OWLM: Herr Lohse, Sie kommen aus dem beschaulichen Bad Oeynhausen und haben die harte Schule des Kochhandwerks erlernt: von der Pike auf als Lehrling bis hin zur hohen Kochkunst Ihrer eigenen Handschrift mit zwei Michelin-Sternen. Sie waren auf der internationalen Bühne unterwegs und haben sich schlussendlich im bunten Berlin niedergelassen. Vermissen Sie hin und wieder die ostwestfälisch-lippische Bescheidenheit, Beständigkeit und Bodenständigkeit in all dem Trubel und Stress?
Christian Lohse: Guten Morgen, liebes Ostwestfalen-Lippe. Ja, ich vermisse die ostwestfälisch-lippische Bescheidenheit sehr. Aber ich schätze die hohe Form der Beständigkeit und Bodenständigkeit unglaublich, den enormen Fleiß, die besondere Form der Kreativität, ebenso wie die ausgeprägte Sturheit sowie das enorme Durchsetzungsvermögen, gepaart mit unserer einzigartigen Form unserer intelligenten Sicht der Dinge.
Klare und kurze Worte zur Sachlage, ohne große Romantik: Denn Zeit ist Geld.
Außerdem vermisse ich sehr unser Weserbergland, die starken Regentage und ein zünftiges Pils, gepaart mit einem eisgekühlten Wacholder, dazu Timmerbergs Stippgrütze mit Gewürzgurken hausgemacht. Ein großer Wunsch an meine geliebte Arminia (der Fußballverein Arminia Bielefeld, Anm. d. Red.): Auf in die erste Liga und dann endlich mal international Fußball spielen!
OWLM: Während manche Ihrer Kollegen während der Pandemie gerade so wie untergetaucht zu sein schienen, haben Sie sich mit einer Vielzahl – auch digitaler – Dienstleistungen neu aufgestellt. Gibt es Events, die damals aus der Not geboren waren, heute aber weiter gefragt sind? Welche denn?
Christian Lohse: Das erste Mal in der gastronomischen Berufsgeschichte wurde unser Stand mit einem fast uneingeschränkten Berufsverbot belegt. Also kam hier für mich die direkte Aufforderung, Lösungen zum Überleben zu finden, die bis heute reichen. Wie Einzelkochkurse und zu liefernde Prestigemenüs, kein Versand von Verpackungsmüll mit in Plastikbeuteln eingeschweißtem Essen, digitale Kochkurse und Mitarbeiterschulungen, die Entstehung einer Saucenproduktion, 30 Jahre Sterneexpertise als Universalwürzmittel in Form von sauberen Saucen ins Glas gebracht oder Werbekontrakte mit nachhaltig arbeitenden Industriekonzernen. Besonders zu erwähnen ist hier die Firma WEPA aus dem Sauerland und die Firma arcona, mit Sitz in Rostock, und elf wunderbaren Boutique-Hotels in ganz Europa als gastronomische Leitplanke.
OWLM: Als unermüdliches Multitalent sind Sie in ganz Europa unterwegs – heute Paris, morgen Prag, nächste Woche Potsdam. Wollen Sie uns verraten, wohin es Sie als Nächstes verschlägt?
Christian Lohse: Nach Paris und Paimpol in Frankreich.
OWLM: Man erlebt Sie in den feinsten Küchen auf der ganzen Welt als Gast-Koch und dann sieht man Sie in einem Supermarkt hinter Ihrem Stand mit Saucen stehen. Diese Vielfalt ist bestimmt spannend. Welche Sätze fallen denn typischerweise im Sterne-Restaurant und welche im Supermarkt?
Christian Lohse: Ist er es wirklich? Dürfen wir bitte ein Foto machen? Wie kocht man?
OWLM: Viele Leute haben ja während Corona mit dem Selberkochen angefangen. Merken Sie das? Sind die Fragen Ihrer Gäste beispielsweise kompetenter geworden?
Christian Lohse: Tja, da stellen Sie mir eine Frage, die ich nicht beantworten kann.
OWLM: Warum stärkt gemeinsames Kochen das Teambuilding?
Christian Lohse: Miteinander sind wir sehr stark, das Diktat und die Tat des Solisten gehört ins Archiv der Ahnungslosigkeit.
OWLM: Inwieweit hat das Fernsehen der letzten Jahre sich auf die Kulinarik und die Wahrnehmung der Zuschauer ausgewirkt?
Christian Lohse: Keine Ahnung.
OWLM: Geprägt von der französischen Küche haben Sie in den letzten Jahrzehnten doch immer wieder neue Felder erschlossen, neue Gerichte und Zutaten komponiert oder neu kombiniert. Was sind denn Ihre Lieblingsgerichte über die Jahre gewesen? Angefangen natürlich mit der Leibspeise Ihrer Kindheit, Buletten mit Rahmlauch und Sauerbraten mit Kartoffelklößen …
Christian Lohse: Die von Ihnen genannten Buletten stehen natürlich weiterhin ganz oben in der Champions League der weltweiten Esskultur. Besonders liebe ich die Produkte zu unterschiedlichen Jahreszeiten und die damit verbundene starke Vorfreude, und ein Credo der Allergie steht ganz vorne: bitte viel Liebe für Grundprodukte und null schlechte Qualität.
OWLM: Gibt es jetzt öfter wieder mal Stielmus statt Avocado?
Christian Lohse: Die Avocado ist und bleibt abseits.
OWLM: Man sagt: Wie jemand tanzt, so gestaltet sich auch sein Liebesleben. Gibt es ähnliche Analogien, die Sie bei essenden und kochenden Menschen festgestellt haben?
Christian Lohse: Je lasziver ich esse und trinke, umso erotischer wird geliebt.
OWLM: Gilt das auch für Sie? Erfinden Sie sich immer wieder neu?
Christian Lohse: Ja, ich habe besonders die Langeweile entdeckt.
OWLM: Sie gelten als streitbarer Charakter mit Ecken und Kanten, kodderigem Mundwerk, der sogar der Berliner Schnauze das Fürchten lehrt, die Konfrontation nicht scheut und nicht mit jedem kann oder will. Dass Sie sich selbst treu geblieben sind, hat manche Tiefe in Ihrer Laufbahn – vor allem aber Ihren Erfolg – begründet. Blicken Sie manchmal mit Neid auf im Fernsehen omnipräsente Kollegen oder ist das auch eine Prinzipienfrage, nicht auf jeder Katzenkirmes mitzutanzen?
Christian Lohse: Geiz und Neid sind der Ursprung allen Übels. Wir planen in Zukunft, selbst auf den bewegten Bildern präsent zu sein. Ramsch und Fäkalität werden weiterhin nicht zu meinen ausgeprägten Stärken zählen, da überlasse ich anderen gerne diese Felder.
OWLM: Mit welchem Kollegen fühlen Sie sich im Geiste verbunden und welcher sollte Ihnen besser nicht begegnen?
Christian Lohse: Kein Kommentar.
OWLM: Welches Projekt steht als Nächstes an, wo sehen wir Sie oder – noch besser – können etwas von Ihnen probieren (Produkte, Location, Event oder Ähnliches)?
Christian Lohse: Lohses Salon, die Neuentwicklung neuer Saucen, zwei Buchprojekte, die NCL-Stiftung für demenzkranke Kinder und im Fernsehen.
OWLM: Was ist Ihr aktuelles Lieblingsprojekt bzw. eine Herzensangelegenheit?
Christian Lohse: Die NCL-Stiftung für demenzkranke Kinder und die damit verbundene Gründung der Sunshine Family.
OWLM: Wo sind Sie am liebsten in Ihrer alten Heimat OWL?
Christian Lohse: Auf der Lohe mit Blick aufs Weser- und Wiehengebirge.
OWLM: Was wollen Sie Ihrer alten Heimat und den Unternehmern mit auf den Weg geben?
Christian Lohse: Seid großzügiger mit euren Gastronomen und Hoteliers.
OWLM: Herr Lohse, wir danken Ihnen für den Einblick.
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