Die Branche ist zwar noch jung, hat sich jedoch schon stark gewandelt. Früher wurden Abfälle von A nach B gefahren und in der Regel abgekippt, etwa in frühere Kiesgruben. Von diesen unkontrollierten sogenannten „Bürgermeisterdeponien“ existierten Mitte der 70er-Jahre 65.000 – 2015 waren es nur noch 1.110. Deponiegase – also das auf Deponien entstehende Treibhausgas Methan – waren damals noch unbekannt. Ganz zu schweigen von Gefahrstoffen, die ebenfalls abgekippt wurden. Kaum zu glauben, dass das Ganze unter der Überschrift „Entsorgung“ lief. Der Begriff weckt den Eindruck, alle Sorgen seien gelöst, sobald der Müll außer Sichtweite ist. Zwar ist er im Namen des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) enthalten. Tatsächlich aber leistet dieser Wirtschaftssektor heute seinen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele. Er dürfte der einzige Wirtschaftszweig sein, der heute durch seine Geschäftstätigkeit mehr Treibhausgase einspart als verursacht: Die Branche steht nach Verbandsangaben für etwa ein Viertel der Gesamtminderung des CO2-Ausstoßes in Deutschland. Dank der Recycling-Aktivitäten der deutschen Kreislaufwirtschaft braucht jede siebte Tonne der in Deutschland eingesetzten Rohstoffe nicht mehr importiert zu werden. Damit ist Recycling inzwischen zur dritten tragenden Säule der Rohstoffversorgung in Deutschland geworden. Die Kreislaufwirtschaft, d. h. der Umbau zu einer Wirtschaft, die Ressourceneinsatz, Abfallproduktion, Emissionen und Energieverschwendung minimiert, ist also längst keine Utopie mehr – abzulesen an der „Abfallintensität“, dem Verhältnis zwischen Gesamtabfallaufkommen und Bruttoinlandsprodukt. Von 2000 bis 2015 sank der Index von 100 auf 76 Punkte.
Problematische Begriffe
Im BDE sind etwa 750 Mitgliedsunternehmen vereint, die mit rund 290.000 Mitarbeitern fast 80 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Die Branche erzeugt Recyclingprodukte von hoher Reinheit und Qualität. Darum will BDE-Pressesprecher Bernhard Schodrowski vom Begriff „Sekundärrohstoff“ nichts mehr wissen – wieder so eine Bezeichnung von gestern, die zweitklassige Qualität suggeriert. „Wir machen Recyclingprodukte, die den Primärprodukten qualitativ in nichts nachstehen“, sagt Schodrowski. Flaschen aus Grünglas bestehen heute schon zu 90 Prozent aus Altglas, solche aus Weißglas zu 60 Prozent – ganz abgesehen davon, dass Mehrwegflaschen heute rund 50-mal befüllt werden. Die Erzeugung von Aluminium aus Bauxit ist enorm energieintensiv. Eine einzige Aluminiumhütte in Nordrhein-Westfalen verschlingt etwa ein Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms. Im Vergleich dazu erfordert die Herstellung von Recyclingaluminium nur fünf Prozent des ursprünglichen Energiebedarfs. Dies verringert den Rohstoff- und den Energieverbrauch und damit auch die Entstehung von Treibhausgasen. Allerdings: Nicht jeder Abnehmer akzeptiert das Recycling-Alu – die Flugzeugindustrie betrachtet es offenbar immer noch als Rohstoff aus zweiter Hand.
Pflicht-Rezyklat-Quote
„Wir brauchen“, so Schodrowski, „die Verpflichtung, Rezyklate in neue Produkte aufzunehmen.“ Den großflächigen Umstieg auf Kunststoff-Flaschen aus Rezyklat verhindert vor allem das seit Jahren billige Erdöl. Eine freiwillige Initiative der Industrie zeigt aber, wie es anders gehen kann. Die Reinigungsprodukte von Frosch befinden sich seit geraumer Zeit in Flaschen, die zu 80 Prozent aus recycelten Einweg-PET-Flaschen bestehen. Das Votum des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments aus dem Herbst 2018, dass Getränkeverpackungen aus Einwegplastik bis 2025 zu mindestens 35 Prozent aus Rezyklaten bestehen müssen, bestätigt den BDE in seiner Linie. Der Verband kann sich auch eine Pflicht-Rezyklat-Quote für das Beschaffungswesen der öffentlichen Hand vorstellen.
Alter Hut
Die Wiederverwertung von Material ist im Grunde ein alter Hut, nur geriet sie im Wegwerfwahn seit den 50er-Jahren etwas in Vergessenheit. Beispiel Papier: Schon vor 2000 Jahren wurde Reispapier wiederverwendet; seit der Spätantike wurden Texte von Manuskripten abgekratzt oder – etwa mit Zitronensäure – entfernt und neu beschrieben. Mit dem Buchdruck wurden Lumpen ein so bedeutender Rohstoff für die Papiererzeugung, dass sie zeitweise mit Exportverboten belegt wurden. Später nahm Holz die Rolle der Lumpen ein, doch seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts spielt Altpapier bei der Papierherstellung eine immer größere Rolle. Insgesamt bestehen neu hergestellte Papp- und Papierprodukte heute zu durchschnittlich 72 Prozent aus recyceltem Material.
Problem Verbundstoffe
Recycling, das bei Glas, Papier und Pappe exzellent funktioniert, stößt bei anderen Materialien an seine Grenzen. So kann die Folie einer Käseverpackung aus verschiedenen Einzelfolien mit jeweils unterschiedlichen Funktionen bestehen (Lichtschutz, Trägermaterial für Produktinformationen, Frischhaltefunktion usw.). Solche Verbundmaterialien stellen die Sortieranlagen vor kaum zu lösende Aufgaben. Der BDE fordert deshalb ein „Design for Recycling“. Die Zerleg- und Verwertbarkeit müsste also schon bei der Konzeption von Produkten und Verpackungen berücksichtigt werden.
Kernmarkt NRW
Die deutsche Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft gliedert sich in die Marktsegmente Abfallsammlung, Abfalltransport und Straßenreinigung (20 Prozent des Umsatzes), Abfallbehandlung und -verwertung (45 Prozent), Technik für die Abfallwirtschaft (15 Prozent) sowie Außenwirtschaft. Der Markt in NRW ist bei Weitem der größte; die deutsche Kreislaufwirtschaft macht immerhin 17 Prozent des Weltmarktes aus.
Verfahrens-Innovationen
Mit einer Fülle von Innovationen hat die Recyclingwirtschaft immer wieder Detailprobleme gelöst. So erkannten bisherige Kunststoff-Sortieranlagen schwarz eingefärbtes Plastik nicht. Durch zwei neue Verfahren wurde dieses Problem nun überwunden. Ein privater Hersteller von Weichschaumstoffen hat einen innovativen Recyclingprozess entwickelt, mit dem sich bisher ungenutzte Abfälle der Matratzen- und Polsterschaum-Herstellung wieder direkt für die Produktion von Weichschaum verwenden lassen. Schließlich macht ein neues Verfahren es möglich, den bei der Herstellung von Gipsfaserplatten anfallenden Staub wieder für die Produktion solcher Platten zu nutzen. Und ein vom Fraunhofer-Institut entwickelter thermochemischer Prozess erleichtert die Rückgewinnung von Metallen, Fasern und Energie aus Verbundmaterialien wie Elektroschrott, Altfahrzeugen oder faserverstärkten Kunststoffen. Auch kommunale Akteure haben ihren Anteil am Umbau der Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft. So wird in Wuppertal die Fernwärmeversorgung von Kohle auf die Energie aus einer Müllverbrennungsanlage umgestellt. Dies allein spart bereits etwa zwei Drittel so viel CO2 ein, wie der Wuppertaler Verkehr erzeugt. Zusätzlich wird mit dem gleichzeitig in der Müllverbrennung erzeugten Strom über Elektrolyse Wasserstoff aus Wasser erzeugt, um den öffentlichen Nahverkehr auf eine emissionsfreie Antriebsart umzustellen. Und so sorgen verschiedenste Initiativen dafür, dass die Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft ihrem Anspruch immer besser gerecht wird, eine echte Kreislaufwirtschaft zu werden, bei der Wirtschaftswachstum nicht automatisch mit mehr Müll, Emissionen und Energieverbrauch verknüpft ist.
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