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Flughäfen in NRW: Sichtflug in schwerem Wetter

Die Airports in Nordrhein-Westfalen offenbarten zum Anfang des Jahres die ganze Gefühlsskala zwischen Jubel und Sorgen. Dann kam Corona.

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von Regiomanager 20.11.2020
(Foto: ©Marcus Retkowietz – stock.adobe.com) | Claas Syrt Möller

Die Passagierluftfahrt in Deutschland befand sich bis Anfang März 2020 in stetem Aufwind – und die Flughäfen in Nordrhein-Westfalen hatten ihren Anteil daran. Düsseldorf (DUS) war 2019 mit 25,5 Millionen Passagieren erneut größter Airport in NRW und drittgrößter Deutschlands. Von den NRW-Airports konnten 2019 nur Düsseldorf und Dortmund ihre Fluggastzahl steigern; Dortmund sogar mit Bravour: als wachstumsstärkster Flughafen Deutschlands 2018 und 2019 nach Münster/Osnabrück, der diese Ehre 2017 hatte. Mit seinem überproportionalen Wachstum schaffte der Dortmunder Flughafen darüber hinaus den Sprung unter die Top 10 der größten Flughäfen in Deutschland.
Standorte in Bedrängnis
Zu den Entwicklungen gehört aber eben auch, dass die vier Flughäfen Köln/Bonn, Münster, Weeze und Paderborn-Lippstadt (PAD) bereits 2019 – unabhängig von der Corona-Krise – Passagiere einbüßten, dass PAD im Spätsommer 2020 eine Sanierung per Insolvenz in Eigenregie ansteuert, um die verschärfte Situation durch den zeitweiligen Stillstand durch Corona zu parieren. Und dass Ryanair – Airline der ersten Stunde in Weeze – an diesem Standort und zwei weiteren in Deutschland keine Flugzeuge mehr stationieren wollte. Die Chancen, das abzuwenden, haben sich verbessert, nachdem der irische Billigflieger dem Pilotenverband VC Gehaltskürzungen abgerungen hat. Schon vorher erhöhten der Kreis Kleve und die Gemeinde Weeze ihre stille Beteiligung am Flughafen um sechs Millionen Euro.

Starke Fluglinien, schwache Flughäfen

Mit den Flughäfen und den Fluglinien stehen sich zwei ungleiche Akteure gegenüber. Die Fluglinien haben mehr Macht, die sie insbesondere gegenüber kleineren Flughäfen mit nur wenigen Airlines ausspielen. „Der Flughafen hat das Problem, dass er festklebt. Große Billig-Airlines dagegen sind sehr flexibel. Die können sich europaweit aussuchen, wie sie fliegen“, erklärt Luftverkehrsexperte Dr. Sven Maertens vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). In Zeiten der Überkapazität ziehen sich Fluglinien von kleineren, unrentablen Standorten zurück. „Wenn ich einen Slot in London Heathrow habe, bediene ich den weiter – während die Verbindung Münster–Porto (ein fiktives Beispiel) weniger wichtig ist.“ Diese Marktkonsolidierung zeigt sich auch in der sogenannten Flugplan-Analyse des Sommerflugplans 2019 durch den Flughafenverband ADV: Im Vergleich zum Vorjahr wurden 130 Strecken weniger an deutschen Flughäfen angeboten. 133 neuen Strecken stehen 263 eingestellte Verbindungen gegenüber. Wenn eine Airline sich hingegen entschließt, einen Standort nicht nur anzufliegen, sondern dort dauerhaft Maschinen zu stationieren, knallen die Sektkorken: so in Dortmund, das 2017 Corendon Airlines und im August 2020 Wizz Air begrüßen konnte. In ganz Europa wird übrigens der dezentrale Luftverkehr – soweit er nicht Hubs bedient – inzwischen zu einem beträchtlichen Teil von Billigfluggesellschaften durchgeführt.
Corona und die Luftfahrt
Die Flughäfen sind von der Corona-Pandemie besonders hart betroffen. Das absolute Tief kam im April mit einem Einbruch von bis zu 98,9 Prozent (16. Kalenderwoche). Mitte August 2020 lagen die Passagierzahlen noch etwa 75 Prozent unter den Vorjahreswerten. Die Monate des Lockdowns kosteten die deutschen Flughäfen bis zu 95 Prozent ihrer Umsätze. Die Airports offen zu halten, war der Bundesregierung wichtig; allerdings wandten die deutschen Flughäfen monatlich rund 170 Millionen Euro auf, nur um ihre Betriebsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Laut Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft ist jeder zweite der 1,1 Millionen mit der Fliegerei verbundenen Jobs akut bedroht.
Luftfracht „systemrelevant“
Während die Passagierfliegerei fast auf null zurückging, büßten Luftfracht und Luftpost an den deutschen Airports weniger ein. Der stärkste Rückgang war Anfang April mit minus 23 Prozent im Vergleich zur Vorjahreswoche. Mitte August 2020 lagen Luftfracht/Luftpost im Vergleich zum Vorjahr erstmals wieder über dem Vorjahreswert, und zwar um 0,2 Prozent. Dass Cargo weniger stark litt als die Passagierluftfahrt, führt Sven Maertens vom DLR teils auf den pandemiebedingt starken Umstieg des Konsums auf E-Commerce zurück, bei dem Anbieter wie Zalando und Amazon stark auf Luftfracht setzen. Ihre Bedeutung zeigte sich aber auch bei der Bewältigung der COVID-19-Krise selbst: „In Zeiten, in denen Lkws vor geschlossenen Grenzübergängen im Stau standen, waren Frachtflugzeuge unverzichtbar für die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern, aber auch für zeitkritische Hygiene- und Schutzartikel“, heißt es beim Flughafenverband ADV. „Auch die zunehmende Zahl an Krankentransporten und die Sonderverkehre, wie die Einreisen von Erntehelfern, wurden vielfach über kleinere Standorte abgewickelt.“

„Bedarfsluftfahrt“ unterschätzt

Daran zeigt sich auch, dass Flughäfen – insbesondere Regionalflughäfen – unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung vielerlei andere Aufgaben wahrnehmen. „Gerade in Zeiten reduzierter Linienverkehrsangebote nimmt die Bedeutung der Bedarfsluftfahrt relativ zu“, erklärt Sven Maertens. Hierzu zählen etwa Rettungsdienste, Polizei, Flugschulen, Forschungsluftfahrt und nicht zuletzt die Geschäftsluftfahrt: „Im Juni lag die Zahl der Flüge der europäischen Geschäftsluftfahrt 58 Prozent unter Vorjahresniveau, der Luftverkehr im Eurocontrol-Raum insgesamt aber bei etwa 75 bis 85 Prozent.“

Problem Luftverkehrsabgabe

Als besonderes Problem sieht die Branche die Luftverkehrssteuer, die es seit Beginn 2011 gibt. Sie wurde zum 1. April 2020 um 41 Prozent erhöht, für Flugstrecken über 6.000 Kilometer sogar um 74 Prozent. Dies fiel ausgerechnet mit dem fast totalen Einbruch der Passagierluftfahrt infolge von COVID-19 zusammen. Eine Luftverkehrsabgabe kann bedeutende Passagierströme abziehen. Das erwies sich zum Beispiel, als die Niederlande sie 2008 einführten. Die NRW-Flughäfen profitierten daraufhin von starken Zuwachsraten – woraufhin die Abgabe im Nachbarland ein Jahr später wieder abgeschafft wurde; allerdings wird sie dort ab 2021 aus Klimaschutzgründen neu erhoben. „Die Luftverkehrssteuer entfaltet keinerlei positive Lenkungswirkung“, resümiert Isabelle Polders vom ADV: „Weder unterstützt sie leiseres noch emissionsärmeres Fliegen. Stattdessen wird auf Kosten der Reisenden und Flughäfen Konnektivität eingeschränkt, Arbeitsplätze und Wertschöpfung wandern ins europäische Ausland ab.“

Internationale Wettbewerbsnachteile

Im internationalen Vergleich leiden deutsche Flughäfen noch an anderen Nachteilen, beklagt Polders: „Im Ausland wird die Finanzierung von hoheitlichen Aufgaben und öffentlicher Daseinsvorsorge häufig von staatlichen Stellen übernommen. Handlungsbedarf zur Entlastung der Flughäfen besteht bei den hoheitlichen Aufgabenbereichen von ‚Safety and Security‘ sowie Air Traffic Control. Hierzu zählen insbesondere die Kostenblöcke für Feuerwehr, Luftsicherheit, Wetterdienst und Flugsicherung.“
Beihilfen laufen aus
Nach einer geltenden EU-Richtlinie sind Betriebsbeihilfen für Flughäfen nur noch bis 2024 erlaubt. Innerhalb Deutschlands ist derzeit eine Neuregelung der Kosten für die Flugsicherung kleinerer Standorte im Gespräch: In NRW müssen Niederrhein, Dortmund und Paderborn-Lippstadt derzeit auf eigene Kosten Flugsicherungsleistungen einkaufen; es gelingt ihnen nicht, die anfallenden Flugsicherungskosten vollständig an die Nutzer weiterzuberechnen. Möglicherweise werden Verluste hieraus ab 2021 aus dem Bundeshaushalt kompensiert. Noch ein Lichtblick: Beihilfen zur Unterstützung von Corona-Folgen wurden als konform mit dem EU-Recht gebilligt. Sie stehen allen

Flughäfen offen. Non-Aviation

„Mit Fliegen kann man nichts verdienen“ – ein Bonmot, das dem Kölner Flughafenchef Johan Vanneste zugeschrieben wird. Daher setzen alle Flughäfen stark auf den „Non-Aviation“-Bereich: Sie verdienen an Parkgebühren, Duty-Free-Zonen und an Hotels, Restaurants, Cafés und Konferenzzentren. „Aber nur wenn Passagiere kommen, kann man auch Non-Aviation-Gewinne realisieren“, sagt DLR-Experte Sven Maertens. Eine gewisse Chance sieht er darin, den Freizeitbereich hochzufahren – und dies ginge unabhängig vom Fliegen: Da die Flughäfen nicht an die Sonntagsruhe gebunden sind, kann Maertens sich die Ausweitung von Technik-Vermittlung („Edutainment-Center“) oder auch von gastronomischen sowie Einkaufsangeboten vorstellen. Er erinnert daran, dass etwa am Münchner Flughafen eine Hausbrauerei Bier zum selben Preis anbietet, der auch in einem bayerischen Dorf genommen wird.

Ökologisch und ökonomisch unsinnig?

Immer wieder werden Regionalflughäfen aus ökonomischen und ökologischen Gründen kritisiert, etwa im August 2020 in einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) und des BUND. Nach dieser Studie sollten sieben Standorte in Deutschland sofort schließen, davon in NRW Niederrhein-Weeze und Paderborn/Lippstadt. Allerdings hatte erst im März 2020 eine Studie des DSI (Deutsches Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler e. V.) konstatiert, dass nur zwei der 21 Regionalflughäfen schwarze Zahlen schreiben: der „Allgäu Airport“ im bayerischen Memmingen und der Flughafen Niederrhein-Weeze. Auch der Flughafenverband ADV weist die Schlussfolgerungen des BUND/FÖS zurück und verlangt Kostenentlastungen bei Sicherheitsvorkehrungen, die in anderen EU-Ländern vom Staat getragen würden. Das Flughafensystem bilde die föderale Struktur Deutschlands ab, so ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Die regionalwirtschaftlichen Effekte lägen in der Regel deutlich über den Verlusten. Allerdings könnte es sein, dass gerade die Corona-Pandemie kleineren Flughäfen mit Rentabilitätsproblemen den Todesstoß gibt. Schon öfter sind unrentable Airports verschwunden: in Kiel oder Zweibrücken etwa. So oder so warnt der Flughafenverband ADV vor zu großem Optimismus: „Eine schnelle Erholung ist nicht zu erwarten.“ Claas Syrt Möller
| redaktion@regiomanager.de

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