Das anhaltend niedrige Zinsniveau macht der Branche insgesamt zu schaffen, es gibt zu wenig Nachwuchs, und verschiedene Risiken, die noch vor einigen Jahren gut kalkulierbar waren, lassen sich heute nicht mehr so leicht berechnen. Über die aktuellen Herausforderungen und wie seine Verbandsmitglieder damit umgehen wollen, haben wir mit Dr. Hans-Georg Jenssen, dem geschäftsführenden Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler e.V. (BDVM) gesprochen.
OWLM: Gerade hat mit 2020 auch ein neues Jahrzehnt begonnen. Womit rechnen Sie in Bezug auf Ihre Branche, was sind die wesentlichen Problemstellungen in der nächsten Zeit?
Dr. Hans-Georg Jenssen: Die Herausforderungen sind vielfältig. In einer komplexen Welt gibt es keine einfachen Lösungen mehr. Fangen wir mal an beim Stichwort Klima: Erst kürzlich saß ich mit anderen Verbandsvertretern mit Peter Altmaier zusammen, wir sprachen über die Pläne der Bundesregierung in Bezug auf den Kohle-Ausstieg. Natürlich ist das noch nicht gänzlich vom Timing her festgelegt, es steht aber deutlich im Raum für die nächsten Jahre. Für alle Industriezweige, die mit Kohle zu tun haben, bedeutet das, sie stehen gewissermaßen auf einer Art „Ächtungsliste“. Damit sind sie eben auch besonders schwer zu versichern. Das ist nur ein konkretes Beispiel für viele Entwicklungen, die sich gerade vollziehen oder abzeichnen.
OWLM: Immer wieder mal ist die Rede von einem Versicherungsnotstand. Gibt es den tatsächlich schon?
Dr. Hans-Georg Jenssen: Das möchte ich zurzeit noch verneinen! Aber in der Tat ist es insgesamt schwieriger geworden, so zu beraten, dass die relevanten Risiken optimal abgedeckt sind. Gerade in Bezug auf den Klimawandel müssen die Risiken völlig neu bewertet werden. Wenn es Überschwemmungen gibt in Regionen, die früher nicht davon betroffen waren, müssen Versicherer genauer hinsehen und etwas verändern. Was kann und was will man noch versichern? Fragen, die früher geklärt waren, müssen jetzt noch einmal ganz neu beantwortet werden.
OWLM: Auch mit bürokratischen Hürden haben speziell die Makler zu kämpfen, weil einheitliche Lösungen zum Anlegerschutz fehlen.
Dr. Hans-Georg Jenssen: Kennen Sie den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“? Wir haben das nicht täglich, aber alle drei Jahre etwa, dass da in Brüssel wieder so eine Zeitschleife anfängt. Die regulatorischen Perspektiven für Versicherungsmakler werden uns auch künftig beschäftigen. Da gibt es verschiedene Richtlinien, die einfach nicht so vereinheitlicht wurden, wie mache Beteiligte es sich vorstellen und wünschen. Weil die Banken gerade im MiFID-Bereich (Anm. d. Red.: Markets in Financial Instruments Directive) einen Wettbewerbsnachteil zur IDD-Umsetzung sehen, wird das Ganze auf EU-Ebene jetzt noch einmal aufgearbeitet.
OWLM: Wird auch der Brexit sich deutlich auswirken?
Dr. Hans-Georg Jenssen: Auf jeden Fall! Ich persönlich fürchte ja, dass bis zum Endes des Jahres noch kein vernünftiges Brexit-Abkommen verhandelt sein wird. Wir haben noch keine vollständige Klarheit darüber, wie sich das Ganze auf den Kontakt mit einem britischen Versicherer auswirken wird. Einige britische Unternehmen haben rechtzeitig noch Dependancen auf dem Kontinent eröffnet.
OWLM: Als 2016 die EU-Richtlinie Solvency II in Kraft trat, löste das auch Diskussionen darüber aus, wie aussagekräftig die Solvenzquoten sind. Gibt es da
aktuelle Entwicklungen?
Dr. Hans-Georg Jenssen: Tatsächlich verwenden die einzelnen Unternehmen bei der Ermittlung ihrer Krisenfestigkeit zum Teil sehr unterschiedliche Modelle. Manche nutzen dazu noch bestimmte Übergangsmaßnahmen, andere nicht. Einem Makler ist es nicht zuzumuten, diese Solvenzberichte bis ins Detail zu studieren, um herauszufinden, wie die Quoten verschiedener Versicherer eigentlich zustande kommen. Solvency II wird jetzt noch einmal genau untersucht, denn da gibt es Justierungsbedarf. Wir erwarten hier eine Feinabstimmung und neue (Übergangs-)Regelungen. Das Vertrauen bei der Bevölkerung in die eigene Altersversorgung leidet natürlich unter solchen Nachrichten. Hier ergibt sich aber auch die Frage, ob nicht die Lebensversicherung im Bewusstsein der Menschen immer noch falsch verankert ist. Früher dachte man, wenn man 25 Jahre spart, verdoppelt sich am Ende der Auszahlungsbetrag der Lebensversicherung. Das war bei den damaligen Zinsen auch durchaus der Fall.
OWLM: Altersarmut ist überhaupt ein großes Thema und Lebensversicherungen wichtiger denn je. Ihr Ansatz?
Dr. Hans-Georg Jenssen: Im Moment gibt es sehr viele Informationsveranstaltungen zu dieser Problematik, wir bringen uns da auch ein. Grundsätzlich geht es um die beiden Begriffe „Versicherung“ und „Selbstverantwortung“. Johannes Heesters hat einmal gesagt, das Leben könne ja überraschend lang sein. Man kann heute nicht mehr darauf vertrauen, dass man genau wie in der Statistik beispielsweise als Mann mit 79 Jahren stirbt und bis dahin das eigene Geld genau reicht. Versicherungen, die diesen Risikoausgleich noch schaffen, die brauchen wir. Der Bürger soll selbst Verantwortung übernehmen können und sich aussuchen dürfen, für welches Absicherungsmodell er sich entscheidet. Natürlich wird diese Frage angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase nicht leichter.
OWLM: Ein Regulierungsvorhaben steht auch an bei der Aufsicht von Finanzanlagenvermittlern bzw. bestimmten Versicherungsmaklern. Wie ist Ihre Position dazu?
Dr. Hans-Georg Jenssen: Wir sind der Überzeugung, dass es eine zweigeteilte Kontrolle geben sollte, bei der die BaFin nur die Guideline vorgibt. Auf der anderen Seite müssten dann die Industrie- und Handelskammern professioneller aufgestellt werden, sodass sie teilweise die Zuständigkeiten von Gewerbeämtern zurücknehmen können. Das wäre einheitlich, kostengünstig und auch gut für Makler. In den uns umgebenden Ländern ist es ja auch so, dass die Versicherungs- oder Finanzaufsicht auch die Vermittler kontrolliert. Die BaFin sitzt bisher als einzige Aufsichtsbehörde ohne orginär eigenes Mandat bei den Vermittlern da.
OWLM: Herzlichen Dank für das Gespräch!
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