Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit im Handwerk: Gestalter der Energie- und Klimawende

Handwerksbetriebe fungieren oft als Motor für neue Technologien, die Ressourcen schonen, Energie sparen oder diese effizienter nutzen. Sie sind zugleich die Hauptakteure bei der praktischen Umsetzung der Klimatransformation.

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von Miriam Leschke 12.07.2024
(© ­­­beast01 − stock.adobe.com)

Die Bäckerei Verweyen im Westmünsterland macht vor, wie sich Handwerkstradition, Regionalität und Nachhaltigkeit optimal vereinen lassen. Der Familienbetrieb aus Ahaus ist im Herbst letzten Jahres mit dem „Klimaretter Award Handwerk“ ausgezeichnet worden, der Handwerksbetriebe prämiert, die einen besonderen Einsatz für Nachhaltigkeit und Umweltschutz zeigen und u. a. vom Deutschen Handwerksblatt initiiert wurde. Ausschlaggebend für die Auszeichnung war vor allem der eigene Brotweizenanbau der Bäckerei in Zusammenarbeit mit einem Landwirt direkt vor Ort. Die Raiffeisen-Genossenschaft in Ahaus-Wessum dient als Zwischenlager für das geerntete Korn und gemahlen wird der Weizen in der Roland Mühle in Recklinghausen. Nachhaltig eben.

Bäckermeister Manfred Verweyen und sein Team setzen außerdem auf kurze Wege zwischen den Filialen und der Backstube, die maximal fünf Kilometer voneinander entfernt liegen, und verfolgen weitere innovative Ansätze für eine nachhaltige Ernährung. Nachhaltigkeitsaspekte wie die Verwendung regionaler Produkte sowie die Schaffung und Erhaltung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in der Region sind schon seit vielen Jahren integraler Bestandteil der Firmenphilosophie der Bäckerei.

 

Nachhaltigkeit ist Teil des Selbstverständnisses

„Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Dabei ist es wichtig, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – wirtschaftlich effizient, sozial gerecht, ökologisch tragfähig – gleichberechtigt zu betrachten. Um die globalen Ressourcen langfristig zu erhalten, sollte Nachhaltigkeit die Grundlage aller politischen Entscheidungen sein“ – so lautet die Definition des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Nachhaltiges Denken und Handeln gehört in mehrfacher Hinsicht zum Selbstverständnis der häufig inhabergeführten Betriebe im Handwerk. So arbeiten viele familiengeführte Handwerksbetriebe schon seit jeher nachhaltig: etwa durch eine ressourcenschonende Produktion, durch soziales Engagement in der Region, durch die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen vor Ort oder auch durch die Wahrung tradierter Kulturgüter und -techniken. Da nachhaltiges Wirtschaften ein bestimmender Bestandteil der Identität und Werte des Handwerks ist, nimmt dieses in vielen Bereichen die Rolle eines Motors bei der nachhaltigen Transformation in Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft ein. Insofern ist das Handwerk auch maßgeblich daran beteiligt, die aus der Agenda 2030 hervorgehende Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie in die Praxis umzusetzen. Schließlich hat Deutschland sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 seine Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren und bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität zu erreichen.

Dr. Constantin Terton, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), erläutert die doppelte Rolle, die das Handwerk im Prozess der Klimatransformation einnimmt: „Das Handwerk ist selbst Energieverbraucher und muss sich transformieren, gleichzeitig spielt es eine zentrale Rolle bei der praktischen Umsetzung der Energiewende“, unterstreicht Constantin Terton und veranschaulicht: „In den nächsten Jahren müssen große Mengen an Solarmodulen installiert, Ladesäulen für Elektroautos errichtet, Windräder aufgestellt, Gebäude gedämmt und Heizungen erneuert werden. Die Betriebe stehen bereit für diese Herkulesaufgabe. Schon jetzt arbeiten rund 490.000 Handwerksbetriebe mit über 3,1 Millionen Beschäftigten in knapp 30 Gewerken am Erfolg der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende mit.“

Vor allem für die Baugewerke sowie für Betriebe im Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerk, im Kälteanlagenbau und im Elektrohandwerk bietet also die nachhaltige Transformation jetzt und in der Zukunft viel Potenzial. Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke, Hauptgeschäftsführer von HANDWERK.NRW, ist zudem überzeugt, dass in den kommenden Jahren die Themen Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft im Handwerk massiv an Bedeutung gewinnen werden. Dies sei insbesondere im Bausektor zu erwarten, der etwa die Hälfte des Handwerksumsatzes ausmacht.

 

Nachhaltigkeitsmanagement birgt Hürden

Constantin Terton vom ZDH weist darauf hin, dass durch die seit Januar 2023 geltende Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, künftig auch Handwerksbetriebe Nachhaltigkeitsinformationen bereitstellen müssen. „Mit dieser Transparenzrichtlinie werden Unternehmen, die in den Anwendungsbereich fallen, verpflichtet, ihre Nachhaltigkeitsstrategie und -ziele, Nachhaltigkeitsmaßnahmen und -fortschritte zu beschreiben, zu dokumentieren und als Teil des Lageberichts transparent und öffentlich zu machen“, erklärt Terton.

Nachhaltiges unternehmerisches Handeln beinhaltet sowohl ökologische, ökonomische als auch soziale Aspekte. Um das Nachhaltigkeitsmanagement optimieren zu können, ist es für Unternehmensinhaber zunächst einmal wichtig, die Kennzahlen ihres Betriebs in puncto Energie, Ressourcen und Personal fest im Blick zu haben. Diese Übersicht kann dann dabei helfen, Stellschrauben zu finden, um das Nachhaltigkeitsengagement noch weiter auszubauen. Denn viele Handwerksbetriebe mit ihren im Durchschnitt fünf bis acht Mitarbeitenden erfüllen bereits eine Reihe an Nachhaltigkeitskriterien, sind sich dessen jedoch eventuell nicht ausreichend bewusst oder haben ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten bislang nie umfassend kommuniziert. Der Ist-Zustand gibt Auskunft darüber, was ein Betrieb im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte bereits praktiziert und was zum Vorteil verändert werden kann. Handwerksbetriebe pflegen einen intensiven Austausch und können gemeinsam nachhaltige Strategien entwickeln. Denn nicht für jeden Betrieb ist jede ressourcenschonende Maßnahme sinnvoll. Erst wenn man weiß, was man wie macht, können Lösungen gefunden werden, den Prozess umzugestalten.

Hans Jörg Hennecke von HANDWERK.NRW macht deutlich, dass der Aufwand für die Nachhaltigkeitsberichterstattung je nach Betriebsgröße stark variiere. So seien vor allem die kleinen Betriebe von der Komplexität, Hektik und Widersprüchlichkeit der Nachhaltigkeitsregulierung überfordert, was vielfach zu Verunsicherung und damit auch zu einem erhöhten Beratungsbedarf führt. „Aber es gibt auch Betriebe mit mehreren Tausend Mitarbeitern, die ausdifferenzierte betriebswirtschaftliche Steuerungsmöglichkeiten haben und einen hohen Digitalisierungsgrad aufweisen“, ergänzt Hennecke. „Für große Betriebe, beispielsweise Gebäudereiniger, ist es bereits selbstverständlich, auf Wunsch ihrer Auftraggeber Nachhaltigkeitsberichte zu liefern oder vorgegebene Standards und Daten einzuhalten.“

In der Tat schlagen sich die neuen gesetzlichen Vorgaben zum Nachhaltigkeitsreporting in vielen Märkten des Handwerks in einem veränderten Nachfrageverhalten der Auftraggeber und einem höheren Aufwand an Zertifizierung und Nachweispflichten nieder. So achten vor allem gewerbliche und öffentliche Auftraggeber, die selbst dazu verpflichtet sind, Nachhaltigkeitskriterien einzuhalten, immer mehr darauf, wie und wo Produkte hergestellt werden, und verlangen entsprechende Nachweise. Auch die mit der Nachhaltigkeitsagenda verknüpften Finanzierungsbedingungen, die nachhaltige Investitionen besonders fördern sollen, setzt das Handwerk ebenso wie alle anderen Wirtschaftssektoren zunehmend unter Druck. Denn wenn es KMU (kleinen und mittleren Unternehmen) nicht gelingt, die Nachhaltigkeit ihrer Projekte gegenüber Finanzinstituten plausibel zu machen, wird der Zugang zu Finanzierungsmitteln erschwert.

Insofern wird deutlich, dass Nachhaltigkeitsanforderungen im Geschäftsalltag des Handwerks immer relevanter werden, weshalb es für die Betriebe besonders wichtig ist, sich umfassend über das Thema zu informieren, das Nachhaltigkeitsmanagement so früh wie möglich anzugehen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, wie z. B. eine konkrete Nachhaltigkeitsstrategie zu etablieren.

 

Weitere Herausforderungen

Neben dem Thema Nachhaltigkeitsregulierung und -management stehen die deutschen Handwerksbetriebe noch vor weiteren großen Herausforderungen. Hans Jörg Hennecke von HANDWERK.NRW ist der Ansicht, dass der Mangel an Fachkräften und Unternehmernachwuchs derzeit branchenübergreifend das größte Problem und zugleich eine echte Wachstumsbremse sei. Auch Constantin Terton vom ZDH zeigt auf, dass der demografische Wandel in Kombination mit einer alternden Gesellschaft zu einem erheblichen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und neuen Auszubildenden führe. „Gelingen kann dies nur mit einer Bildungswende hin zu echter Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung in materieller und ideeller Hinsicht. Eine solche Gleichwertigkeit ist die Grundlage dafür, die Fachkräftesicherung durch die berufliche Bildung intensivieren zu können“, ist Terton überzeugt. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: „Denn fehlen die handwerklichen Fachkräfte, sind die großen anstehenden Transformations- wie Zukunftsaufgaben, für die das Handwerk unverzichtbar ist, nur schwer zu erfüllen – wie beispielsweise die Umsetzung der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende oder auch die Versorgung einer alternden Gesellschaft mit Waren und Dienstleistungen des Handwerks.“

Aus Sicht von Dr. Bernhard Baumann, Hauptgeschäftsführer der BAUVERBÄNDE.NRW, stellt für das Handwerk darüber hinaus der fehlende Produktstatus für Recyclingbaustoffe eine drängende Herausforderung dar. Diese würden vom Gesetzgeber immer noch als Abfall eingestuft, was eine Vielzahl von Nachteilen mit sich bringe: „Da geht es um immissionsschutzrechtliche Genehmigungen bei der Lagerung, gesonderte Abfallschlüssel für Lieferscheine und zusätzliche Anforderungen an den Transport. Zudem suggeriert das Wort Abfall nicht gerade Vertrauen bei den Bauherren. Dabei gibt es technisch und umweltrechtlich keinerlei Bedenken. Im Endergebnis werden Recyclingbaustoffe deutlich weniger stark nachgefragt, als es eigentlich der Fall sein sollte. Hier setzen wir uns als Handwerk schon seit vielen Jahren für eine klarere Regelung ein.“

Ein weiteres Problem in Bezug auf die Realisierung von Nachhaltigkeitszielen ist laut Hans Jörg Hennecke von HANDWERK.NRW die Neigung der Politik, Ergebnisse von Innovationsprozessen vorherzusehen und festzulegen. „Dies führt zu einem kleinteiligen und widersprüchlichen Dirigismus, insbesondere in der Energie- und Klimapolitik“, konstatiert Hennecke. Diese mangelnde Offenheit für unplanbare Innovationen stelle eine unnötige Hürde für wirklich nachhaltige Lösungen dar.

 

 

Wo steht mein Betrieb in Sachen Nachhaltigkeit?

Die Handwerkskammern und Innungen vor Ort unterstützen Betriebe mit umfassenden Beratungsangeboten. Für eine bundesweite Beratersuche eignet sich insbesondere das Portal BISNET. Auf der Startseite www.bisnet-handwerk.de geben Sie in das Suchfeld das Stichwort „Nachhaltigkeit“ ein, um alle Berater/-innen zu dem Thema zu finden. Auch der ZDH hat auf seiner Homepage einen Selbstcheck veröffentlicht, der den Betrieben zur Verfügung steht. Anhand dessen können Handwerksbetriebe in neun Anwendungsfeldern testen, ob sie bereits im Sinne der Nachhaltigkeit aktiv sind. Die Broschüre gibt auch Anregungen und kann als Basis für Beratungsgespräche genutzt werden.

Mit dem Nachhaltigkeits-Navigator Handwerk (www.navigator.nachhaltiges-handwerk.de) wurde bereits vor einigen Jahren ein kostenloses Online-Management-Tool entwickelt, das Handwerksbetriebe dabei unterstützt, ihren Betrieb nachhaltig auszurichten und zudem Schritt für Schritt einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Der Nachhaltigkeits-Navigator Handwerk stützt sich auf die offiziellen Kriterien des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK). Mithilfe des Navigators können Handwerksunternehmen ihre betriebliche Bestandssituation erfassen und eine individuelle Nachhaltigkeitsstrategie konzipieren. Das digitale Management-Tool wurde von der Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk (ZWH) gemeinsam mit Experten aus der Handwerksorganisation entwickelt.

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Fotostrecke

Dr. Constantin Terton, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) (© ZDH / Ronja Schultze)

Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke, Hauptgeschäftsführer von HANDWERK.NRW

Dr. Bernhard Baumann, Hauptgeschäftsführer der BAUVERBÄNDE.NRWa

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