„Besser entscheiden ist effektiver, als härter oder mehr zu arbeiten“, sagt Prof. Dr. Hartmut Walz. Er ist Verhaltensökonom und lehrt an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein im Fachbereich Dienstleistungen und Consulting. Die Schnittstelle zwischen Ökonomie und Psychologie ist sein Kerngebiet – insbesondere das Thema „Entscheidungen“. Walz ist Autor zahlreicher Fachpublikationen zu diesem Bereich und hält regelmäßig Impulsvorträge. „Ich erlebe seit gut zehn Jahren ein gesteigertes Interesse an dem Thema Entscheidungsfindung bzw. Verhaltensökonomie“, berichtet der Wissenschaftler. Es seien die konkreten Entscheidungen in Alltagssituationen, mit denen sich die Menschen beschäftigen. Einen Grund dafür sieht er auch in der größeren Aufmerksamkeit, die der entsprechenden Forschung in den letzten Jahren zuteilgeworden ist. So ist beispielsweise erst im vergangenen Jahr der Wirtschaftsnobelpreis an den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler für seine Beiträge zur Verhaltensökonomie verliehen worden. Thaler beschäftigt sich u. a. mit psychologischen Faktoren, die hinter wirtschaftlichen Entscheidungen stehen.
In der Gruppe entscheiden
Unternehmer/-innen und Führungskräfte stehen oft vor dem Problem, wichtige Entscheidungen allein treffen zu müssen. Wann ist es sinnvoll, Mitarbeiter und Kollegen an Entscheidungen teilhaben zu lassen? Und was sind die Nachteile einer solchen Gruppenentscheidung? „Ein richtig großer Vorteil von Gruppenentscheidungen ist der Rückenwind, den die Führungskraft bekommt, sobald sie andere miteinbezieht“, erklärt Verhaltensökonom Hartmut Walz. „Selbst, wenn das Ergebnis nicht das ist, was sich der Einzelne eigentlich gewünscht hätte – die bloße Beteiligung sorgt dafür, dass alle den Prozess unterstützen.“ Gleichzeitig weist Walz darauf hin, dass Gruppenentscheidungen zwar die besten, aber eben auch die schlechtesten Entscheidungen sein können. „Zunächst einmal ist in einer Gruppe wahnsinnig viel Know-how gebündelt, Entscheidungen können aufgrund von breit gestreutem Wissen und Erfahrung gut abgewogen werden. Dafür müssen sie aber entsprechend gut moderiert werden.“
Groupthink in der Schweinebucht
Eine typische Falle bei Gruppenentscheidungen ist das sogenannte „Groupthink“, also das Gruppendenken – bekanntestes Beispiel ist die Entscheidung für die Invasion Kubas, die John F. Kennedy und seine Berater 1961 trafen. Am 17. April landeten in der kubanischen Schweinebucht etwa 1.300 Exilkubaner unter dem Kommando von CIA-Beamten und mit Unterstützung der US-Marine. Die Invasion erwies sich als Fiasko: Bereits nach drei Tagen waren die Invasionstruppen von der kubanischen Armee komplett aufgerieben. Kuba meldete über 1.100 Gefangene, 90 Angreifer sollen gefallen sein. „How could I have been so stupid to let them go ahead?“, fragte sich der Präsident später. „An der Entscheidungsfindung waren nur Männer beteiligt, der Druck war enorm und die Luft war testosterongeschwängert“, nennt Walz einige Gründe für das Fiasko. Selbstüberschätzung, der Wunsch nach einer einmütigen Entscheidung und das Wegwischen von Zweifeln kamen hinzu – und die Tatsache, dass anschließend niemand der Entscheider persönlich an der Operation beteiligt war. Weitere Nachteile von Gruppenentscheidungen sind eine Risikoerhöhung – „Gruppen riskieren mehr, als es der Einzelne tun würde“ – und die sogenannte Verantwortungsdiffusion: „Informieren Sie eine Gruppe – aber adressieren Sie keine Gruppe. Wenn ich nach meiner Vorlesung darum bitte, irgendjemand möge gleich das Fenster schließen, wird es wahrscheinlich offen bleiben. Da muss ich Herrn oder Frau Müller schon konkret ansprechen.“
Was sagt der Bauch?
Bauchentscheidungen haben Konjunktur – seit etwa drei, vier Jahren, so Hartmut Walz, taucht das Thema verstärkt auf. Mit wichtigen Vorurteilen habe Gerd Gigerenzers Buch „Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition“ aufgeräumt: Dass das Hören aufs Bauchgefühl nur etwas für weniger intelligente Menschen oder „was für Weiber“ sei, ist schlicht nicht wahr. Und wann gibt man ihm nun nach, dem Bauchgefühl? „Wenn es zum Beispiel schnell gehen muss. Den Heuwagen auf der Landstraße überholen Sie erst, wenn es Ihnen sicher erscheint, dafür holen Sie keinen Taschenrechner raus.“ Auch wenn die Entscheidungsfindung zu komplex ist, wenn zu viele Informationen bedacht und verarbeitet werden müssen, ist es sinnvoll, auf seinen Bauch zu hören. Gleichzeitig ist Vorsicht geboten: Es gibt Menschen, die bewusst Signale setzen, um unser Bauchgefühl in ihrem Sinne zu beeinflussen. „Der Bankmitarbeiter, der Ihnen eine bestimmte Anlage schmackhaft machen will, weil er dafür eine höhere Provision erhält, weist immer wieder auf Risiken einer anderen Variante hin – obwohl die eigentlich viel besser zu Ihnen passen würde.“ Solchen Manipulationen durch Trigger- oder Ankereffekte kann man vorbeugen, indem man sich vor entsprechenden Situationen klarmacht, welche Interessen das Gegenüber verfolgt.
Denkfehler vermeiden
Zu den typischen Entscheidungsfehlern gehört auch der Rückschaufehler oder Knew-it-all-along-Effekt. Er hindert uns daran, die richtigen Schlüsse für künftige Entscheidungen zu ziehen bzw. aus bisherigen Fehlentscheidungen zu lernen. Zum Beispiel, weil wir im Nachhinein davon überzeugt sind, etwas sei vermeidbar gewesen oder die Datenlage sei eine andere gewesen, als sie es zu der Zeit tatsächlich war. Es geht also um falsche Grundüberzeugungen, die wir fast alle mit uns herumschleppen – die aber den meisten nicht bewusst sind. Selbstüberschätzung und die Unterschätzung des Zufalls treten ebenfalls häufig auf – Letzteres beschreibt den Denkfehler, dass etwas rein Zufälliges einen Grund habe oder auf Können zurückzuführen sei. Man glaubt, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, wo es keine gibt. Auch in die Konsistenzfalle tappen viele – aber wer A sagt, muss nicht B sagen, sondern tut gut daran, zu erkennen, wenn A keine gute Idee war. „Da zitiere ich gerne Adenauer: ‚Ich bin nicht immer meiner Meinung‘“, sagt Hartmut Walz und lacht. Auf ähnliche Art und Weise vermeidet man „versunkene Kosten“: Damit ist das Prinzip vom guten Geld gemeint, das man schlechtem nicht hinterherwerfen sollte. „Dieses Verhalten ist menschlich: Wir wollen unsere Entscheidungen nicht revidieren, weil wir unser Gesicht wahren wollen oder auch hoffen, einen finanziellen Verlust noch ausgleichen zu können. Aber da passt der Spruch ‚Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens‘ ganz gut – wir können falsche Entscheidungen nicht rückgängig, es aber ab sofort besser machen.“
Kein Schema F
Ein universales Schritt-für-Schritt-Modell für gute Entscheidungen ist dem Verhaltensökonomen übrigens nicht bekannt – „Ich würde es auch für wenig sinnvoll halten.“ Bei institutionellen Entscheidungen – zum Beispiel, wenn eine Bank Kreditvergaben prüft – seien Prozessanleitungen oder sogenannte Scoring-Verfahren hilfreich. „So etwas würde eine Führungskraft aber für individuelle Entscheidungen meistens nicht nutzen. Mein Tipp: Lassen Sie die Fehler weg – es sind immer wieder dieselben Fallen, in die Führungskräfte tappen.“
Christina Spill | redaktion@regiomanager.de
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