Der
Countdown läuft, die Triebwerke zünden – und die Rakete hebt ab. An
Bord des neuen CST-100 Starliner-Weltraumshuttles reisen zwei
Astronauten und mehrere Wissenschaftler zur Raumstation ISS. Damit
unterwegs jeder Handgriff sitzt, haben sie jahrelang trainiert – u.a.
mithilfe einer Virtual-Reality-Software, die das Unternehmen Blue Tea
aus der niederländischen Grenzprovinz Limburg entwickelt hat. Im
Gespräch mit dem NIEDERRHEIN MANAGER beschreibt Geschäftsführer Ton
Bongers die heutigen Möglichkeiten von Virtual Reality und wagt einen
Blick auf künftige Entwicklungen.
NRM: Schulungssoftware für angehende Astronauten: Was muss man sich darunter vorstellen?
Ton Bongers:
Bisher mussten Astronauten für jedes NASA-Training nach Houston reisen.
Mithilfe von Simulationssoftware können sie überall auf der Welt in
einem virtuellen Cockpit Platz nehmen. Sie schließen einen PC an, setzen
eine Virtual-Reality-Brille auf und befinden sich im nächsten Moment an
Bord des Weltraumshuttles. Sie können dabei alle Tätigkeiten
trainieren, die sie ansonsten im Original in Houston üben müssten,
Notfallszenarien inklusive. Eine perfekte Ergänzung zum realen Training.
NRM: In welchen anderen Bereichen werden solche Schulungsprogramme eingesetzt?
Ton Bongers:
Vor allem im Maschinenbau, der Medizintechnik, der Automobilindustrie
und der Prozessindustrie. Konzerne wie Bayer oder ThyssenKrupp setzen
auf Virtual Reality. Das Ziel besteht darin, die Mitarbeiter, die in
Werkshallen arbeiten, auf Gefahren hinzuweisen – hier ragen Streben
hervor, dort kann sich eine verborgene Luke öffnen, hinter der nächsten
Ecke befindet sich eine Stolperfalle. Es gibt viele Gefahrenquellen, die
man auf den ersten Blick übersieht.
NRM: Reicht dafür nicht ein Sicherheitsfilm?
Ton Bongers:
Den Effekt, den das virtuelle Erleben mit sich bringt, kann man mit
einem Schulungsfilm oder einer PowerPoint-Präsentation niemals erzielen.
Man muss die Gefühlsebene der Menschen erreichen. Das funktioniert nur
über Erlebnisse.
NRM: Was kann man denn nachempfinden?
Ton Bongers:
Den Fall von einer Leiter beispielsweise kann man in der Realität nicht
trainieren, außer man ist Stuntman. Virtuell ist das aber möglich.
Sogar das dazugehörige Kribbeln im Magen während des Falls kann
ausgelöst werden. Wer das einmal „erlebt“ hat, sei es auch nur virtuell,
vergisst das Gefühl nie wieder. Das führt zu erhöhter Aufmerksamkeit am
Arbeitsplatz.
NRM: Was sind die nächsten Schritte in der Entwicklung?
Ton Bongers:
Bei den Astronauten kann bislang die Schwerelosigkeit noch nicht
nachempfunden werden. Das ist das nächste Ziel. Zudem arbeiten wir
daran, dass sich künftig mehrere Menschen gleichzeitig in demselben
virtuellen Raum bewegen können.
NRM: Gibt es für solche Projekte überhaupt genug Spezialisten?
Ton Bongers:
Da der Markt wächst, wird es schwieriger, gute Profis zu finden. Unser
Team besteht derzeit aus Software-Ingenieuren, Entwicklern und
3D-Künstlern. Daneben setzen wir bei Bedarf auch auf freie Mitarbeiter.
NRM: Wie bleiben Sie selbst auf dem neuesten Stand der Technik?
Ton Bongers:
Wir arbeiten eng mit Universitäten und Forschungseinrichtungen
zusammen, natürlich auch in Deutschland. Das Fraunhofer-Institut und die
RWTH Aachen sind nur zwei Beispiele. Dafür ist unsere Lage an der
Schnittstelle zwischen Holland, Belgien und Deutschland ideal.
NRM: Ihre Firma befindet sich „in the middle of nowhere“. Müssten Sie nicht in einer IT-Metropole sitzen?
Ton Bongers:
Nein, unser Standort ist kein Problem. So wie die Astronauten nicht
mehr nach Houston reisen müssen, brauchen wir uns nicht im Silicon
Valley anzusiedeln.
NRM: Wie
kommt denn ein kleines Unternehmen aus dem Limburger Dorf Ittervoort an
eine Kooperation mit Boeing und anderen Global Playern?
Ton Bongers:
Dafür müssen wir kurz zurückblicken: Unser Mutterunternehmen Stepco hat
2005 eine spezielle serverlose IT-Infrastruktur für Schulen entwickelt –
wir waren damals Pioniere im Cloud Computing. Für dieses Projekt wurde
Stepco in Las Vegas mit einem Innovationspreis von Hewlett-Packard
ausgezeichnet. Auf diese Weise wurden wir international bekannt und
kamen in Kontakt mit Boeing. Seit 2014 ist Blue Tea als eigenständiges
Unternehmen mit dem Schwerpunkt Virtual Reality aktiv. Der Kontakt zu
Boeing blieb natürlich bestehen.
NRM: Haben solche Weltkonzerne nicht eigene Spezialisten dafür?
Ton Bongers:
Sie besitzen sogar eigene Abteilungen. Aber wir als kleines Unternehmen
können flexibler agieren. Außerdem haben wir eine sehr intelligente
Software dafür entwickelt.
NRM: Mit welchen Kosten muss man für solche Trainingsprogramme rechnen?
Ton Bongers:
Grob gerechnet geht es im mittleren fünfstelligen Bereich los. Ob der
Preis für ein Unternehmen teuer ist, hängt immer von der Zahl der zu
schulenden Mitarbeiter ab. Hat das Unternehmen 100 Kandidaten, betragen
die Kosten vielleicht 500 Euro pro Kopf, bei 10.000 Mitarbeitern nur
noch fünf Euro.
NRM: Das heißt, Astronauten-Trainings sind im Verhältnis ziemlich kostspielig.
Ton Bongers: Genau, aber eine Reise ins All ist ja auch etwas Besonderes … und eine sehr reale Erfahrung.
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