Am 22. Februar 2022, zwei Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, geht bei action medeor in Tönisvorst eine E-Mail in kyrillischer Schrift ein. „Uns gehen die Medikamente aus, die Lage spitzt sich zu“, schreibt der Absender, der Direktor eines Notfallkrankenhauses im westukrainischen Ternopil. Bei action medeor reagiert man sofort: Nach einer Videokonferenz mit den ukrainischen Ärzten wird entschieden, dass unmittelbar mit den Vorbereitungen für einen ersten Hilfstransport nach Ternopil begonnen wird. Als zwei Tage später der russische Angriff auf die Ukraine erfolgt, ist man bei action medeor bereits dabei, medizinische Hilfsgüter zu verladen.
Szenen wie diese sind bei action medeor nicht selten. Als „Notapotheke der Welt“ versorgt Europas größtes Medikamentenhilfswerk seit fast 60 Jahren Menschen in Krisengebieten und ärmeren Ländern mit dringend benötigten Medikamenten, Verbandsstoffen, medizinischer Ausrüstung und technischen Geräten. Am Hauptsitz in Tönisvorst lagern auf 4.000 Quadratmetern rund 150 Medikamente, die die Weltgesundheitsorganisation als essenziell eingestuft hat. „Im Krisenfall sind wir in der Lage, diese medizinischen Hilfsgüter sehr schnell auf den Weg zu bringen“, schildert Dr. Angela Zeithammer, Leiterin Marketing und Kommunikation bei action medeor. „Dazu haben wir eine humanitäre Logistik etabliert, die darauf ausgelegt ist, Hilfe so effizient wie möglich zu den Menschen zu bringen.“
Im Fall der Ukraine-Hilfe kommen dabei beeindruckende Zahlen zustande: Rund 140 Hilfstransporte mit einem Gewicht von 360 Tonnen und einem Gesamtwert von rund 5,5 Millionen Euro hat action medeor seit Februar 2022 in das kriegsgeschüttelte Land gesendet. „Wir organisieren solche Hilfe hocheffizient“, bringt es Dr. Zeithammer auf den Punkt. Dazu gehöre bereits der Einkauf, wie sie an einem Beispiel verdeutlicht: „In der Apotheke zahlt man für 20 Ibuprofen rund zwei bis drei Euro. Wir kaufen Ibuprofen in großen Mengen ein, sodass 1.000 Tabletten nur acht Euro kosten.“ Die Hilfsgüter gehen dann mit 40-Tonnern in die Ukraine, wo sie auf Kleintransporte verladen und im ganzen Land verteilt werden.
Für action medeor war und ist der Ukraine-Einsatz einer der größten, wenn auch längst nicht der einzige. Das Hilfswerk ist nicht nur in Krisenfällen zur Stelle, sondern führt auch viele humanitäre Projekte in aller Welt durch. In Sierra Leone etwa wurde mithilfe von action medeor eine Hebammenschule errichtet, um die viel zu hohe Müttersterblichkeit im Land zu verringern. In der Demokratischen Republik Kongo und in Burundi übernimmt action medeor die Gesundheitsversorgung für Zehntausende Vertriebene, die vor Armut und Gewalt fliehen mussten. In Guatemala stärkt action medeor indigene Familien in ihren Rechten auf Gesundheitsfürsorge.
Und nach der Flutkatastrophe 2021 in Westdeutschland wurde das Hilfswerk erstmals auch im eigenen Land aktiv. „Der Kern unserer Arbeit ist, dass Menschen den Zugang zu Gesundheit bekommen“, fasst Dr. Zeithammer zusammen, „und zwar insbesondere dort, wo dies nicht selbstverständlich ist“.
Ansätze und Herausforderungen für diese Hilfe gibt es genug. „Klimawandel, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben leider dazu geführt, dass sich die Lebenssituation vieler Menschen extrem verschlechtert hat“, berichtet sie. Dabei gehe es nicht nur um steigende Energiekosten. „Wir befürchten, dass sich in Somalia im Winter eine schwere Hungersnot ausbreiten wird“, so Dr. Zeithammer. „Durch den Klimawandel wechseln sich hier Dürren mit Überschwemmungen ab. Und durch den Ukraine-Krieg bekommt das Land keinen Weizen mehr. Es steht zu befürchten, dass Menschen schlichtweg verhungern. Hier sehen wir uns aktuell gefordert, um neue Dimensionen von Leid zu verhindern.“
Finanziert werden solche Hilfsmaßnahmen überwiegend durch Spenden. Die kommen nicht nur von Privatleuten, sondern auch von Unternehmen. „Uns unterstützen insbesondere auch kleinere und größere Unternehmen aus der Region“, erläutert Dr. Angela Zeithammer. „Das geht von einer einmaligen Weihnachtsspende bis hin zu dauerhaften Aktionen, an denen sich die Mitarbeitenden beteiligen“, erläutert die Marketing- und Kommunikationsexpertin. „Jede Spende ist für uns ein Vertrauensbeweis in unsere Arbeit und zugleich ein Beitrag für eine gerechtere Welt.“
Damit können wir vielen helfen – Dr. Angela Zeithammer von action medeor im Interview
Regio Manager: Frau Dr. Zeithammer, welche Möglichkeit haben Unternehmen, Ihre weltweiten Hilfsmaßnahmen zu unterstützen?
Dr. Angela Zeithammer: Da gibt es viele Möglichkeiten: von der einmaligen Spende über die Förderung konkreter Projekte bis hin zu mehrjährigen Kooperationen.
RM: Können Sie das an einigen Beispielen konkretisieren?
Dr. Angela Zeithammer: Gerne. Viele Unternehmen verzichten ja z.B. auf Weihnachtspräsente für ihre Kunden und spenden stattdessen an gemeinnützige Organisationen. Manche Unternehmen wenden sich im Vorfeld an uns, um für ein konkretes Projekt zu spenden. Wir beraten dann gemeinsam, wo das Geld am dringendsten gebraucht wird und welches Projekt am besten zu dem jeweiligen Unternehmen passt.
RM: Sie sprachen auch von längerfristigen Kooperationen. Wie sehen die aus?
Dr. Angela Zeithammer: Auch hier gibt es viele Möglichkeiten. Ein Beispiel ist die Rest-Cent-Spende. Dabei spenden die Beschäftigten eines Unternehmens bei ihrer monatlichen Lohnabrechnung die Cents hinter dem Komma. Das sind viele kleine Beträge, die sich aber summieren. Manche Unternehmen verdoppeln die Spendensumme ihrer Belegschaft noch. Damit können wir oft vielen Menschen helfen.
RM: Was ist denn mit kleinen Unternehmen? Haben die auch Möglichkeiten?
Dr. Angela Zeithammer: Ja, es gibt z.B. die Unternehmer-Initiative Niederrhein, in der sich viele mittelständische und auch kleine Unternehmen zusammengetan haben, um gemeinsam Aktionen durchzuführen, deren Erlös unserer humanitären Arbeit zugutekommt. Hier kann sich jeder und jede aktiv einbringen.
RM: Was bedeutet es Ihnen, wenn Unternehmen spenden?
Dr. Angela Zeithammer: Wenn uns Unternehmen und ganze Belegschaften auf diese Weise ihr Vertrauen schenken, ist das für uns eine große Verpflichtung, die uns froh und dankbar macht. Wir wissen, dass das in schwierigen Zeiten wie diesen keineswegs selbstverständlich ist.
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