Management

Unternehmensnachfolge: Neuer Chef aus Holland?

Immer mehr Senior-Chefs gelingt es nicht, die Nachfolge in ihrer Firma zu regeln. Unerwartete Hilfe könnte aus den Niederlanden kommen.

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von Regiomanager 01.03.2017
(Foto: © BillionPhotos.com– stock.adobe.com | Claas Syrt Möller

 Die Nachfolgefrage wird zu einer immer drängenderen Herausforderung für den Mittelstand: 45 Prozent der Senior-Firmenchefs in Deutschland finden keinen geeigneten Kandidaten zur Stabübergabe – mehr als je zuvor. Andererseits hatten 49 Prozent der übernahmewilligen Jungunternehmer bei der Suche eines geeigneten Betriebs bisher keinen Erfolg, wie sich aus dem Report „Unternehmensnachfolge 2016“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) ergibt.

Deutsche Firmen sind besonders interessant

Für manch eine Firma ohne Nachfolger könnte es Interessenten in den Niederlanden geben. Für die Wirtschaft aus dem Nachbarland ist Deutschland, vor allem aber Nordrhein-Westfalen, seit Langem wichtig: Laut NRW Invest haben rund 4.000 und damit 46 Prozent der in Deutschland aktiven niederländischen Unternehmen ihren Sitz in NRW. Im Rheinland führen die Niederlande die Top Ten der ausländischen Handelsregister-Unternehmen mit großem Abstand an. M&A-Transaktionen (Mergers & Acquisitions, Fusionen und Übernahmen) zwischen Deutschland und den Niederlanden finden immer wieder statt. Zwar werden sie nach Volumen und Ländern nicht statistisch erfasst, doch seit einigen Jahren überwiegen offenbar die Übernahmen in West-Ost-Richtung. Beispiele aus jüngster Zeit: AkzoNobel (BASF Industrielacke), Kendrion (Kuhnke) und Eneco (LichtBlick). Vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers & Co. versprachen Direktinvestitionen in den Niederlanden eine höhere Rendite als Investments in Deutschland. Seit 2008 aber ist das Verhältnis umgekehrt, da Deutschland im Vergleich stärker aus der Krise hervorging. Anwalt Paul Bavelaar, der Investments in beide Richtungen begleitet, hält deutsche Firmen darum inzwischen für die interessanteren Kandidaten. Nach einer Studie von KMPG aus dem Jahr 2014 plante jeder fünfte niederländische Firmenchef, durch eine Übernahme eines deutschen Unternehmens Wachstum erzielen zu wollen. Geld ist kein Problem, meint Rechtsanwalt Andreas Lutze, der ebenfalls mit M&A-Deals in beiden Richtungen erfahren ist: „Niederländische Familienunternehmer haben nach meiner Einschätzung eine gut gefüllte ‚Kriegskasse‘.“

Zugang zum deutschen Markt

Firmen aus Produktion, herstellender Industrie und Logistik sind am ehesten an einem Engagement in Deutschland interessiert. Sie stoßen in einem Land mit knapp 17 Millionen Einwohnern an ihre Wachstumsgrenzen und drängen in das Nachbarland mit seinen über 80 Millionen Einwohnern. „Wir haben bewusst Anschluss an den deutschen Markt gesucht“, sagt der Chef eines niederländischen Produzenten für Recyclingmaschinen, der 2013 einen Maschinenbauer in Nordrhein-Westfalen übernahm. „Deutschland ist traditionell stark bei Kapitalgütern und Maschinenbau. Durch diese Übernahme können wir das starke Label ‚Made in Germany‘ für unsere Recyclingmaschinen nutzen.“ Aus einer Recherche im deutschen Handelsregister ergab sich eine Liste potenzieller Übernahmekandidaten. Einige von ihnen wurden auf einer Fachmesse näher in Augenschein genommen; drei kamen in die nähere Wahl. „Eines dieser Unternehmen verfügte über innovative Engineering-Dienstleistungen, zusammen mit einem Service-Konzept, das auch unsere Position in den Niederlanden verstärken konnte“, so der CEO der Recycling-Maschinenfirma. Mit dem neuen Servicekonzept ließ sich der Umsatz in den Niederlanden seit der Übernahme um 20 Prozent und in Deutschland sogar jährlich zweistellig steigern.

Zauberformel 1 + 1 = 3

„Eine gute Übernahme muss die einfache Summe 1 + 1 = 3 sein. Sonst sollte man gar nicht erst damit anfangen.“ Auf diesen Nenner bringt es Huub van der Vrande, der CEO von Neways Electronics International, dem börsennotierten viertgrößten Produzenten komplexer Elektronik von Europa. Neways konnte nach der Übernahme des deutschen Elektronikwerks BuS den dortigen Umsatz um 35 Prozent steigern. Für kaum eine Branche ist der deutsche Markt so entscheidend wie für Autozulieferer: „Wir wollten gern im Einklang mit unseren Kunden im deutschen Automotive-Bereich wachsen“, sagt van der Vrande. „Wir hatten schon eine gewisse Größe, aber waren für unsere Kunden in der Autobranche zu klein.“ Mehr Effizienz und Rendite erbrachte etwa die Umstellung auf eine geringere Fertigungstiefe, als sie in Deutschland vielfach üblich ist – also: weniger selbst machen, mehr zukaufen.

Preisvorteil, Branchen­affinität, Kontinuität

Für Jan Temmink, der mit seiner Firma CMP den niederländischen Recyclingmaschinenhersteller begleitete, hat die Übernahme einer deutschen durch eine niederländische Firma mehrere Vorteile: „Grenzüberschreitende Übernahmen sind immer strategische Übernahmen, um im anderen Land Marktzugang zu erhalten. Bei solchen Transaktionen steht der Preis nicht im Vordergrund. Davon profitiert der Verkäufer. Darüber hinaus sind den Deutschen die Branchenaffinität sowie Kontinuität sehr wichtig. Beides können Niederländer bieten.“

Empathie und Respekt

Dies sieht auch Michael Buchwald, Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Düsseldorf, so: „Deutsche Unternehmer wollen ihr Unternehmen in gute Hände geben. Niederländischen Unternehmern vertrauen sie in dieser Hinsicht am meisten.“ Deutsche Senior-Chefs, die befürchten, dass am Tag nach der Übernahme das alte Firmenschild vom Dach genommen wird, kann er beruhigen: „Niederländer neigen eher dazu, dem übernommenen Unternehmen eine zu freie Hand zu lassen.“ Huub van der Vrande findet ganz ähnlich, dass man einem übernommenen Unternehmen mit „Empathie und Respekt“ begegnen müsse. Anwalt Lutze sieht noch einen weiteren Vorteil für die deutsche Seite im Übernahmeprozess: Ihr ist in der Regel der juristische Aspekt wichtig, der niederländischen dagegen eher der betriebswirtschaftliche. Die deutsche Vertragspartei wird also in der Regel ohne große Schwierigkeiten deutsches Recht festlegen können. Auch ansonsten sind sich beide Seiten zugetan: Niederländer schätzen an deutschen Geschäftspartnern ihre Korrektheit, deutsche Firmen an niederländischen den höheren Innovationsgrad, vor allem in Firmenorganisation und IT-Bereich, sowie den globaleren Blick auf die Welt.
Rund 60 Prozent der Übernahmen und Fusionen deutscher Firmen wurden zuletzt von deutschen Firmen getätigt. 2012 waren es laut ZEW-Zephyr M&A-Index nur 50 Prozent. Übernahmen aus dem außereuropäischen Raum liegen mit 26 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit fünf Jahren – anders, als die Aufregung um chinesische Einkaufstouren vermuten lässt. Der Anteil ausländischer Käufer aus der Euro-Zone ist dafür in den letzten drei Jahren von zehn auf 14 Prozent leicht angestiegen. Um für Interessenten aus dem Nachbarland interessant zu sein, brauchen deutsche Chefs die „Braut“ übrigens nicht eigens hübsch zu machen. „Niederländer wissen den Fokus auf Technik und Funktionalität bei potenziellen deutschen Übernahmekandidaten zu schätzen“, meint Jan Temmink. Wenn also eine Firma ihre Arbeit gut macht, dann ist sie schon attraktiv genug. Claas Möller | redaktion@regiomanager.de

Claas Syrt Möller
| redaktion@regiomanager.de

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