Arbeit 4.0 wird in vielen Branchen unabhängiger von Ort und Zeit. Beschäftigte wünschen sich mehr Flexibilität und das geltende Arbeitszeitrecht erlaubt auch vieles in Sachen Flexibilisierung. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sieht durchaus Vorteile: „Beschäftigte, die ihre Arbeitszeiten mitgestalten können, sind mit ihrer Work-Life-Balance zufriedener, arbeiten motivierter, sind nachweislich produktiver und bleiben länger gesund.“ Die BAuA rät aber zu „intelligenten Arbeitszeitlösungen“, ohne ungesunde, überlange Arbeitszeiten. Wir stellen einige Modelle vor und geben Tipps der BAuA weiter.
1: EINIGES VORAB BEACHTEN
Wohlbefinden und Gesundheit auf der einen Seite, betriebliche Erfordernisse auf der anderen Seite: Moderne und flexible Arbeitszeitmodelle werden beiden Seiten gerecht. Wer Veränderungen im eigenen Unternehmen plant, sollte die Menschen mitnehmen, die von den Veränderungen betroffen sind. Dazu fragt man sie am besten nach ihren Wünschen und beteiligt sie am Prozess. Auch der rechtliche Rahmen muss vorher abgeklärt werden: Was steht im Arbeitsschutzgesetz? Gelten für das Unternehmen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen? Arbeitswissenschaftler empfehlen die gesetzliche Regelarbeitszeit von acht Stunden pro Werktag. Bei längeren Arbeitszeiten sinkt die Konzentration und das Unfallrisiko steigt deutlich. Bei Wochenarbeitszeiten über 40 Stunden nimmt die individuelle Produktivität pro Stunde nachweislich ab. Fazit der BAuA: „Insofern spricht viel dagegen, die individuelle Arbeitszeit auszudehnen. Sinnvoller ist, sie klug zu verteilen und auf ausreichend Erholungszeit zu achten, Stichwort Flexibilisierung.“
2: PFLICHTENHEFT ERSTELLEN
Jedes Unternehmen ist anders. Deswegen sollte nach der Phase der Informationsbeschaffung in Ruhe überlegt werden, welche gesundheitlichen, sozialen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen ein neues Arbeitszeitmodell im eigenen Betrieb erfüllen muss. Ein Pflichtenheft verschafft den Überblick. Darin werden alle Aspekte notiert, wie z.B. Wünsche der Beschäftigten, notwendige Qualifizierungsmaßnahmen, Kundenwünsche an das Unternehmen, Wettbewerbsbedingungen sowie gesetzliche, tarifliche und betriebliche Regelungen. Stehen die Anforderungen an das neue Arbeitsmodell fest, kann ein konkretes Modell entwickelt werden. Darum sollte sich ein Team kümmern. Gegebenenfalls können auch externe Berater den Prozess steuern. Tipp: Das Förderprogramm „Potentialberatung NRW“ setzt auf beteiligungsorientierte Beratung zu Themen wie Arbeitsorganisation und Gesundheit. Gefördert werden 40 Prozent der Ausgaben für maximal acht Tage sowie höchstens 400 Euro/Tag.
3: ARBEITSZEITKONTEN NÖTIG
Kein flexibles Arbeitszeitmodell kommt ohne Arbeitszeitkonto aus. Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit müssen mit Einführung neuer Modelle geregelt werden. Die Dauer der Arbeitszeit ist im individuellen Arbeitsvertrag festgelegt und meist im Kontext des Tarifvertrags eingebettet. Teilzeit und Altersteilzeit sind zwei weitverbreitete Arbeitszeitmodelle. Von wann bis wann pro Tag, Woche, Monat oder Jahr gearbeitet wird, regelt die Lage der Arbeitszeit. Mögliche Modelle sind z.B. Gleitzeit, Funktionszeit, Jahresarbeitszeit, Vertrauensarbeitszeit. Spielraum gibt es auch bei der Verteilung der Arbeitszeit. Sie kann gleichmäßig oder auch ungleichmäßig über die Wochentage, Monate und Jahre verteilt werden.
4: GLEITZEIT IST RELATIV UNKOMPLIZIERT
Morgens in Ruhe das Kind in die Kita bringen und nach der Rushhour zur Arbeit fahren: Gleitzeit macht’s möglich. Beschäftigte können innerhalb eines vereinbarten Zeitfensters selbst bestimmen, wann sie mit der Arbeit beginnen und aufhören. In der Regel werden aber Kernarbeitszeiten festgelegt, um eine Erreichbarkeit untereinander, aber auch für Kunden, Lieferanten et cetera sicherzustellen. Auf einem Gleitzeitkonto werden die Über- oder Minusstunden monatlich (oder jährlich) verrechnet. Idealerweise ist das Zeitkonto am Ende des Bezugszeitraums ausgeglichen. Sonst kann es vor allem bei Lebensarbeitszeitkonten zu Problemen kommen, wenn Angestellte kündigen oder Unternehmen insolvent werden. Wobei: Arbeitgeber müssen Arbeitszeitkonten gegen Insolvenz absichern und Rücklagen bilden.
5: EIN KONTO FÜRS LEBEN
Auf einem Lebensarbeitszeitkonto können Beschäftigte vom Berufseinstritt bis zum Ruhestand Zeit oder Geld ansparen. Das Guthaben kann später für einen früheren Eintritt in den Ruhestand genutzt werden oder für Sabbaticals. Man kann auch Zeit ansparen, um zu einem späteren Zeitpunkt die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu verringern. Der zurückgehaltene Lohn bzw. das Geld wird in der Freistellungsphase ausgezahlt (ähnlich wie bei einer Altersteilzeitregelung). Dieses Arbeitszeitmodell kann auch vorteilhaft für Unternehmen sein, weil sie flexibel auf absehbare Auslastungsschwankungen reagieren können und Überstundenzuschläge vermeiden. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sieht das Lebensarbeitszeitkonto kritisch, weil die Gefahr besteht, dass die Beschäftigten die tägliche Arbeitszeit auf über acht Stunden ausdehnen.
6: ZIELE MIT VERTRAUENSARBEIT ERREICHEN
Dieses Modell setzt eine Vertrauenskultur und offene Kommunikation voraus. Die Beschäftigten müssen ihre Aufgaben „nur“ fristgerecht und eigenverantwortlich erfüllen. Es gibt keine Anwesenheitskontrolle. Das setzt Selbstdisziplin voraus. Die BAuA empfiehlt, dass die betroffenen Personen in den Bereichen Arbeitsorganisation und Zeitmanagement beraten und geschult werden. Und noch ein Rat der BAuA an die Unternehmen: „Eine angemessene Personalplanung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Vertrauensarbeitszeit. Belastungen und Mehrarbeit für den einzelnen Beschäftigten durch eine zu dünne Personaldecke werden auch durch Vertrauensarbeitszeit nicht aufgehoben.“ Positive Effekte fürs Unternehmen: „Nach außen gewinnen Unternehmen mit Vertrauensarbeitszeit oft an Profil. Sie gelten als innovativ, flexibel und offen.“ Per Bundesgesetz wurde 2022 ein wesentlicher Aspekt der Vertrauensarbeitszeit eingeschränkt: Es wurde eine grundsätzliche Dokumentationspflicht eingeführt. Vorher gab es keine formale Zeiterfassung.
7: WAHLARBEITSZEIT ALS ANGEBOT
Für Unternehmen mit berechenbaren Stoßzeiten und Flauten könnte die Wahlarbeitszeit das Richtige sein: Arbeitgebende machen ihren Beschäftigten ein Angebot, ihre Arbeitszeit freiwillig und ohne Lohnausgleich zu verringern und variabler zu gestalten. Die Personalstärke wird je nach Auftragslage wöchentlich, täglich und stündlich unterschiedlich geplant. Der sich so ergebende Personalbedarfsplan wird für alle Beschäftigten sichtbar ausgehängt, damit diese ihren Arbeitseinsatz je nach persönlichen Vorlieben und den vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden eintragen können. Die ausgewählten Zeiten sind verbindlich. Wahlarbeitszeit ist aber ein Angebot, d.h. die Beschäftigten können es auch ablehnen.
8: TELEARBEIT ALS VORREITER
Telearbeit meint nicht das gelegentliche Arbeiten im Homeoffice. Schon vor der Corona-Pandemie haben Unternehmen ihren Mitarbeitenden Arbeit in den eigenen vier Wänden als Dauerlösung angeboten. Mit moderner Hard- und Software und guter Internetverbindung klappt die Büroarbeit auch von zu Hause oder remote. Die Beschäftigten profitieren von freier Zeiteinteilung und sparen sich Fahrtkosten und Fahrzeit. Unternehmen benötigen weniger Bürofläche. Allerdings müssen Arbeitgeber einen dauerhaften „Heimarbeitsplatz“ auch nach den Richtlinien der Arbeitsstättenverordnung ausstatten. Das Arbeitsschutzgesetz und Arbeitszeitgesetz gelten natürlich auch bei Telearbeit.
9: FUNKTIONSZEIT IM TEAM
Eine besondere Form der Gleitzeit stellt das Funktionszeitmodell dar. Es beinhaltet keine verpflichtenden Anwesenheitszeiten (Kernzeit) für die einzelnen Beschäftigten, sondern legt betrieblich vereinbarte Funktionszeiten fest. Zu diesen Zeiten müssen die jeweiligen Betriebsbereiche funktionsfähig sein. Das Arbeitsergebnis des Teams zählt. „Das Funktionszeitmodell setzt gut organisierte Teams bzw. Arbeitsgruppen voraus. Alle Beteiligten müssen über eine hohe soziale Kompetenz verfügen, da zahlreiche Aspekte im Team einvernehmlich zu regeln sind. Fehlt diese Kompetenz, können Schulungen hilfreich sein. Zudem sind Arbeitszeitkonten für alle Beschäftigten notwendig, die monatlich oder jährlich ausgeglichen werden können“, rät die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Die Arbeitsgruppe bzw. das Team legen Dauer und Lage der Arbeitszeit autonom fest, ebenso Urlaubs- oder Anwesenheitszeiten.
10: TESTEN UND NACHJUSTIEREN
Egal für welches neue Arbeitszeitmodell man sich entscheidet, es empfiehlt sich, eine befristete Testphase einzuführen, um Erfahrungen zu sammeln, auszutauschen und zu dokumentieren. Falls Probleme auftreten, können direkt Lösungen überlegt werden. In der anschließenden Evaluationsphase wertet das Projektteam alle Rückmeldungen (gegebenenfalls Fragebögen) aus. Sinnvoll können auch Workshops sein, in denen Beschäftigte das Für und Wider des neuen Arbeitszeitmodells diskutieren. Am Ende sollte eine Entscheidung fallen. Falls bei mehreren Punkten Änderungen erwünscht sind, kann der Prozess mit einem verbesserten oder anderen Modell wiederholt werden.
Claudia Schneider | redaktion@regiomanager.de
Claudia Schneider
| redaktion@regiomanager.de
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