Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste und am dichtesten besiedelte Bundesland, ist eine Logistikdrehscheibe von überragender Bedeutung. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Seidenstraße – die Güterzugverbindung zwischen China und Europa – mit inzwischen 30 Güterzug-Ankünften jede Woche ihren Endpunkt in Duisburg hat – der Stadt mit dem größten Binnenhafen der Welt. Der Rhein, die weltweit bedeutendste Binnenwasserstraße, durchströmt Nordrhein-Westfalen auf einer Länge von 215 Kilometern. Und der Hinterland-Verkehr von Rotterdam, Antwerpen und Amsterdam – drei der Top-5-Häfen Europas – wird über NRW abgewickelt, das mit den Niederlanden über nicht weniger als sechs der acht deutsch-niederländischen Autobahnen verbunden ist.
Stetes Wachstum über BIP
In Nordrhein-Westfalen erwirtschafteten 24.000 Logistik-Unternehmen mit 348.500 Beschäftigten 2018 einen Umsatz von 68 Milliarden Euro. Rechnet man auch die Logistikaufgaben in Handel und Industrie dazu, dann sind es sogar 712.000 Beschäftigte, und so betrachtet ist die Logistikbranche der drittwichtigste Wirtschaftsbereich nach der Autoindustrie und dem Handel. Im Einklang mit der deutschen Speditions- und Logistikbranche verzeichnet auch die im Bundesland NRW über die vergangenen Jahre ein moderates bis kräftiges Wachstum, das sogar über dem des Bruttoinlandsprodukts liegt. Nach der globalen Finanzkrise waren die Umsätze um bis zu 30 Prozent eingebrochen, doch 2016 wurde das Vorkrisenniveau wieder durchstoßen. Und es sieht nicht nach einer Trendwende aus, sagt Prof. Dr. Rüdiger Ostrowski, Geschäftsführer des Verbandes Spedition und Logistik NRW (VSL). „Die Logistikbranche generiert ja keine Urnachfrage, sondern abgeleitetes Wachstum. Und wenn es zwischen Handel und Industrie gut läuft, haben wir gut zu tun.“
Streben nach komplexeren Dienstleistungen
In der Logistikbranche sind die Margen bei den einfachsten Dienstleistungen am kleinsten. Je mehr Mehrwert ein Logistiker erbringt, desto besser verdient er. „Der Transporteur und der Spediteur suchen immer nach Ideen, was sie vor und hinter dem Werkstor anbieten können“, meint Rüdiger Ostrowski, „zum Beispiel eine Endfertigungsstufe, eine Distributionsstufe, eine Controllingstufe, eine Qualitätsmanagementstufe. Sie fragen ihren Kunden: Was kann ich außerhalb von Transport für dich tun?“
Vom Spediteur zum Kontraktlogistiker
Die trivialste Art, Mehrwert zu schaffen, ist ein Lager. Aber es ist noch viel mehr drin. Rüdiger Ostrowski erzählt von einem Spediteur, der Kopierer eines japanischen Unternehmens zu den Kunden brachte – zunächst lokal, dann deutschlandweit. „Dann fragte die Firma: Kannst du auch die kaputten mitnehmen, kannst du die vielleicht sogar reparieren? Du stellst einen Büromaschinenmechaniker ein und dann bringst du die Geräte zurück?“ Heute, 25 Jahre später, ist diese Spedition Komplettdienstleister für den Kopiererhersteller. Sie repariert die Geräte, macht für ihn die komplette Ersatzteillogistik und ist heute Globaldienstleister.
Problem Gratisrücksendung
Derartige Beispiele, in denen einfache Spediteure ihre Kompetenz ausweiten und zu komplex agierenden Kontraktlogistikern werden, sind zahlreich in NRW zu finden. Ein weniger komplexer Zweig der Logistik ist die Zustellung von Paketen. Diese boomt weiter und befeuert den Markt der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP). Was vor allem in den Innenstädten Probleme schafft. „Die Grundlage dieser Entwicklung sind ja nicht die Paketdienstleister, sondern die Kunden“, sagt Rüdiger Ostrowski. „Diese Entwicklung wird dadurch getrieben, dass Online-Versender wie Zalando und Amazon klaglos Retouren akzeptieren. Es geht sogar so weit, dass sogar Hochzeitskleider gekauft werden und, weil sie angeblich nicht gepasst haben, nach der Hochzeit zurückgeschickt werden.“ Allerdings stoße dieses Verhalten den Online-Giganten zunehmend übel auf. „Man wird sehen, inwieweit sich das Bestellverhalten entwickelt und inwieweit künftig die Kosten auf die Kunden übertragen werden – denn das ist ja das Lenkungsinstrument.“
Mittelständische Struktur
Während die vier großen Anbieter DHL, UPS, Fedex und DSV deutlich sichtbar den KEP-Markt dominieren, besteht der Markt insgesamt betrachtet zu 80 Prozent aus Mittelständlern und nur zu 20 Prozent aus Konzernen – wie etwa Kühne + Nagel oder Dachser. Insgesamt ist in der Logistikbranche eine Tendenz zu immer größeren Wirtschaftseinheiten festzustellen, wenn auch kleine Einzelunternehmer mit einem oder mehreren Lkw, die einfach gerne auf ihrem Truck sind, nach wie vor eine Rolle spielen.
Anteil der Binnenschifffahrt bröckelt
In der Binnenschifffahrt spielten früher die „Partikuliere“ (Einzelschiffseigner) eine besondere Rolle, aber es wird schwieriger, in der Binnenschifffahrt noch den Anschluss zu halten. „Keiner will mehr Binnenschifffahrt machen“, sagt Ostrowski. „Durch die Niedrigwasserperioden ist viel Fracht vom Schiff auf die Bahn verlagert und anschließend nicht zurückverlagert worden.“ Insgesamt gibt es in NRW noch 40 Binnenschiffsspediteure. Im Mix der Verkehrsträger führt der Lkw unangefochten mit 70,7 Prozent, die Bahn liegt stabil bei 18,7 Prozent und der Schiffs-Anteil beträgt acht Prozent. Pipeline-Transport hat einen Marktanteil von 2,6 Prozent.
Geldsegen für die Infrastruktur
Angesichts der Dominanz des Lkw-Transports ist die Branche sehr glücklich, dass nach jahrzehntelangem Sanierungs- und Investitionsstau nunmehr viel Geld für die Verkehrsinfrastruktur in NRW zur Verfügung steht. 18 Prozent der im Bundesverkehrswegeplan vorgesehenen Mittel kann Nordrhein-Westfalen bis 2030 verbauen. Nach Jahren des Klagegesangs frohlockt die Branche nun: „Wir klagen nicht mehr, wir freuen uns, dass das Geld da ist!“
Problem Fahrermangel
Personal ist und bleibt knapp in der Branche – insbesondere der Fahrermangel ist ein großes Thema. Dass die Bundeswehr sich verändert hat, macht es nicht leichter. „Früher kamen die Zeitsoldaten mit einem Lkw-Führerschein von der Bundeswehr und fingen in einer Spedition an. Heute müssen die Spediteure auf eigene Kosten selber ausbilden – allerdings kostet der Lkw-Führerschein heute etwa fünfmal so viel.“ Um gute Fahrer zu halten, dürfen sie in der Liste mit der Zusatzausstattung schon mal ausgiebig Kreuzchen setzen, wenn ein neues Fahrzeug angeschafft wird. Um Nachwuchs zu gewinnen, steigen nicht nur die Löhne in der Branche. Sie hat 2012 auch das IHK-Berufsbild des „Berufskraftfahrers“ mit dreijähriger Lehre geschaffen. Inhaber eines alten „Lappens“ werden als Berufskraftfahrer anerkannt, wenn sie an fünf Modulen teilnehmen – „Gefahrgut“ etwa oder das obligatorische Modul „Ladungssicherung“. „Der ‚Berufskraftfahrer‘ ist eine sehr attraktive Sache“, findet Rüdiger Ostrowski. „Du bist jetzt nicht mehr der Trucker, der nichts gelernt hat, du bist Berufskraftfahrer mit einer dreijährigen Ausbildung.“ Auch Ostrowski, Inhaber eines alten Lkw-Führerscheins, hat sich mithilfe der Module zum
Berufskraftfahrer „weitergebildet“.
Vorteile durch Digitalisierung
Auch das automatisierte Fahren könnte den künftigen Personalbedarf etwas lindern, hofft VSL-Geschäftsführer Ostrowski. Überhaupt verändert sich der Logistiksektor derzeit enorm durch die Digitalisierung. Die Akademiker-Quote in den Logistik-Unternehmen ist stark gewachsen; auch die Anforderungen an die Wendigkeit der Unternehmen steigen. „Man muss sich unbedingt in die Digitalisierungsplattformen der Verlader einklinken“, rät VSL-Mann Ostrowski. „Wer das macht, ist morgen noch dabei, wer das nicht macht, weil er denkt, das ist nur eine Zeiterscheinung, der wird verlieren.“ Persönliche Kontakte spielen heute noch eine Rolle, aber ihre Bedeutung nimmt stark ab. Das Ausschreibungswesen wird immer weiter durchdigitalisiert. „Wer da nicht aufgeschlossen ist für diese komplizierten Ausschreibungen oder junge Leute daransetzt, die das können, der verliert.“ Er warnt: Wer zu langsam reagiert, der könnte abgehängt werden.Claas Syrt Möller
| redaktion@regiomanager.de
Teilen: