Kolumne

Parallelwelten: Alle gleich

Julia Dombrowski erklärt, warum an der Ampel und beim Burn-out alle gleich sind. Und wo wahre Demokratie gelebt wird.

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von Regiomanager 01.03.2016
Julia Dombrowski

Sie kennen das: Landstraße, kurvige Wegführung. Im Rückspiegel sehen Sie einen Drängler heranrasen, der deutlich mehr PS unterm Fahrersitz hat als Sie. Er kann es gar nicht ertragen, dass er Ihretwegen seine überhöhte Geschwindigkeit drosseln muss. Bei der erstbesten Gelegenheit gibt er ordentlich Gas und setzt zum Überholmanöver an. Sie müssen Ihr besonnenes Tempo, das Sie an die unübersichtliche Strecke angepasst hatten, noch weiter senken, um dem Raser das Einscheren zu ermöglichen, weil ihm aus der nächsten Kurve gerade ein Lkw entgegenkommt. Sie können über so viel Selbstüberschätzung nur noch den Kopf schütteln. Der nächste Ortseingang taucht auf. Vor sich haben Sie wieder den Typen, dessen Pferdestärken seinen Intelligenzquotienten mit Abstand übertreffen – jetzt befindet er sich aber im Stillstand. Und bei sich denken Sie nicht unzufrieden: „Ach ja. An der roten Ampel sind wir eben doch alle gleich.“ Ist in der Berufswelt auch nicht anders. Im Aufenthaltsraum der Reha-Klinik für die medizinische Wiedereingliederung ins Arbeitsleben sagt der Fließbandarbeiter, den der Drei-Schicht-Betrieb aus der Kurve gehauen hat: „Hätte ich in der Schule doch bloß besser aufgepasst.“ Antwortet die Abteilungsleiterin mit Personalverantwortung und zwei Universitätsabschlüssen: „Ich hab in der Schule immer gut aufgepasst. Ich bin trotzdem an genau derselben Stelle gelandet wie du.“ Beim Burn-out sind wir eben auch alle gleich. Das erkennen wir spätestens dann, wenn der tägliche Stress zu psychosomatischen Mehrfachbeschwerden geführt hat: Schlaflosigkeit, Rückenschmerzen, Tinnitus und Bluthochdruck fragen nicht nach dem Einkommen oder der Stufe auf der Karriereleiter. Beim therapeutischen Basteln und beim autogenen Training gibt es keine Klassenunterschiede. Wenn das altbekannte Kur-Motto „Morgens Fango, abends Tango“ den Tag bestimmt, sind Lohnsteuerklasse und Ausbildungsniveau nur noch Schall und Rauch. Einträchtig sitzen Altenpfleger und Ingenieurinnen, Lieferanten und Personalchefinnen, Einzelhändler und Architektinnen in der Ergotherapie nebeneinander und drücken ihre Gefühle in Klebecollagen und mit Ölkreide aus. Bei der Wirbelsäulengymnastik im Bewegungsbad unterscheidet sich der Schreibtischhengst nicht vom Lageristen. Und bei den medizinischen Lehrvorträgen gleichen sich die eifrig notierten Merksätze der psychosomatischen Patienten ebenso ganz unabhängig vom beruflichen Background: „Papierstapel machen Angst“, „Krisen sind ein Veränderungsmotor“ und „Naturjoghurt mit Tiefkühlobst ist gesünder als ein Industriedessert“. Wer je geglaubt hat, der eigene höher dotierte Job mit der fundierteren Ausbildung sei ein Anlass zu Hochmut über andere Gehaltsklassen, erhält den Denkzettel an der roten Ampel: Wenn es auf der Überholspur erst mal ausgebremst wurde, stellt sich auch das Alphamännchen aus der Führungsetage im Klinik-Speisesaal brav hinten an und isst Graubrot, sobald der Brötchenkorb geleert wurde. Auch wenn anderswo die Visitenkarte als Türöffner funktioniert – demokratischer als am Therapie-Buffet geht es nirgendwo zu. Mag in der Welt dort draußen der Titel vor dem Namen von Bedeutung sein: In der Burn-out-Klinik zählen nur die innere Werte. Und die werden ausschließlich bei
Julia Dombrowski | redaktion@regiomanager.de

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