größeren Städten etwa gibt es Rhetorik-Clubs wie die Toastmasters, in denen die Mitglieder üben, kurze, knackige Reden zu halten, und an ihrem Vortragsstil arbeiten. Manchmal reicht es auch schon, sich klar zu machen, welche Idee Sie mit der Rede transportieren wollen, und sich bei der Vorbereitung und natürlich bei der Rede selbst darauf zu konzentrieren. Besonders gut ist es auch, vom eigenen Thema begeistert zu sein. Denn die Begeisterung des Redners überträgt sich aufs Publikum. Und wenn Sie die Menschen im Publikum begeistern, schläft garantiert niemand ein oder denkt über Zierfischzucht nach. Wetten?
Simone Harland | redaktion@regiomanager.de
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