Kolumne

KOLUMNE Parallelwelten: Work-Life-Balance – nicht nur ein Schlagwort

Unternehmen müssen neue Wege auch bei der Arbeitszeit beschreiten, um junge Arbeitskräfte zu gewinnen, meint Simone Harland.

Avatar
von Simone Harland 24.05.2023
(© ­­­master1305 − stock.adobe.com)

Immer häufiger wollen junge Menschen nicht mehr Vollzeit arbeiten. Eine bessere „Work-Life-Balance“ ist das Ziel vieler Berufseinsteiger. Das ist verständlich, denn natürlich ist es schwierig, Familie und Vollzeitjob unter einen Hut zu bekommen. Zumal das Konzept der „Ein-Ernährer-Familie“ mittlerweile nicht mehr funktioniert, sodass berufstätige Eltern den Tag exakt durchtakten müssen, um die Betreuung der Kinder sicherzustellen und zugleich noch etwas von ihnen zu haben. Denn ein Gehalt reicht bei den steigenden Lebenshaltungskosten in der Regel nicht mehr, um eine Familie zu ernähren. Davon abgesehen ist das Konzept der Ein-Ernährer-Familie auch deshalb nicht mehr zeitgemäß, weil Beziehungen vermehrt in die Brüche gehen. Vor allem viele Frauen sind daher nicht länger bereit, auf Kosten der Familie ihren Beruf zurückzustellen. Denn es ist schwieriger, in den Job zurückzukehren, war man einige Zeit „draußen“. Von den Einbußen bei Lohn und Gehalt ganz abgesehen. Doch Vollzeit zu arbeiten ist einer Familie und Beziehung ebenfalls nicht zuträglich. Ein Dilemma für viele Beschäftigte, aber auch für die Unternehmen, die zum Teil händeringend nach Arbeitskräften suchen.
Was also tun? Ein Experiment, an dem 61 britische Unternehmen mit rund 2.900 Arbeitskräften teilgenommen haben, könnte zumindest einen Weg aus der Krise weisen. In diesen Unternehmen wurde probeweise über einen Zeitraum von sechs Monaten die Viertagewoche eingeführt. Die Beschäftigten erhielten während dieser Zeit trotz kürzerer Arbeitszeit ihren vollen Lohn. Der begleitenden Studie zufolge konnte die Produktivität der Unternehmen beibehalten werden. Daneben ging die Zahl der Fehltage um 65 Prozent zurück. 56 der 61 Unternehmen wollen deshalb nun die Viertagewoche beibehalten. Auch die Beschäftigten waren zufriedener. Nicht zuletzt, weil sie nun mehr Zeit für die Kinderbetreuung hatten und weniger Geld für eine Fremdbetreuung aufwenden mussten.
In Zeiten, in denen Unternehmen stärker auf neue Strukturen wie flachere Hierarchien oder die stärkere Einbeziehung von Beschäftigten in Entscheidungen setzen, um den Bedürfnissen neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerecht zu werden, zeigen solche Pilotprojekte, was in der Arbeitswelt von morgen noch möglich ist. Denn auch wenn die Ansprüche junger Menschen vor allem vielen Älteren zunächst überzogen vorkommen mögen, müssen sich Unternehmen auf die veränderten Wünsche einstellen. Schließlich besteht kein Überangebot mehr an Arbeitskräften wie noch in den 1980er-/1990er-Jahren.
Allerdings ist klar, dass nicht alle Wünsche der jungen Arbeitskräfte berücksichtigt werden können. Sie werden ebenfalls Zugeständnisse machen müssen. Doch haben sie es leichter, einen neuen Job zu finden, sollten ihnen bestimmte Arbeitsbedingungen nicht mehr passen. Deshalb werden in Zukunft Unternehmen und Beschäftigte stärker aushandeln müssen, wie Arbeit und Arbeitszeit gestaltet werden, um beiden Seiten gerecht zu werden.
Dass die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach wie hoch ist, zeigt das Pilotprojekt im Vereinigten Königreich: Die Produktivität muss nicht sinken, wird die Arbeitszeit verkürzt. Denn es ist Wunschdenken, dass Arbeitskräfte in den acht Stunden, die sie an fünf Tagen im Unternehmen verbringen, konsistent durcharbeiten. Kaum jemand kann sich acht Stunden am Stück, nur unterbrochen von einer kurzen Mittagspause, durchgängig konzentrieren. Viele Arbeiten lassen sich in kürzerer Zeit genauso gut erledigen.
Corona hat zudem bewiesen, dass in vielen Unternehmen zumindest tageweise auch Homeoffice möglich ist, ohne dass es zu Einbußen kommt. Unternehmen könnten aufgrund dieser Erfahrungen ruhig mutiger sein und z.B. Pilotprojekte wie in Großbritannien starten, unter Umständen zunächst begrenzt auf einzelne Abteilungen. Sollten sich solche Projekte als erfolglos herausstellen, gibt es immer noch die Option, zum Istzustand zurückzukehren. In jedem Fall könnten Unternehmen mit einer solchen Offenheit für Neues bei jungen Arbeitskräften punkten. Vielleicht gelingt es in Zukunft so mehr und mehr, die Bedürfnisse der Arbeitskräfte nach einer besseren Work-Life-Balance und die der Unternehmen nach Produktivität zu vereinbaren?

Teilen:

Newsletter abonnieren

Newsletter abonnieren und Brancheninfos erhalten

Datenschutz*