Management

Die Haptik zählt: Qualität gewinnt Herz

Haptik dient uns ein Leben lang als Prüf- und Wahrheitsinstanz. Die Hand muss halten, was der Blick verspricht.

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von Regiomanager 06.01.2023

Der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi wusste es schon vor über 200 Jahren: „Menschen lernen am besten mit Hirn, Herz und Hand.“ Wer also mit Verstand und Leidenschaft eine Sache verfolgt und sie dabei sogar anfassen und berühren kann, findet schnellen und intensiven Zugang zu ihr. Die biologische Evolution hat uns Menschen den Tastsinn über Jahrmillionen in die Gene eingebunden. Tasten und Gefühle sind überlebenswichtig für unsere Spezies. Babys lernen die Umwelt zuerst mit den Händen kennen, sie „begreifen“ die Welt. Mit unseren Händen erkunden wir unsere unmittelbare Umgebung; wir prüfen Oberfläche und Textur, Konsistenz, Gewicht und Temperatur, Form, Größe und Funktion eines Objekts. Die Bedeutung des Tastsinns, der „Haptik“, dient uns ein Leben lang als Prüf- und Wahrheitsinstanz: Die Hand muss halten, was der Blick verspricht.

„Wir können uns verhören. Wir können uns
versehen. Aber wir können uns nicht verfühlen“
(Benny Briesemeister, Psychologe)

Leidenschaft und Algorithmen

Wie aber passt die Leidenschaft zum Gegenstand mit der rasanten Entwicklung einer globalen Gesellschaft zusammen, deren Strukturen und Prozesse immer mehr auf Algorithmen und Automatisierung basieren und sich das Leben im digitalen Zeitalter immer deutlicher im virtuellen Raum abspielt? Solche Fragen beschäftigen Wissenschaft und Wirtschaft, ganze Branchen wähnen sich entweder am Anfang vom Ende oder aber am Beginn neuer Möglichkeiten. Auch der gesamte Bereich des Druckgewerbes ist davon involviert, damit verbunden auch die Werbewirtschaft und das Marketing. Auch dort hat man erkannt, dass die Zeiten von Gutenberg lange vorbei sind und die digitale Konkurrenz scheinbar zu enteilen droht. Auch wenn man meinen könnte, dass das gedruckte Werk durch das Internet an Bedeutung verliert, so sprechen die Verkaufszahlen eine andere Sprache. 2021 wurden allein in Deutschland noch immer rund 270 Millionen Bücher verkauft. Aber die Verlagslandschaft ist in Bewegung – auch weil inzwischen fast 800.000 täglich verkaufte Zeitungsexemplare als E-Paper digital vertrieben werden.

Schnell und schnell
verschwunden

Anfang der 2000er-Jahre verbreitete sich das Internet rasant und schuf das Zeitalter des Online-Marketings. Dank E-Mails und Chats konnten Unternehmen erstmals mit Kunden in direkten Kontakt treten. Personalisierte Nachrichten kamen an, erste Werbebanner erschienen auf den Bildschirmen der Internetnutzer. Digitale-Werbeformen bestimmen das Bild, binnen Sekunden sind Produktinformationen per E-Mail ausgesandt, Werbeartikel auf die Leuchtreklame projiziert und äußerst kostengünstig wird eine breite Masse erreicht. Mittlerweile haben aber viele Akteure erkannt, dass nicht alles gut ist. E-Mails gehen in der Flut der Nachrichten unter oder werden von Spam-Programmen geschluckt, Werbebanner und Pop-up-Fenster durch Adblocker-Programme eliminiert.

Aufmerksamkeit für Print steigt

Printwerbung und gedruckte Marketingmaterialien bieten dagegen ein haptisches Erlebnis, sie können in die Hand genommen und erlebt werden. „Wir registrieren Dinge zuerst über die Augen. Wenn wir jedoch unsicher sind, ob wir etwas richtig erkennen können, dann prüfen wir etwa die Temperatur, Konsistenz oder Stabilität einer Sache durch Anfassen, um größere Gewissheit zu erlangen“, erklärt Professor Dr. Andreas Mann vom Dialog Marketing Competence Center an der Universität Kassel. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Werbung, die Betrachter anfassen können, die Aufmerksamkeit erhöht und gleichzeitig dafür sorgt, dass das Gesehene länger im Kopf verankert bleibt. Das ist genau das Ziel, das Marketingverantwortliche erreichen wollen, und zeigt auch den Vorteil von gedruckter Werbung z.B. gegenüber E-Mail-Marketing. Eine neurowissenschaftliche Studie zur Recall-Leistung von Print- und Online-Medien des Siegfried Vögele Instituts etwa ergab, dass Informationen, die visuell und haptisch erlebt wurden, stärker in der Erinnerung verankert sind als Werbung, die rein visuell wahrgenommen wurde. Multisensuale Wahrnehmung, so die Studie, verstärkt die Erinnerungsleistung. Die Aktivierung gleich mehrerer Sinne sei Garant, dass Botschaften besser in Erinnerung bleiben, ist auch Rüdiger Maaß vom Fachverband Medienproduktion überzeugt. „Wenn durch eine ungewöhnliche Gestaltung und Haptik erst einmal Aufmerksamkeit geweckt wurde, gilt es, diese auf die zusätzlichen Inhalte und Botschaften zu überführen und mit diesen aufrechtzuerhalten. Printwerbung lässt dem Adressaten mehr Zeit, um sich mit der Botschaft zu beschäftigen und sich dementsprechend intensiver mit der Frage der Glaubwürdigkeit der Information auseinanderzusetzen.“ Schließlich kann man bedrucktes Papier nicht nur anschauen, sondern auch fühlen und riechen. Das schaffe Glaubwürdigkeit und Wertschätzung. Und sei ein Grund dafür, dass Print auch in Zeiten der Digitalisierung wertvoll und beständig ist.

Königsweg der Werbung

„E-Commerce-Player wollen buchstäblich berührbar werden und reichhaltige Assoziationen aufbauen. Daher setzen sie immer häufiger auf einfallsreiche Werbebriefe, Magazine oder kompakte Produktkataloge im Magazinstil, sogenannte Magaloge“, weiß Olaf Hartmann. Der Haptik-Experte und Autor ist überzeugt, dass solche Maßnahmen analog die Fantasie anstoßen und die Kunden so erfolgreich in die Online-Welt führen. „Die Kaufentscheidung fällt der Bauch – der Kopf rechtfertigt sie. Nur wer seine Qualität implizit spürbar macht, gewinnt das Herz seiner Kunden. Trotz – und vielleicht sogar gerade wegen – der Digitalisierung des Lebens sind auch konkrete sinnliche Erlebnisse immer noch der Königsweg für überzeugende Werbung und erfolgreichen Verkauf.“

Hart im Nehmen

Weil viele Personen etwas erst dann wirklich begreifen, wenn sie es anfassen können und währenddessen eine bestimmte Emotion empfinden wollen, haben haptische Werbemittel, sogenannte Hapticals, gegenüber den digitalen Werbeartikeln klare Vorteile. Olaf Hartmann hat dazu ein gutes Beispiel bei Mercedes-Benz gefunden: Die Werbekampagne für den Baustellen-Truck Arocs erhielt für die gute Umsetzung sogar den „Deutschen Mediapreis“ in der Kategorie Print. Das besondere an der Werbeanzeige war, dass der Zeitschriftenbeileger auf Schmirgelpapier gedruckt war, das jeder Handwerker kennt. Der Slogan zum Produkt war auf die Präsentation abgestimmt: „Hart im Nehmen, wo es rau zugeht.“ Bei der Präsentation der Anzeige auf einem Tablet oder Laptop wäre diese Umsetzung nicht möglich gewesen.
Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de

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