Die Zahlen des Statistischen Bundesamts sind dramatisch: Im 1. Halbjahr 2024 wurden 85.300 Neubauwohnungen genehmigt und damit 23,5 % weniger als im Vorjahreszeitraum. Was heute nicht genehmigt wird, kann morgen nicht gebaut werden. Die Aussichten für die von der Bundesregierung geplanten Schaffung von jährlich 400.000 Wohnungen rückt in weite Ferne. Die Gründe hierfür sind vielfältig: zu hohe Kosten für Baumaterialien, zu hohe Zinsen, zu knappes Bauland, zu wenig Fachkräfte und vieles mehr.
Die geplante Lösung des Problems lautet „E“. „E“ wie „einfach“. Der Gebäudetyp E wurde als eine Antwort auf die steigenden Baukosten und die wachsende Nachfrage nach Wohnraum entwickelt. Dieser Typ steht für einen neuen Ansatz im Bausektor, der das Planen und Bauen effizienter, kostengünstiger und schneller gestalten soll. Verschiedene Akteure aus der Baubranche sowie staatliche Institutionen haben unterschiedliche, aber überwiegend positive Perspektiven zu diesem Konzept geäußert.
Rechtsunsicherheit führte zu Kostenexplosion
Als besonders problematisch an der bisherigen Lage stellt Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer heraus, dass die Rechtsprechung davon ausgehe, dass über die technischen Baubestimmungen hinaus die Planenden bei ihrer Planung die allgemein anerkannten Regeln der Technik schulden. Was aber genau darunter zu verstehen ist, sei vielfach jedoch unklar, das Risiko der Planer daher hoch und die vorsorglich verplante Technik entsprechend teuer.
Genau hier setzen die Regelungen des neuen Gebäudetyps E an: Sofern nichts anderes vereinbart ist, wird vermutet, dass die von den Planenden geschuldeten allgemein anerkannten Regeln der Technik nur sicherheitstechnische Festlegungen umfassen. Umgekehrt wird vermutet, dass bautechnische Normungen, die reine Ausstattungs- und Komfortmerkmale abbilden, keine anerkannten Regeln der Technik sind. Die Bauherrschaft kann sich also auch in Zukunft weiterhin darauf verlassen, dass ein Gebäude sicher geplant und errichtet wird. Darüber hinaus ist sie aber frei, den Komfort für ihre Immobilie zu wählen. Gebäude müssten also nicht mehr automatisch alle Ausstattungs- und Komfortmerkmale erfüllen, so Bökamp. In der Folge könnten die Baukosten spürbar sinken.
„Einheitliche Standards sind grundsätzlich sinnvoll, allerdings dürfen sie kein Selbstzweck sein. Natürlich muss ein Gebäude standsicher sein und die Anforderungen an den Brandschutz müssen eingehalten werden. Hingegen ist die Anzahl der Steckdosen am Ende eine Frage der Baukosten, des Kaufpreises bzw. der Miete“, so Bökamp.
Vereinfachung und Kostensenkung
Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) stellt die Vorteile des Gebäudetyp E in den Vordergrund, insbesondere die Möglichkeit, auf nicht notwendige, kostenintensive Standards zu verzichten. Dies soll dazu führen, dass Bauprojekte schneller realisiert und die Baukosten reduziert werden, ohne dass die Sicherheit der Gebäude darunter leidet. “Mit dem Gebäudetyp E ermöglichen wir einfaches und experimentelles Bauen. Bauen ist in Deutschland zu teuer. Wir tendieren häufig dazu, einen Goldstandard zu bauen. Das macht das Planen und Bauen aufwändig, personalintensiv und teuer. Das wollen wir ändern”, so Bauministerin Klara Geywitz.
Als Beispiel führt das Ministerium die Anzahl der Steckdosen und Leitungen an: In einer durchschnittlichen Dreizimmerwohnung sind demnach derzeit 47 Steckdosen vorgesehen. Die Anzahl könne beim Gebäudetyp E aber je nach konkretem Bedarf reduziert werden.
Flexibilität und Innovation
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gebäudetyp E ist die Förderung von Innovationen im Bauwesen. Durch den Verzicht auf bestimmte Komfortstandards können Architekten und Ingenieure kreativer und ressourcenschonender arbeiten. Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, sieht in dem Konzept die Chance, nicht nur die Baukosten zu senken, sondern auch die Prozesse zu beschleunigen und mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Durch die Möglichkeit, auf nicht notwendige Standards zu verzichten, können Bau- und Sanierungsprozesse beschleunigt und ressourcenschonender gestaltet werden“, betont Gebhard.
Beitrag zur Lösung der Wohnraumkrise
Neben den Aspekten der Kostensenkung und Innovation wird der Gebäudetyp E auch als wesentlicher Beitrag zur Bewältigung der Wohnraumkrise gesehen. Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, sieht in diesem Ansatz eine Möglichkeit, die Baukosten auf ein erträgliches Maß zu senken und gleichzeitig den dringend benötigten Wohnraum schneller bereitzustellen. „Der Gebäudetyp E kann dazu beitragen, Baukosten wieder auf ein erträgliches Maß zu reduzieren“, so Müller.
Düsseldorfer Erklärung der AKNW
Der Gebäudetyp E ist sicherlich ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Architektenkammer NRW (AKNW) geht aber noch weiter. In der im Januar 2024 vorgestellten „Düsseldorfer Erklärung“ fordert sie weitere umfassende Maßnahmen zur Entlastung, Vereinfachung und Beschleunigung des Bauens. Zentrales Anliegen hierbei ist den AKNW die Schaffung von jährlich 25.000-30.000 mietpreisgebundenen Wohnungen. Deren Zahl sank in NRW von 1,5 Millionen im Jahr 1992 auf etwa 435.000 bis Ende 2022.
Die 16 Punkte der Düsseldorfer Erklärung:
1. Umsatzsteuer für den Neubau geförderter Wohnungen reduzieren:
Eine Senkung der Umsatzsteuer von 19 % auf 7 % soll den Bau öffentlich
geförderter Wohnungen finanziell erleichtern.
2. Grunderwerbssteuer zugunsten des geförderten Wohnungsbaus differenzieren:
Der Ersterwerb selbstgenutzter Immobilien sollte von der Grunderwerbsteuer
befreit werden; geförderte Wohnungen sollen ebenfalls entlastet werden.
3. Additive Besteuerung unbebauter und baureifer Grundstücke:
Unbebaute Grundstücke, die für Wohnbau geeignet sind, sollen steuerlich
stärker belastet werden, um Spekulationen zu verhindern.
4. Renaissance des Erbbaurechts:
Die verstärkte Nutzung des Erbbaurechts soll Bauland in bester Lage
auch ohne Eigentumsübertrag aktivieren.
5. Gebäudetyp E einführen:
Ein flexibler Gebäudetyp soll Bürokratie abbauen,
Baukosten senken und die Planungsprozesse beschleunigen.
6. Aufstockungspotenziale nutzen:
Rechtliche Hindernisse sollen abgebaut werden, um Aufstockungen
bestehender Gebäude zu erleichtern und städtische Nachverdichtung zu fördern.
7. Umwandlung von Gewerbeimmobilien in Wohnraum erleichtern:
Gewerbeflächen, die für Wohnzwecke umgewandelt werden können, sollen
durch schnellere Genehmigungsverfahren gefördert werden.
8. Ökobilanz statt vieler Einzelauflagen:
Eine einfache Ökobilanz soll anstelle komplexer Vorschriften
als Maßstab für nachhaltiges Bauen dienen.
9. Baugenehmigungsverfahren digitalisieren:
Digitalisierung der Bauverwaltungen und der Einsatz von KI
sollen Genehmigungsverfahren effizienter machen.
10. Bestandsschutz für Bauvorschriften des Baujahrs:
Änderungen an Gebäuden sollen nur die damaligen Vorschriften
berücksichtigen, um Umbauten zu vereinfachen.
11. Einstellungsoffensive in den Bauverwaltungen:
Mehr Personal und Ressourcen sind nötig, um Planungs- und
Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
12. Nachrüsten statt aufrüsten:
Komfortelemente wie Balkone oder Aufzüge sollten
nachträglich installiert werden können, um Baukosten zu senken.
13. Verzicht auf verpflichtende PKW-Stellplätze:
Die Verpflichtung zum Bau von Stellplätzen sollte aufgehoben werden,
um Kosten zu sparen und den Wohnungsbau zu beschleunigen.
14. Wohnraumförderbestimmungen vereinfachen:
Technische Vorgaben im geförderten Wohnungsbau müssen entschlackt
werden, um private Investitionen zu fördern.
15. Serielles und modulares Bauen fördern:
Serien- und Modulbauweisen sollen für schnelleren und
kostengünstigeren Wohnungsbau genutzt werden.
16. Kommunen zu Bauherren machen:
Städte und Gemeinden sollen aktiv Baulücken identifizieren und durch
Ankäufe und Bauvorhaben zur Belebung des Wohnungsmarktes beitragen.
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