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Interview mit Zukunftsforscher Matthias Horx: „… dann sind Sie in 10 Jahren weg vom Markt.“

In 15 ½ Regeln erklärt Zukunftsforscher Matthias Horx, wie wir die Zukunft positiv gestalten können. Er sagt: „Zukunft ist eine Entscheidung.“

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von Regiomanager 25.09.2019
Zukunftsforscher Matthias Horx Foto: © Klaus Vyhnalek

REGIO MANAGER: Herr Horx, seit 25 Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Thema Zukunft. Warum jetzt dieses Buch. Warum die 15 ½ Regeln für die Zukunft?

Matthias Horx: Das ist ein Stückweit auch eine Bilanz aus 25 Jahren Trend- und Zukunftsforschung, in der wir versucht haben die Prämissen der Zukunftsbilder, die wir haben, zu bilanzieren. Das hat sich in Form der Regeln angeboten, auch weil aktuell so viele Menschen auf der Suche nach Regeln sind. Die „12 Rules for Life“ des kanadischen Psychologen Jordan Peterson sind auch eine Melodie, die da mitgespielt hat.

REGIO MANAGER: Die erste Regel lautet „Hüte Dich vor Future Bullshit“. Was regt Sie an den oft doch euphorischen Vordenkern auf, die oft steile Thesen aufstellen?

Matthias Horx: Mich regt es deshalb auf, weil in meinem „Gewerbe“ eine Unmenge an billigsten Klischees rausgehauen wird, und das auch seit vielen Jahren, an denen sich oft wenig geändert hat. Und die Komplexität der Zukunft geht dabei vor die Hunde. Im Wesentlichen haben wir zwei Narrationen, also Erzählungen der Zukunft. Das eine ist die Geschichte vom Untergang, die ja heute fast gesellschaftlicher Konsens ist. Viele Menschen glauben, dass wir zu blöd zum Überleben sind, dass eine Apokalypse bevorsteht. Das ist ein urmenschliches Motiv. Aber es lohnt sich, dieses näher zu beleuchten, da dabei auch Deutungshoheit und Machtanspruch eine Rolle spielen.
Und die andere Narration ist die der technologischen Erleuchtung, die immer in den gleichen stupiden Formeln über uns kommt: Dass künstliche Intelligenz uns unsterblich machen wird oder wir alle in superkomfortablen Umwelten leben und in supersmarten Fahrzeugen herumfahren werden. Und auch das ist eine Naivität: Ich nenne das den „Kindchenglauben des Fortschritts“. Das sind zwei Extreme, die wir langsam überwinden sollten. Zukunft kann man nur verstehen kann, wenn man seine Sicht ein Stückweit von solchen Klischees entkoppelt.

REGIO MANAGER: Sie kritisieren in Ihrem Buch auch einige Unternehmer, die möglichst konkret wissen wollen, wie die Zukunft aussieht. Was ist so schlimm an dem Heilsversprechen, das die Leute mit Ihrer Zunft verbinden?

Matthias Horx: Das ist besser aufgehoben bei den Priestern, oder den Gurus, die ein noch höheres Honorar nehmen als wir Zukunftsforscher (lacht). Mir geht es darum, dass die Menschen einen lebendigeren und besseren Bezug zu sich selbst bekommen. Die Spiegelung von Zukunft dient dazu, sich selbst zu verändern. Wenn ein Unternehmer fragt: „Wie wird mein Unternehmen in 20 Jahren aussehen?“, dann ist das eine regressive Frage. Denn das hängt davon ab, was das Unternehmen bis dahin tut und wie sich die Führung entwickelt. Deshalb ist die Beschäftigung mit der Zukunft nur sinnvoll für den Prozess der Veränderung, wenn wir sie als Spiegel benutzen, um unsere eigene Haltung und Verhaltensweisen zu verbessern und zu verändern. Dafür hilft es aber nichts, ein fiktives Szenario zu bauen. Die Zukunft ist letzten Endes offen. Sie ist abhängig von unseren Handlungen und unserem Bewusstsein. Die Idee, dass man durch Prognostik finale Endergebnisse und Details beschreiben könnte, ist etwas, das eher in den Bereich der Scharlatanerie führt, letzten Endes in die Prophetie. Irgendwann sind wir bei Nostradamus. Aber wir sind Systemforscher und können solche Fragen nicht beantworten, ohne uns selbst lächerlich zu machen. Insofern kämpfe auch ich mit den Problematiken unseres eigenen Berufes und versuche zurechtzurücken, was wir können und was wir besser nicht machen sollten.

REGIO MANAGER: Ihre Regel 8 „Lerne aus der Zukunft heraus zu denken“ gefällt mir besonders gut. Darin sagen Sie, man solle sich die Zukunft in 10 oder 20 Jahren vorstellen und dann überlegen, was dann hätte getan werden müssen, um dorthin zu gelangen. Ist das auch ein passendes Rezept für Unternehmer?

Matthias Horx: Ja. Man kann diese Regel sehr gut anhand einer Sucht verdeutlichen: Wenn man Raucher ist, und ständig an die Zigarette denkt, dann wird man nie aufhören zu rauchen, weil sich jeder Gedanke darauf konzentriert. Es gibt da eine wunderbare mentale Übung, in der man sich eine nicht naive, positive Zukunft vorstellt, und dann rückwärts die Wege baut, die man gehen muss, um dort hinzugelangen. Man kann also nur aufhören zu rauchen, wenn man sich mit seinem positiven Ich verbündet, das gar keine Zigarette braucht, das gar nicht weiß, wozu es sie benötigen sollte. Das ist eine Art innerer Dialektik mit einer lebendigen Zukunft.

REGIO MANAGER: Dies passt auch gut zu Ihrer Zukunftsregel 6 („Erkenne den wahren Sinn von Visionen“). Darin empfehlen Sie Unternehmern, sich stärker mit dem „Warum“ zu beschäftigen. Warum das?

Matthias Horx: In der Wirtschaft haben wir aktuell ein sehr utilitaristisches Denken, wo es nur darum geht, wie wir Kosten senken können, wie wir digitalisieren et cetera. Dabei verlieren wir aber das „Warum“ aus den Augen. Im Privaten wie im Unternehmerischen geht es aber immer darum, wirklich klar zu spüren: Wofür ist mein Unternehmen da? Man kann sagen „Mein Unternehmen produziert Plastik, um damit Geld zu verdienen.“ Nur: wenn Sie so argumentieren, sind Sie in zehn Jahren weg vom Markt. Der Sinn eines Unternehmens kann nur ein menschlicher sein. Ein Unternehmen verwirklicht Kundenbedürfnisse. Und die müssen Sie verstehen, und auch wie sich die Kundenbedürfnisse und ihr Kontext verändern. Das ist eine wichtige Sache: Dass Sie sich als Unternehmer auf die Suche begeben nach einem wirklichen, emotionalen Sinn. Meine Erfahtung ist, dass Managern, die dies tun, es wirklich gelingt zu wachsen, während die anderen immer nur Abwehrkämpfe führen.

REGIO MANAGER: Erst die Globalisierung, jetzt die Digitalisierung, wo das Silicon Valley den Ton angibt. Als Unternehmer hat man das Gefühl, dass der Abwehrkampf immer härter wird. Viele Unternehmer wähnen sich auf verlorenem Posten ….

Matthias Horx: … und das erzählt man sich dann gegenseitig und stellt fest, dass man so werden muss wie das Silicon Valley. Vor 15 Jahren sollten wir so werden wie die Japaner, jetzt sind es die Amerikaner. Damit gibt seinen Zukunftsinstinkt und seinen Zukunftssinn an der Theke von Klischees ab. Die Digitalisierung ist lediglich ein Instrument, das, wenn es fehlgerichtet ist, fatale Auswirkungen hat. Das sehen wir heute an den sozialen Medien. Und das kann man auch in einer Firma beobachten. Wenn man sich die Sinnfrage gestellt hat, kann man die Digitalisierung sinnvoll nutzen. Sonst bekommt man einfach nur Angst davor.

REGIO MANAGER: „Alles kehrt zurück. Aber nichts bleibt so, wie es war“, könnte eine weitere Aussage sein, für die sich mittelständische Unternehmenslenker interessieren. Wie funktioniert das Prinzip von Trend und Neosynthese?

Matthias Horx: Das ist so eine Art Weltprinzip, wie ich es schon im Buch „Das Megatrend-Prinzip“ beschrieben habe. Das alte Modell der Linearität ist einfach falsch. Es geht davon aus, dass das Neue das Alte ersetzt und sich alles in dieselbe Richtung hin entwickelt. Das ist aber nicht so. Das Einzige, das unermüdlich weiterwächst, ist der Krebs im menschlichen Körper.
Man muss verstehen, dass jede größere technische oder gesellschaftliche Entwicklung eine Gegenentwicklung, eine Rekursion, erzeugt. Die Globalisierung kippt in ihrem Höhepunkt um in Nationalismus, die Individualisierung kippt um in Einsamkeit und dadurch entstehen kollektivistische Strömungen. Wir erbleben eine Dialektik. Ein Trend erzeugt einen Gegentrend und wenn dann eine neue Synthese entsteht, erleben wir Fortschritt. So entsteht aus dem Trend der Globalisierung der Gegentrend Lokalisierung und verschmilzt schließlich zu einer „Glokalisieurng“, die wir aktuell erleben: Unternehmen, die lokal verankert sind und global handeln. Wir dürfen diese Betrechtungen nicht rein önonomisch sehen, sondern in ihren Mustern, die in den Individuen, der Gesellschaft und auch in der Wirtschaft wiederkehren. Das sind die Schwingungen, aus denen Wirtschaft entsteht.

REGIO MANAGER: „Die Regel dabei lautet, dass Probleme nichts anderes sind als Systemkonflikte, die sich in der jetzigen Komplexität nicht auflösen.“ Donald Trump, Brexit, Migration. Für alles gibt es eine einfache Lösung?

Matthias Horx: Das Alte hat noch nicht aufgehört und das Neue hat noch nicht begonnen. Das sind alles Korrekturen. Trump macht nichts anderes als die Illusion des amerikanischen Weltreichs zu zerstören. Sonst hätte irgendjemand anderes das machen müssen. Und dabei zerstört er den amerikanischen Traum gleich mit. Insofern ist er blinder Erfüllungsgehilfe eines historischen Prozesses, der längst überreif war. Wenn Sie eine Ehekrise haben, drückt das auch etwas aus, das vorher in der Ehe schon schief gelaufen war. Solche Dinge sichtbar zu machen, das ist die Aufgabe systemischer Prognostik.

REGIO MANAGER: Die Holländer scheinen die Zukunftsfragen ja besonders gut anzugehen. Wie machen die das?

Matthias Horx: Holland ist gutes ein Beispiel dafür, dass wir mit der Dichotomie „Natur versus Technik“ nicht weiterkommen. Weite Teile der Niederlande liegen unter dem Meeresspiegel und sind weitgehend künstlich. Keine Technik ist für die Holländer also keine Lösung. Aber man kann gut sehen, wie sich die Holländer mit der Technik versöhnt haben. Wie Rekombinationen und Symbiosen entstehen, in denen wir nicht das eine oder das andere radikal tun müssen, denn damit kommen wir nicht weiter. Wir können nicht zurück gehen und auch die Technologie wird nicht alle Probleme lösen.

REGIO MANAGER: Sie nennen viele positive Beispiele für zukunftsträchtige Enwicklungen, wie etwa den auf Holzbasis bestehenden Energiespeicher „Flow-Cell“. Wann können wir eigentlich mit einer Art Zukunfts-Wikipedia rechnen, wo gute Vorschläge gesammelt und kommentiert werden können?

Matthias Horx: Ich weiß nicht, ob das so sinnvoll wäre. Die Frage ist immer die der menschlichen Wahrnehmung. Das Verhältnis von Bad News zu Good news liegt heute bei 20:1. Früher war das mal 2:2. Bad News sind halt nun mal good news. Das wäre also ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Man kann aber auch sehen, dass sich immer mehr Menschen dagegen wehren. Da gibt es z.B. die verschiedenen Foren des konstruktiven Journalismus, wo auf verschiedenen Ebenen über Lösungen nachgedacht wird. Wie entwickeln wir die Demokratie weiter, wie nutzen wir die vorhandenen Technologien? Es geht um einen Bewusstseinswechsel: Wir müssen uns irgendwann dafür entscheiden, das ist meine 15,5, Regel, ein Vorschlag: „Die Zukunft ist eine Entscheidung.“ Wenn es die Lösungen gibt, dann muss man sie auch wahrnehmen. Das erfordert einen Bewusstseinswandel, einen Bewusstseinsschritt. Maximilian Lange | redaktion@regiomanager.de

Die 15 ½ Zukunftsregeln nach Matthias Horx

1. Hüte Dich vor Future Bullshit!
2. Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend
3. Das Alte kommt immer wieder – und erneuert sich dabei selbst
4. Vertraue auf natürliche Intelligenz (NI), anstatt Dich vor künstlicher Intelligenz (KI) zu fürchten
5. Begreife die wahre Co‑Evolution von Technik und Mensch
6. Erkenne den wahren Sinn von Visionen
7. Verwechsele Dich nicht mit Deiner Angst
8. Lerne, aus der Zukunft heraus zu denken
9. Stelle bessere Fragen, statt die richtigen Antworten

10. Befreie Dich von Zukunfts‑Schuld
11. Versöhne Dich mit der neuen Welt‑(Un)Ordnung
12. Schließe Frieden mit der Ungleichheit in der Welt
13. Ertrage, dass die Welt langsam besser wird – aber niemals »gut« sein kann
14. Überwinde Pessimismus und Optimismus – werde Possibilist!
15. Zukunft entsteht durch gelungene Beziehung(en)
15 1/2. Zukunft ist eine Entscheidung

Vita

Mathias Horx ist wohl einer der bekanntesten deutschsprachigen Zukunftsforscher. 1955 in Düsseldorf geboren, studierte er zunächst Soziologie, arbeitete mehr als zehn Jahre als Journalist und eröffnete zusammen mit Peter Wippermann 1993 das Trendbüro in Hamburg. 1999 gründete Horx das Zukunftsinstitut mit Sitz in Wien, wo er mit seiner Familie lebt. Insgesamt veröffentlichte Horx bislang 17 Bücher, darunter „Das Megatrend-Prinzip“ (2011) und „15 ½ Regeln für die Zukunft“ (2019).

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