Kolumne

Parallelwelten: Verflixte Gefühle!

Werden Gefühle zu hoch gehängt, können sie das betriebliche Miteinander erschweren, meint Simone Harland.

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von Regiomanager 17.12.2021
(© ­­­Dariia − stock.adobe.com) | Simone Harland

Gefühle sind wichtig, keine Frage. Fühlt sich jemand traurig, niedergeschlagen oder angegriffen, dann ist das so. Punkt. Schließlich sind es die Gefühle dieser Person. Die kann ihr niemand absprechen. Allerdings kann die Person nicht von anderen Menschen erwarten, dass diese ihre Gefühle verstehen oder teilen.
Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass genau das jedoch immer häufiger erwartet wird. Gefühle scheinen im gesellschaftlichen Zusammenleben und teilweise auch im Beruf eine wachsende Rolle zu spielen. Ich kann nachvollziehen, dass manche Äußerungen und Wörter als beleidigend, angreifend oder ausgrenzend empfunden werden, doch es wird langsam schwierig, den richtigen Weg im Miteinander zu finden. Denn überall gibt es Stolperfallen, die manchmal sogar zu Tretminen werden können.
Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, mich fragt ein Mensch, was er gegen seine Gelenkprobleme tun könne, und ich gebe die Antwort: „Vielleicht könnte es sinnvoll sein, ein paar Kilos abzunehmen?“ Manche Personen hätten mit dieser Antwort kein Problem, andere dagegen schon – sie könnten sie als Bodyshaming auffassen und daraus ableiten, ich wolle sie wegen ihres Übergewichts bloßstellen. Wie aber erkenne ich, welche Person vor mir steht? Wie erkenne ich, ob ich mit meiner Antwort Gefühle verletze? Und was soll ich tun, wenn ich das nicht weiß? Soll ich eine andere Antwort geben als die, die meiner Wahrnehmung entspricht? Soll ich sagen, dass das nur das medizinische Fachpersonal beurteilen könne? Oder soll ich schlicht mit „Ich weiß es nicht“ antworten? Und was passiert, wenn ich doch meinen ersten Gedanken äußere und dadurch die Gefühle der anderen Person verletze? Ist das bereits Mobbing, obwohl es nicht meine Intention war, dem anderen Menschen wehzutun? Fragen über Fragen.
Das ist übrigens bei vielen Themen so und ich verstehe, dass Personen, die sich auf irgendeine Weise anders empfinden (sehen Sie: Ich bin vorsichtig!), sich durch Äußerungen angegriffen fühlen oder bestimmte Ängste bei ihnen getriggert werden können. Doch werden viele Gespräche, vor allem aber Diskussionen, unmöglich, wenn man dauernd auf der Hut sein muss, sich die Triggerbälle nicht gegenseitig zuzuwerfen. Das gilt insbesondere auch in Jahresgesprächen. Wenn sich Vorgesetzte ständig überlegen müssen, wie sie Kritik (oder neusprachlich: Feedback) äußern, um andere nicht zu verletzen, bleibt unter Umständen die Klarheit auf der Strecke. Und klare Ansagen müssen manchmal sein, damit die andere Person versteht, was gemeint ist.
Ja, Sprache befindet sich in stetigem Wandel, und nein, ich komme nicht mit dem Spruch: „Das muss man doch mal sagen dürfen!“ Aber ich plädiere dafür, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Ich vermute, dass Menschen, die arglose oder kritische Äußerungen von anderen bereits als Gewalt ansehen, tatsächliche Gewalt – psychischer oder körperlicher Art – noch nicht erlebt haben. Diese Menschen als zu empfindlich zu bezeichnen, wäre jedoch auch nicht richtig. Ich teile ihre Gefühle ja nicht, kann somit nicht beurteilen, wie es ihnen geht. Ich würde mir jedoch wünschen, dass im Umgang miteinander manches nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird.
Jeder Mensch sollte sich klarmachen, dass er andere Menschen, deren Handlungen und Äußerungen nicht kontrollieren kann – und dass jeder Mensch dazu neigt, in seinen Äußerungen auch zu werten und zu bewerten. Natürlich soll und darf trotzdem jeder Mensch von anderen den ihm gebührenden Respekt einfordern. Doch wen manche Äußerungen regelmäßig triggern, selbst wenn diese nicht als Angriff auf die eigene Person gedacht sind, der sollte die Ursache dafür auch bei sich selbst suchen und sich fragen, warum er diese Äußerungen als verletzend empfindet.
Wer zu sich selbst steht, kann in der Regel mit solchen Äußerungen umgehen und muss die eigenen Gefühle nicht vor sich hertragen wie ein Schild, auf dem steht: „Rühr mich nicht an!“ Vielmehr macht derjenige sich klar, dass andere Menschen anders fühlen und denken –
und das auch dürfen. Und solange diese Menschen nicht absichtlich verletzen wollen, nicht menschenfeindlich agieren („Taten sagen mehr als Worte!“), sollte meiner Meinung nach weiterhin ein vernünftiges Gespräch möglich sein. Ein Gespräch, in dem beide Seiten ihre Positionen darstellen und vielleicht auch zu dem Ergebnis kommen, sich darauf zu verständigen, dass man durchaus unterschiedlicher Meinung sein darf und das völlig okay ist.

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