REGIO MANAGER: Herr Schulze, Sie haben sich mit dem 2022 von Ihnen und Niclas Musies gegründeten Start-up-Unternehmen Sustaind auf die ESG-Datenerfassung spezialisiert. Was ist Ihre Perspektive auf das Thema ESG-Management – welche Chancen sehen Sie im Thema Nachhaltigkeit?
Louis Schulze: Wir sind davon überzeugt, dass die nachhaltige Transformation ein Wachstumsmotor für die deutsche Industrie sein kann. Die sog. GreenTech-Märkte wachsen rasant und Lösungen zur Dekarbonisierung werden global nachgefragt. Es braucht innovative, und zumeist technische Produkte, die wir mit unserem Ingenieursgeist aus Deutschland heraus schaffen können. Blicken wir zurück: Das deutsche Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte, das Label „Made in Germany“, ist u.a. auf diese beiden Voraussetzungen zurückzuführen: die wachsende Nachfrage in unseren Kernmärkten und die zunehmende Globalisierung. Aktuell erleben wir, wie sich dieses Wachstum in den traditionell deutschen Industrien verlangsamt. Vielleicht braucht es daher neue Märkte, die unseren künftigen Wohlstand begründen. GreenTech kann aus meiner Sicht so ein „Made in Germany 2.0“ begründen.
Und sicher werden die Chancen aktuell eher von ESG-Berichterstattung und der damit verbundenen Bürokratie überschattet. Doch auch diese kann, bei genauerer Betrachtung, ein Schritt in Richtung Chance sein. Die Pflicht zur Berichterstattung schafft erstmalig Transparenz, welche Unternehmen auch ökologisch und sozial gut wirtschaften. Die berichteten Zahlen werden Entscheidungskriterium – für Banken, Kunden und Mitarbeitende. Positioniere ich mich gegenüber diesen als nachhaltiges Unternehmen, schaffe ich ein Differenzierungsmerkmal, das sich bspw. in günstigeren Zinsen äußern kann.
RM: Inwiefern gewinnt nachhaltiges Wirtschaften seit einiger Zeit nun auch für KMU an Relevanz?
LS: Die Relevanz war immer gegeben. Gerade im deutschen Mittelstand liegt Nachhaltigkeit in der DNA. Unser Start-up haben wir in Ostwestfalen-Lippe gegründet. Eine Region, die viele familiengeführte Weltmarktführer beheimatet. Werte wie „Enkelfähigkeit“, der Erhaltungswille des starken Mittelstands und das Familienunternehmertum sind immer schon stark verwurzelt gewesen und im engsten Sinne ein Ausdruck von Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. All diese Betriebe würden nicht mehr bestehen, wenn sie nicht nachhaltig agieren würden. Mit der Berichterstattung wird dies endlich sichtbar. Vielleicht haben unsere familiengeführten, mittelständischen Unternehmen hier sogar einen Vorteil gegenüber multinationalen Konzernen.
RM: Werden auch KMU bald nicht mehr ohne eine durchdachte ESG-Strategie auskommen werden und falls ja, warum?
LS: Ohne ESG-Strategie wird es mittelfristig nicht mehr funktionieren. Auch wegen der regulatorischen Anforderungen an Banken, Kunden und Abschlussprüfer. Die viel größere Notwendigkeit ist doch aber der Klimawandel. Nur Unternehmen, die ökologisch und sozial nachhaltig agieren, werden in 50 Jahren noch bestehen können – dies ist ein Natur- und in Konsequenz dann auch ein Marktgesetz. Dieser Absolutismus unterscheidet die nachhaltige Transformation aus meinen Augen auch von vorherigen Transformationen, wie der digitalen.
RM: Wie weit ist der deutsche Mittelstand in Sachen ESG und Nachhaltigkeitsberichterstattung Ihrer Ansicht nach aktuell?
LS: Der Fortschritt variiert stark nach Geschäftsmodell und Industrie. Historisch gesehen sind produzierende Unternehmen und Branchen wie die Textil- oder Chemieindustrie stärker reguliert und seit vielen Jahren mit Fragen der ESG-Berichterstattung konfrontiert. Auch Unternehmen, die börsennotierte Kunden beliefern, erhalten bereits ESG-Fragebögen von diesen. In anderen Branchen beginnt die Auseinandersetzung mit dem Thema. Anhand unserer Datenbank sehen wir, dass ca. jedes zweite CSRD-pflichtige Unternehmen erste Ansätze einer ESG-Strategie veröffentlicht hat. Die Menge der verfügbaren ESG-Daten korreliert mit der Unternehmensgröße. Während große, häufig börsennotierte Unternehmen bereits umfangreich berichten, haben KMU unter 100 Mitarbeitenden maximal einzelne Zertifikate und Maßnahmen publiziert.
RM: Was empfehlen Sie mittelständischen Unternehmern als erste Schritte zur Implementierung nachhaltiger Prozesse?
LS: Diese Frage beginnt bei meinen Kunden. Eine geeignete Frage, sich dem Thema zu nähern, könnte sein: „Wie kann ich meinen Kunden helfen, nachhaltiger zu werden?“ oder „Wie reduziere ich den Ressourcenverbrauch bzw. CO2-Emissionen meiner Kunden durch meine Produkte?“ Ich beziehe mich nochmal auf den Vergleich zur digitalen Transformation: Auch hier gab es unterschiedliche Strategien. Einige Unternehmen haben mithilfe der Digitalisierung neue Geschäftsmodelle begründet. Andere konnten ihre Prozesse mithilfe digitaler Tools effizienter gestalten. Eine Frage könnte sein: „Wie wäre ich im Jahr 2005 gern mit der digitalen Transformation in meiner Organisation umgegangen?“ Diese Erkenntnisse kann ich übertragen. Wichtig ist, anzuerkennen, dass wir über ein komplexes Thema sprechen, das nur mit vielen kleinen Schritten zu lösen ist. Ein gesunder Pragmatismus ist, gerade im Mittelstand, essentiell.
RM: Ihr Unternehmen betreibt eine KI-gestützte ESG-Datenbank, die insbesondere KMU und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften individuelle ESG-Datenanalysen ermöglichen soll. Wie systematisieren Sie die Fülle an Daten mit Ihrer Plattform?
LS: Künstliche Intelligenz (KI) ist ein wichtiger Bestandteil unserer Plattform, ja. Zum einen nutzen wir KI, um große Mengen an Nachhaltigkeitsdaten zu filtern. Unser KI-Modell wurde darauf trainiert, in der Gesamtmenge der Daten relevante Informationen herauszufiltern und den Indikatoren zuzuordnen, die z.B. für die CSRD-Berichterstattung nötig sind. Man könnte sagen, unsere KI ist ein ESG-Experte, der unseren Kunden dabei hilft, bereits den Status quo im nötigen Bericht abzubilden. Zum anderen nutzen wir KI, um aufbauend auf unserer Datenbank – die mittlerweile 15.000 Unternehmen umfasst – die richtigen Maßnahmen und Ziele für die Unternehmen abzuleiten. Unsere Kunden bekommen von der KI Maßnahmen vorgeschlagen, die andere Unternehmen aus derselben Branche oder derselben Wertschöpfungsstufe erfolgreich umsetzen. Dadurch hilft sie, den Status quo auch zu verbessern. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften hingegen können unsere Datenbank in der Beratung und Prüfung Ihrer Mandanten nutzen. Auch mit Blick auf den demographischen Wandel sehen wir große Chancen darin, unsere Produktivität durch KI zu verbessern.
RM: Wie machen Sie mit Hilfe Ihrer Datenbank die ESG-Performance von Unternehmen messbar und vergleichbar?
LS: Um Vergleichbarkeit zu schaffen, orientieren wir uns an den ESRS. Das ist ein Set an Indikatoren, die die meisten Unternehmen künftig berichten müssen. Wie vorhin beschrieben, prüfen wir mithilfe der KI, zu welchen Indikatoren die Unternehmen heute schon bewusst oder unbewusst aussagefähig sind. Gibt es Informationen zu einem Indikator, so steigt der Prozentwert der Bewertung. Eine qualitative Bewertung, ob eine Information gut oder schlecht ist, treffen wir nur bei numerischen Indikatoren, bei denen wir Vergleichswerte haben. Um die Verlässlichkeit unserer Daten konstant zu validieren, arbeiten wir u.a. sehr eng mit Wirtschaftsprüferinnen und -prüfern zusammen.
RM: Im Rahmen eines Projektes mit Brinkschulte Medien Essen haben Sie für B2B-Branchenrankings ESG-Daten der jeweiligen Wirtschaftszweige zur Verfügung gestellt, um das Nachhaltigkeitsengagement von Unternehmen zu vergleichen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
LS: Anhand unserer Datenbank haben wir identifiziert, welche ESG-Daten deutscher Unternehmen in der jeweiligen Branche bereits öffentlich vorhanden sind. Aus den quantitativen Kennzahlen haben wir Durchschnittswerte ermittelt, die als Orientierung für einen Benchmark dienen. Zu berücksichtigen ist, dass nicht in jeder Branche die gleichen Werte relevant sind. Das Konzept einer sog. Wesentlichkeitsanalyse zeigt auf, welche konkreten Nachhaltigkeitsthemen für ein Unternehmen relevant sind. Auf Basis der in der Datenbank befindlichen Daten haben wir also zusätzlich ermittelt, welche Datenpunkte häufig publiziert werden – sei es in Studien, Analysen oder von den Unternehmen selbst –, um die wesentlichen Themen hervorzuheben.
RM: Herr Schulze, herzlichen Dank für das informative Gespräch.
Teilen: