Im Palast von Knossos auf Kreta thronten der König und sein Hofstaat im Halbrund auf Steinsitzen. Hier wurde Politik gemacht, während fließendes Wasser die gleichzeitig verrichteten „Geschäfte“ davonspülte. Das wohl älteste Wasserklosett auf europäischem Boden stammt etwa aus dem Jahre 2.000 v. Chr. und verdeutlicht den Stand der Kultur. Auch griechische Städte verfügten in alten Zeiten über Kanalisationssysteme und öffentliche Aborte mit mehreren WCs in einer Reihe. Die ersten Zeugnisse einer Toilette mit kontinuierlicher Wasserspülung stammen aus der Zeit um 5.000 vor unserer Zeitrechnung. Die Sumerer nutzten schon damals tönerne Abwasserleitungen in ihren Häusern.
Im alten Rom sollten die Entsorgungseinrichtungen erst Jahrtausende später in Mode kommen, Abwasserkanäle sind aber aus der Zeit um 600 v. Chr. bekannt. Gefunden wurden stattliche Kanäle von drei Meter Höhe und vier Meter Breite, die die Abwässer der Stadt direkt in den Tiber einleiteten. Später wurden die Abwassersysteme weiter verbessert, insbesondere die durchfließende Wassermenge erhöht, um sämtlichen Schmutz aus der Stadt zu spülen.
Kanalisationstechnik hat sich gewandelt, arbeitet aber auch heute noch nach dem gleichen Prinzip: Rund 97 Prozent der deutschen Bevölkerung sind an die öffentliche Kanalisation angeschlossen. Darüber, wohin das Wasser fließt, das täglich durch die Abflüsse der privaten Haushalte, aber auch durch die Rohre der gewerblichen Verbraucher gespült wird, muss sich heutzutage niemand mehr Gedanken machen, denn Deutschland verfügt über ein rund 575.000 Kilometer langes, flächendeckendes Abwasserkanalnetz, an das 10.000 leistungsfähige Kläranlagen angeschlossen sind. Dieses Kanalnetz altert, wird tagein, tagaus
stark beansprucht.
Jeder dritte Meter älter als 50 Jahre
„Während oben die neue Straße glänzt, verrotten darunter die Kanäle“, zeichnet die Bauindustrie Nordrhein-Westfalen ein düsteres Bild über den Zustand der öffentlichen Kanalisation. Mit der Studie „Investitionsbedarf der öffentlichen Kanalisation in NRW“ belegt der Verband, dass sich allein im größten Bundesland bei Investitionen von 500 Millionen Euro durch die Kommunen jährlich ein Investitionsdefizit von mehr als einer Milliarde Euro aufbaut. Rund 20 Prozent des öffentlichen Kanalnetzes sind nach Ansicht der Bauleute erneuerungs- oder sanierungsbedürftig. „Kein Wunder, da 29 Prozent der Kanäle in NRW älter als 50 Jahre sind“, so Hauptgeschäftsführerin Beate Wiemann.
Das Alter der Entwässerungsanlagen sei aber nicht das alleinige Problem. Insbesondere im Ruhrgebiet bestehe zudem das Problem, dass ein Großteil des Kanalsystems nicht aus Trennsystemen, sondern aus einem Mischsystem bestehe. Abwässer und Niederschlag treffen somit im gleichen Netz aufeinander. „Insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Starkregenereignisse wird dies in Zukunft zu Problemen führen“, ist der Verband der Bauindustrie überzeugt.Dass die Kommunen in Deutschland vor zusätzlichen Milliardeninvestitionen in ihre Kanalnetze stehen, sieht auch der Stadtwerkeverband VKU so. Er rechnet hoch, dass bundesweit pro Jahr mehr als vier Milliarden Euro in die Abwasserinfrastruktur gesteckt werden. Erhalt und Erneuerung seien „eine Mammutaufgabe“, betont der Verband und verdeutlicht, „dass in vielen Regionen die Investitionen in den kommenden Jahren weiter ansteigen müssen, um marode Rohre zu ersetzen und die Kanalisation so zu erweitern, dass sie bei Starkregen nicht sofort an ihre Kapazitätsgrenzen stößt“. Pauschale Betrachtungen zum Alter der Abwasser-Anlagen und zu einer möglichen zu geringen Dimensionierung lässt er nicht gelten: „Abwassernetze sind kein Massenprodukt von der Stange, sondern ein Maßanzug.“ Deshalb müsse jede Kommune einzeln prüfen, was bei ihr nötig sei. Zudem gelte die Faustregel „Je älter, desto sanierungsbedürftiger“ nicht unbedingt.
Wasserwirtschaft ist gut organisiert
Nicht das Alter sei entscheidend, sondern Bauart und verwendete Materialien, sagt der Geschäftsführer des Instituts für Unterirdische Infrastruktur in Gelsenkirchen, Roland Waniek. „Da machen uns nicht so sehr die Kanäle, die 100 Jahre alt sind, die großen Sorgen.“
Das seien eher die in den 1950er und 1960er Jahren verlegten Rohre. „Da wissen wir nicht, ob beim Bau auf die heutigen Qualitätsstandards geachtet wurde.“
Die Wasserwirtschaft hierzulande ist gut organisiert. In der Gütegemeinschaft Kanalbau arbeiten mehr als 4.000 Mitglieder der Auftraggeber-Seite, aber auch Ingenieurbüros, die die planerischen Vorbereitungen übernehmen, sowie ausführenden Unternehmen. Sie arbeiten gemeinsam an dem Ziel, die Qualität und Langlebigkeit der Abwasserleitungen und -kanäle zu verbessern. In der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) engagieren sich 14.000 Mitglieder aus den Betrieben der Wasser- und Abfallwirtschaft, aus Kommunen oder der Industrie, von Verbänden und Universitäten sowie aus Ingenieurbüros oder Umweltbehörden. In Kooperation mit dem Deutschen Städtetag und dem Städte- und Gemeindebund setzen sich auch die Arbeitsgemeinschaft Trinkwassertalsperren (ATT), der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Deutsche Bund verbandlicher Wasserwirtschaft (DBWV), der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) sowie der bereits erwähnte VKU (Verband kommunaler Unternehmen) und der DWA ein. Oft sind Planer und ausführende Unternehmen in verwandten Gewerken unterwegs, eine klare Zuordnung lässt sich verbandlich kaum vornehmen. Entsprechend fehlen auch aussagekräftige Zahlen über die Anzahl der Unternehmen und der Beschäftigten sowie eine klare Zuordnung von Umsatzgrößen. Deutlich wird aber, dass 4,5 Milliarden Euro pro Jahr, davon knapp ein Drittel in Abwasserbehandlung (Kläranlagen) und gut zwei Drittel in Abwasserableitung (Kanalisation), investiert werden. Leistungen im Wert von etwa 5,7 Milliarden Euro werden von Unternehmen der Abwasserbeseitigung jährlich für Investitionen und Erhaltungsmaßnahmen wie Reparaturen, die nicht selbst ausgeführt werden, fremd vergeben. Hier kommen die Fachkräfte für Rohr-, Kanal- und Industrieservice ins Spiel – eine Berufsgruppe, die ein breites Aufgabenspektrum abdeckt und in verschiedenen Verantwortungsbereichen agiert. Mit modernster Technik sorgen sie dafür, dass Kanäle, Schächte und Anschlüsse stets intakt sind. Eine gewaltige Aufgabe, denn durch die Kanalleitungen dieser Republik strömen im Jahr mehr als zehn Milliarden
Kubikmeter Abwasser.
Siedlungshygiene verdoppelte Lebenserwartung
Diese Mengen gab es in der Antike nicht, aber der Zusammenbruch des Römischen Reiches im christlichen Abendland genügte, um die technischen Errungenschaften wieder in Vergessenheit geraten zu lassen. Die folgenden Jahrhunderte blieben mühsam: Für das Mittelalter sind eher Plumpsklos aus den Burgen bekannt. In den Städten entledigte man sich aller Dinge, die den Tag über in Gefäßen gesammelt wurden, kurzerhand auf der Straße, Abwässer und Müll landeten in Bächen und Flüssen, die aber gleichzeitig auch als Quelle für Trink- und Waschwasser dienten. Den klassischen Seuchen wie Typhus und Cholera waren Tür und Tor geöffnet. Die sanitären Einrichtungen veränderten sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kaum. Infolge einer dramatischen Bevölkerungsverdichtung in den Innenstädten erlebte die Stadtentsorgung dann einen Wandel. Dank der Siedlungshygiene hat sich bei uns die Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren von 40 auf über 80 Jahre verdoppelt. Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de
INFO
Gold im Abwasser
Tüftler haben Klärschlamm als rentables Forschungsobjekt entdeckt: Durch unsere Abwasserleitungen strömen auch Edelmetalle und sammeln sich im Klärschlamm. Gold, Silber, Platin finden sich als „Treibgut“: in Mengen, die sich durchaus mit den Vorkommen in einer einigermaßen rentablen Mine vergleichen lassen. US-Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass in den Exkrementen von einer Million Amerikanern Metalle im Wert von 13 Millionen Dollar enthalten sind. Wären die Zahlen auf Deutschland übertragbar, würden jedes Jahr Metalle für fast eine Milliarde Euro im Klärschlamm unserer Kläranlagen landen. Auch zu den technischen Fragen der Gewinnung der Edelmetalle aus dem Klärschlamm haben die amerikanischen Forscher bereits Ideen entwickelt. Ob sich die Förderung aber lohnt, steht noch in den Sternen, berichtet das Wissenschaftsmagazin „Environmental Science & Technology“.
39 Cent für Abwasser
Nach Angaben der UN hat rund ein Drittel der Menschheit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 61 Prozent der Menschen haben keine Möglichkeit der sicheren und ökologisch nachhaltigen Entsorgung ihrer Abwässer.
Nach Informationen des Branchenverbands BDEW gibt der Bundesbürger im Durchschnitt täglich nur etwa 24 Cent für Trinkwasser aus. 39 Cent hingegen für die sichere Entsorgung des Abwassers.
Zum Weltwassertag verdeutlichte Prof. Dr. Uli Paetzel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), dass der hohe Standard der Wasserwirtschaft in Deutschland nicht selbstverständlich sei und permanenter Anstrengungen bedarf: „Sauberes Wasser und eine sichere Entsorgung von Abwässern spielen eine bedeutende Rolle bei der ökonomischen und ökologischen Entwicklung von Regionen. Dies ist ein Grundrecht eines wjeden Menschen. In Deutschland stellt die Wasserbranche dieses Recht mit großer Verlässlichkeit als Teil der öffentlichen
Daseinsvorsorge sicher“.
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