Mit New Work reagieren die Betriebe auf den Wandel der Arbeitswelt. Es sind die veränderten Erwartungen der Mitarbeitenden und die Digitalisierung, die vieles möglich machen, was bisher nicht ging. Aber was bedeutet das andere Mindset für die Chefs der Unternehmen?
Ist New Work nur ein Hype, eine schnell verblassende Modeerscheinung? Nein, sagt Christian Kleff, Geschäftsführer Kommunikation beim Unternehmerverband in Duisburg. „Die Fachkräftekrise ist real, wir haben einen Arbeitnehmermarkt“, das wirke als Katalysator für eine Entwicklung, die so oder so käme. Die Idee „New Work“ sei nicht neu. Aber in der Vergangenheit war der Druck auf dem Kessel deutlich geringer, entsprechend überschaubar das Engagement vieler Betriebe. „Das hat sich komplett gedreht.“
Weil der Arbeiterkräftemangel wächst, setzen die Unternehmen alles daran, wenigstens das vorhandene Personal zu halten. Deshalb, so Kleff, ist New Work „bei den meisten unserer 700 Mitgliedsunternehmen angekommen. Corona war ein zusätzlicher Treiber, wie die Entwicklung beim Homeoffice zeigt.“ Das bestätigt auch die Studie der Unternehmensberatung meta|five aus Köln. Nach diesen Ergebnissen sagen 75 Prozent der Betriebe, dies sei ein wichtiger Punkt.
Bottom-up oder Top-down?
Kleff sieht zwei Entwicklungstendenzen in den Betrieben: Oft sei New Work eine Reaktion auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, „also eher ein Bottom-up-Ansatz“. Es seien häufig die Mitarbeitenden, die mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit oder andere Formen der Zusammenarbeit einforderten, und das Unternehmen müsse dann reagieren. „Einfach ignorieren kann der Betrieb dies zumeist nicht, denn dann besteht die Gefahr, dass die Mitarbeitenden sich nach einem neuen Arbeitgeber umschauen.“
Andere Firmen setzen strategisch auf New Work als Top-down-Strategie, „um die passenden Talente zu entdecken“. New Work sei in beiden Fällen aber viel mehr als eine Welle, „auf der man surft“, sondern eine Frage der Unternehmenskultur: Wertschätzung der Mitarbeitenden, klare Kommunikation, Transparenz, Vertrauen – all das müsse eine zentrale Rolle spielen. Es geht um sinnstiftende und zukunftsweisende Arbeit. „Die Sinnfrage, warum tue ich das; was bewirke ich; wie verhält sich mein Arbeitgeber bei für mich wichtigen Themen; warum bin ich letztlich in diesem Betrieb – die Antworten auf diese Fragen werden immer stärker zum Dreh- und Angelpunkt“, davon ist Kleff überzeugt.
Herausforderung:
Akzeptanz schaffen
Das „New-Work-Barometer“ der SRH Berlin University of Applied Sciences zeigt, welche Maßnahmen aus dem Werkzeugkasten von New Work die Betriebe am meisten wertschätzen. Die wichtigsten fünf sind: Maßnahmen zur Steigerung der Autonomie zum Arbeitsort und Arbeitszeit, Führung, die die Mitarbeitenden einbeziehen, in dem sie ihnen eine partizipative (mitgestaltende) Rolle geben. Dazu gehören Wege der agilen Führung und Projektarbeit (wie beispielsweise Scrum).
Die Studie „Arbeitsplatz der Zukunft“ des IDG Research Services im Auftrag von Telefónica Deutschland (hierzulande vertreten durch die Kernmarke O2) beschreibt das noch genauer. Danach ist die Akzeptanz der Mitarbeitenden für den Modernisierungsprozess die größte organisatorische Herausforderung aus Unternehmenssicht. Hinzu kommt die Weiterbildung, die notwendigen Veränderungen bei der Unternehmenskultur und eine bessere IT-Infrastruktur.
Neue Arbeitszeitmodelle: Kommt jetzt die Viertagewoche?
Neben Homeoffice sind es vor allem andere Arbeitszeitmodelle, die im Mittelpunkt der Formate von New Work stehen. Ob das Schrauben an der Arbeitszeitschraube sinnvoll ist, dazu gehen die Meinungen auseinander. Steffen Kampeter, Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), kann der aufgeflammten Debatte um neue Arbeitszeiten nichts, aber auch gar nichts Positives abgewinnen. Anstatt über die Viertagewoche oder andere Modelle von Wunscharbeitszeit zu diskutieren, fordert er in Berlin längere Arbeitszeiten und mehr Lust auf Arbeit: „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit.“
In Großbritannien probierten 61 Betriebe neue Arbeitszeitmodelle mit vollem Lohnausgleich aus. Nach dem sechsmonatigen Pilotprojekt wollen 56 Arbeitgeber ihre veränderten Arbeitszeiten beibehalten. Professor Brendan Burchell, Soziologe von der Universität Cambridge, der das Projekt begleitet, berichtet von einer Umsatzsteigerung von 1,4 Prozent. „Vor Beginn des Projektes haben viele gezweifelt, ob wir eine Steigerung der Produktivität sehen würden, die die Verkürzung der Arbeitszeit ausgleicht – aber genau das haben wir festgestellt“, berichtet der Soziologe. Weitere Effekte waren ein sinkender Krankenstand, geringe Fluktuation und vier von zehn Beschäftigten gaben an, sich weniger gestresst zu fühlen.
Inzwischen gibt es hierzulande Handwerksbetriebe, die mit der Viertagewoche als bessere Work-Life-Balance aufschlagen. Oft ist es für sie die einzige Möglichkeit, um überhaupt Fachkräfte zu gewinnen oder zu halten. Und das ifo Institut in München setzt noch eins drauf, wenn es berichtet, dass rund acht Prozent der Firmen ihrer Belegschaft anbieten, am Urlaubsort zu arbeiten. „Im Wettbewerb um Fachkräfte kann dies ein Mittel sein, um Beschäftigten ein besseres Gleichgewicht von Arbeit und Freizeit zu ermöglichen“, sagt Julia Freuding vom ifo Institut.
Wunscharbeitszeit heißt
weniger Stunden
In Deutschland nimmt die Debatte um eine geringere Arbeitszeit immer mehr an Fahrt auf. Laut einer Forsa-Umfrage begrüßen 71 Prozent der Befragten, wenn die Betriebe die Viertagewoche einführen würde. Reaktion der Gewerkschaft IG Metall: Sie will für die nächste Tarifrunde in der Stahlindustrie für vier Tage Arbeit in der Woche einen Tarifvertrag aushandeln.
Auch am Niederrhein wird ausprobiert: Christian Kleff berichtet von zwei Mitgliedsbetrieben, einem Hersteller von Haustüren aus Wesel am Rhein und von einer Bank aus Duisburg, die mit anderen Arbeitszeitmodellen experimentieren. Bei der Bank sind es drei Stunden, die in der Woche weniger zu arbeiten sind. Die Organisation übernehmen die Teams vor Ort selbst und das im Rahmen der vorgegebenen Öffnungszeiten.
In Wesel gab es das Experiment mit zehn Stunden Arbeitszeit an einem Tag mit 24 Mitarbeitenden in der Produktion und damit pro Woche einen Arbeitstag weniger. Das kam bei den Beschäftigten gut an. Hatte aber auch Nachteile, wie Kleff erläutert: „Zehn Stunden sind anstrengend, die Konzentration lässt nach und es passieren Fehler.“ Das Experiment gab die Firma nach knapp sechs Monaten wieder auf. Die Erfahrungen sollen aber bei anderen Arbeitszeitmodellen helfen.
Kleff macht auf einen zentralen Punkt aufmerksam, der New-Work-Ideen immer wieder Grenzen setzt: das 30 Jahre alte Arbeitszeitgesetz. Seine Forderung deshalb: reformierte Regeln, die der neuen Arbeits- und Lebenswelt Rechnung tragen. „Damit wir in den Betrieben einerseits die Möglichkeiten haben, bei betrieblichen Auftragsspitzen zu reagieren und auf der anderen Seite die Vereinbarung von Beruf- und Privatleben flexibel handhaben können.“
Blue- und White-Collar-Worker: eine Zweiklassengesellschaft?
Personalberater und Keynote-Speaker Professor Dr. Gunther Olesch aus Detmold warnt davor, bei aller berechtigten Euphorie für New Work die Blue-Collar-Mitarbeitenden nicht zu vergessen. Er befürchtet gar eine Zweiklassengesellschaft in der Belegschaft, „die zu Unruhen“ führen könnte. White-Collar-Mitarbeitende seien die Profiteure von New Work. Sie könnten freier, selbstständiger und gemeinschaftlicher arbeiten, schreibt er in einem Kommentar für das Fachmagazin Personalwirtschaft. „Sowohl Schichtarbeitende in der Industrie als auch Mitarbeitende von Handwerks- sowie Sozialberufen sind bei der New-Work-Transformation oftmals außen vor.“
Seine Forderung: New Work auch bei den Blue-Collar-Mitarbeitenden einführen. Konkret verfolgt er vier Forderungen. Gestaltung von Arbeitszeitflexibilität: Er zielt damit auf das klassische Drei-Schicht-System. Das sollte unbedingt variabler und mit größeren persönlichen Freiheitsgraden versehen sein. Rückzugsräume anbieten: Unternehmen sollten Orte in der Produktion schaffen, in denen ihre Mitarbeitenden über neue Lösungen diskutieren können. „Solche Räumlichkeiten können zusätzlich wie bei Open Space zur Entspannung genutzt werden. Warum kann hier nicht auch ein Kicker stehen?“ Raumgestaltung optimieren: Produktionshallen sollten eine attraktive Farbgestaltung erhalten. Farben beeinflussen die Stimmung von Menschen. Anerkennung ausdrücken: Die Geschäftsleitung müsse unbedingt die Wertschätzung der Blue-Collar-Mitarbeitenden verstärken. Vor allem sollten sie auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Christian Kleff wartet in diesem Zusammenhang mit einem Spruch aus dunkler Vergangenheit auf: „Du bist hier zum Arbeiten, nicht zum Denken“ – das war vielleicht früher im Blue-Collar-Bereich, also den Produktionseinheiten, eine geläufige Redensart. „2023 ist das natürlich Nonsens und das Gegenteil von Vertrauen und Wertschätzung. Die Mitarbeitenden, egal aus welchem Bereich, müssen mitgenommen werden, damit sie sich mit ihrem Unternehmen auch identifizieren. Das ist eine der zentralen Herausforderungen in der neuen Arbeitswelt.“ Ob New Work wirklich der Spirit der Zeit ist, muss sich gleichermaßen bei White-Collar- oder Blue-Collar-Beschäftigten beweisen.
Dr. Klaus Heimann | redaktion@regiomanager.de
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