Wenn in lokalen Medien von „Schandflecken“ die Rede ist, sind nicht selten brachliegende Flächen gemeint. Es sind von Unkraut überwucherte Areale, leerstehende Gebäude und Anlagen, nicht mehr genutzte Infrastrukturen. Wohl fast jeder dürfte ein solches Beispiel in seiner Heimatstadt kennen. Doch wieso gibt es überhaupt so viele Brachflächen? Die Antwort kennt Franz Meiers, Geschäftsführer der landeseigenen Stadtentwicklungsgesellschaft NRW.Urban. „Die Bevölkerungsentwicklung verändert unsere gebaute Umwelt stetig“, sagt er. Sinkende Geburtenraten und Wanderungsbewegungen produzierten tendenziell wachsende und „schrumpfende“ Regionen, so Meiers. Unmittelbar sichtbare Folgen seien Wohnungsleerstände und brachfallende Einzelhandelsimmobilien. „Hinzu kommen langjährige Wirtschaftszyklen, welche die Brachflächen-Entstehung beeinflussen: Viele flächenintensive Gewerbe- und Industriezweige haben über Jahrzehnte massiv an Bedeutung verloren, so dass Produktionsstandorte aufgegeben wurden.“ Dies betrifft in den Ballungsräumen des Landes die Textilbranche beispielsweise ebenso wie die Metallverarbeitung und Montanindustrie. Ein weiterer, großer „Brachflächenproduzent“ ist das Militär. Aufgegebene Kasernen und Truppenübungsplätze der Alliierten würden als Konversionsflächen bezeichnet. „Nicht zuletzt spielen die Verkehrsbrachen, wie ehemalige Rangierbahnhöfe und nicht mehr betriebsnotwendige Flächen entlang der Schiene eine immense Rolle – gerade weil es sich hier oftmals um Bereiche inmitten von Stadtgebieten handelt“, betont Thomas Lennertz, Geschäftsführer der BEG, der BahnflächenEntwicklungsGesellschaft NRW mbH, eine gemeinsame Tochtergesellschaft des Landes und der Deutschen Bahn AG.
Langwierige Prozesse
Warum aber werden diese Flächen bislang nicht genutzt? Warum dauert es mitunter viele Jahre, bis die ersten Bagger anrollen, um Gelände dieser Art wieder nutzbar zu machen? „Um Brachflächen in eine neue Entwicklung zu bringen, ist in der Regel ein höherer Aufwand erforderlich als bisherige Freiflächen als Bauland auszuweisen“, so Meiers. Die Entwicklungshemmnisse lägen einerseits in der Vornutzung: „Wenn Gebäude oder Betriebsanlagen zurückzubauen sind, wenn die Natur sie bereits zurückerobert hat oder wenn ein Verdacht auf Bodenverunreinigungen oder Altlasten besteht, ist eine gründliche gutachterliche Aufklärung erforderlich.“ Vielfach fehlt es bei den Kommunen laut Lennertz auch an den notwendigen Ressourcen: „Die Städte und Gemeinden befinden sich aufgrund von Flüchtlingskrise und Haushaltsengpässen an ihren Kapazitätsgrenzen oder es fehlt schlicht an Fachpersonal, um schwierige Standorte anzugehen. Selbst wenn die Brachflächen durch die derzeit steigende Grundstücks-Nachfrage an Marktgängigkeit gewinnen, bleiben oftmals viele Unbekannte und die Risiken für mögliche Investoren zu hoch.“ Nichtdestotrotz rückt die Entwicklung nicht effizient genutzter und leerstehender Flächen durch die steigenden Bevölkerungszahlen und Urbanisierungsschübe in vielen Städten wieder in den Fokus der Stadtplaner. Nachdem über Jahre aufgrund der Demografie und zurückgehender Einwohnerzahlen ein intelligenter Umgang mit „Schrumpfungstendenzen“ gefordert war, hat sich die Situation völlig verändert. „Beim Flächenrecycling – sei es bei der von altindustriellen Flächen oder bei der ehemaliger militärischer Standorte – müssen wir den Mut haben, neu zu denken“, so Meiers. Erste Analysen von NRW.Urban haben ergeben, dass es in Nordrhein-Westfalen ein Wohnbaupotenzial von zirka 620 Hektar allein an Konversionsstandorten in integrierter Lage gibt. Ein großer Vorteil der Wiedernutzung von Brachflächen für die Städte wie auch für die Eigentümer liegt seiner Ansicht nach in der Erschließungssituation. Sein Kollege Thomas Lennertz dazu: „Die Einbindung in die umliegende Bebauung, die soziale Infrastruktur, verkehrliche Anbindung, Ver- und Entsorgungsleitungen sind vorhanden. Städtische Dichte, Versorgungsangebote und Wohnbebauung vor der Haustür werden gepflegt und rekultiviert.“ Das Land und die kommunalen Interessensverbände hätten dieses Potenzial – aber auch den grundsätzlichen Wettbewerbsnachteil von Brachflächen – erkannt. „Sie haben Bahnflächen-Pool NRW sowie den Flächenpool NRW initiiert, um innenstadtnahe brachliegende Flächen zu einem Aktivposten der Stadtentwicklung zu machen“, erklärt Thomas Lennertz. Beides sind Unterstützungsangebote des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW, durchgeführt durch NRW.Urban und BEG NRW. „Die Fachleute der beiden Unternehmen klären das Entwicklungspotenzial sowie die besonderen Hemmnisse am jeweiligen Standort auf und moderieren das weitere Vorgehen als Mittler zwischen der Kommune und dem Eigentümer. Rund 150 Standorte in ganz Nordrhein-Westfalen sind bereits in Bearbeitung, rund 40 weitere sind jüngst hinzukommen.“
Beispiele für Umwandlungen
Beispiel Bahnhof Jüchen-Hochneukirch: Die Gemeinde am Niederrhein stoppte gemeinsam mit der BEG die Entwicklung hin zu seiner typischen Eisenbahnbrache. Der Haltepunkt wurde völlig neu überplant. Die Ergebnisse: Neuanbindung des öffentlichen Verkehrs und ein erstes Baugebiet unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bahnhofs nebst Lagergebäude. In der Folge entstand ein Wohnquartier mit rund 40 Wohnungen. Beispiel Alte Ladestraße in Hennef: Hier gelang eine völlige Neugestaltung. Auf der Projektfläche entstand unter anderem ein Gebäude mit rund 4.000 Quadratmetern Verkaufsfläche auf zwei Verkaufsebenen, in dem unter anderem der Elektronikmarkt Saturn zu finden ist. In Schwelm, um ein drittes Beispiel zu nennen, wurde auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs Loh eine neue Zustellbasis der Deutschen Post errichtet. Ein Projekt, das weit über die Region hinaus große Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist der Dortmunder Phoenix-See. Wo noch bis 2001 ein Stahlwerk stand, befindet sich heute ein See mit hohem Freizeitwert, umgeben von hochwertigen Ein- und Mehrfamilienhäusern und modernen Bürokomplexen.
Daniel Boss | redaktion@regiomanager.de
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