Digitales Marketing ist ein noch relativ junges Phänomen, das erst in den vergangenen 15 Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat. „Die bekannten Marketingfunktionen wie PR oder auch Distribution werden dabei eben über digitale Kanäle und mit digitalen Instrumenten abgewickelt – digitale und analoge Welten wachsen mehr und mehr zusammen“, beschreibt es Dr. Gerald Lembke, Präsident des Bundesverbandes für Medien und Marketing. Seit 2007 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre und Medienmanagement sowie für digitale Medien und angewandtes Medienmanagement. Pauschal könne man sagen: Analoge Marketinginstrumente werden digitalisiert. Techniken, die zuvor im Offline-Bereich verwendet wurden, werden imitiert und in der neuen Online-Welt genutzt. „Früher haben Unternehmen zum Beispiel Presseinformationen in gedruckter Form herausgegeben – nun werden sie als digitales Medienprodukt, in Form einer E-Mail, oder eines PDF über digitale Kanäle verbreitet. Kundendaten werden nun nicht mehr aufwendig über ein Preisausschreiben erhoben, sondern ganz einfach übers Internet – das verändert nicht nur den Kundenbeziehungsaufbau, sondern eröffnet ganz neue Möglichkeiten beim Erstellen von Kundenprofilen.“ Zu den gänzlich neuen Marketinginstrumenten – also zu denen, die nicht einfach aus der analogen in die digitale Welt übertragen werden – gehören Big Data und auch Learning Analytics: „Daten jeglicher Art können heute gesammelt, in riesigen Serverparks gespeichert und analysiert werden, um daraus etwa individualisierte Kundenempfehlungen zu gestalten. Man kennt das von Amazon: Eine halbe Stunde, nachdem man ein Buch gekauft hat, werden einem ähnliche Bücher bzw. weitere Werke desselben Autors vorgeschlagen. Das ist ein rein digitales Geschäftsmodell, das gar keine analogen Prozesse mehr kennt.“
Noch überschaubares Geschäftsfeld
Deutschlandweit verdienen rund 14.000 Unternehmen ihr Geld auch mit digitalem Marketing, so Prof. Dr. Gerald Lembke – „und auf den ersten Blick scheinen viele reines Digitalmarketing zu betreiben. Wenn man es genauer betrachtet, ist es aber meistens doch eher ein crossmediales Arbeiten.“ Die Branche verzeichne einen leichten Zuwachs. Es seien einige Tausend Firmen mit weniger als einer Million Beschäftigten, die sich aufs klassische Online-Marketing, auf die Optimierung für Google und andere Suchmaschinen oder auch die Konstruktion von Werbe-Ads spezialisiert haben. „Es handelt sich hier aber nicht um einen riesigen Markt – das ist ein vergleichsweise kleiner Bereich.“ Der Experte für digitale Medien schätzt, dass zwei Drittel der deutschen Werbebranche noch analog arbeiten – und nur ein Drittel digital. Die deutsche Werbewirtschaft habe ein jährliches Investitionsvolumen von knapp 30 Milliarden Euro. „Davon fallen allein fünf Milliarden Euro für reine TV-Werbung, also für klassische, lineare Werbung an – digitale Werbung spielt da immer noch eine eher untergeordnete Rolle.“
Und welche Unternehmen profitieren nun von digitalem Marketing – funktioniert das für jeden? B2B und B2C? „Deutschland ist sehr mittelstandsgeprägt, wobei der industrielle Sektor sehr stark ist. Da sind digitale Marketingmaßnahmen noch unterrepräsentiert, der Reifegrad bei Großkonzernen ist natürlich sehr viel weiter. Aber: Auch im Mittelstand haben heute nahezu alle eine Homepage, die einen zentralen Baustein des digitalen Marketings darstellt – das war vor fünf Jahren noch nicht so. Diese Unternehmen setzen sich auch mehr und mehr mit den Möglichkeiten auseinander, die ihnen soziale Medien bieten“, erklärt Prof. Dr. Lembke. Im B2C-Bereich habe Digitalmarketing noch einen deutlich höheren Effekt als auf der Ebene der Kommunikations- und Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen. „Die Auswirkungen auf B2B haben wir lange unterschätzt. Aber natürlich sind zum Beispiel auch die Einkäufer anderer Unternehmen allesamt in der Online-Welt zuhause. Hier wird digitales Marketing noch wichtiger werden.“
Viele Hypes sind schnell passé
Im Vergleich zu Offline-Aktivitäten könne Digitalmarketing mit zwei wesentlichen Vorteilen punkten, so Prof. Dr. Lembke. Zum einen habe man online natürlich eine deutlich höhere Reichweite. „Bei einer klassischen Anzeige zum Beispiel in der FAZ oder in der Süddeutschen bezahlen Sie nach Tausender-Kontaktpreis – das hat für das Internet gar keinen Sinn mehr, da kann niemand mehr die Reichweite bemessen. Auch wenn eigene Analytic-Daten zum Beispiel von Facebook etwas anderes suggerieren.“ Vorteil Nummer zwei sei das Tempo, mit dem Informationen bzw. Werbebotschaften weitergegeben werden können. „Die Informationen sind sofort draußen, und Sie können Ihre Nutzergruppe direkt miteinbeziehen.“
Vermeintlichen Trends und Hypes im Digitalmarketing steht der Professor im Übrigen skeptisch gegenüber. Natürlich: „Wenn in der gesamten Bundesrepublik 40 Millionen Nutzer bei WhatsApp aktiv sind, dann kommt da kein Marketingverantwortlicher dran vorbei – da muss man sich damit auseinandersetzen, welche Möglichkeiten das für das eigene Unternehmen bieten könnte.“ Aber: Oft scheitere der Versuch, solche „App-Hypes“ für eigene Zwecke zu nutzen, schon am Datenschutz. „Virtual Reality, Augmented Reality – alles nett, wird aber auch schnell wieder verschwinden“, ist sich der Spezialist für digitale Medien sicher. Viele dieser Hypes träfen den Bedarf der Menschen im Grunde nicht. Zur Anbahnung sei so eine Augmented-Reality-App, zum Beispiel von einem bekannten schwedischen Möbelhaus, ja eine gute Idee. „Aber die Leute wollen da hinfahren, sich auf das Sofa setzen, es anfassen – da kann eine App das Einkaufserlebnis nicht ersetzen.“ Relevant sei vor allem das Sammeln, Bewerten und Verkaufen von Big Data: Zu wissen, wie die eigene Zielgruppe tickt, wann wer wie einkauft – das sei der Schlüssel. Ziel (und Wunschvorstellung) aus Unternehmenssicht sei sicherlich der transparente Kunde – und dank digitalem Marketing kennen Unternehmen ihre Kunden heute schon besser als je zuvor. Christina Spill
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