Regio Manager: Was ist Simplicity und wofür wird es eingesetzt?
Hartschen: Der Simplicity-Ansatz ist eine Geisteshaltung. Das Thema der Einfachheit ist in dem Konzept kein Dauerzustand, sondern immer nur eine Momentaufnahme, weil sich das Thema, der Inhalt und die Lösung immer weiterentwickeln. Simplicity kann eingesetzt werden, um Komplexität in der Führung und bei Produkten und Dienstleistungen zu reduzieren.
Regio Manager: Und was ist Simplicity nicht?
Hartschen: Simplicity ist kein Ansatz, um Arbeitszeit und Mitarbeiterstellen zu reduzieren. Das Ziel ist vielmehr, dass Mitarbeiter dadurch Zeit für Ideen und Prozesse haben, für die sie bisher in ihrer regulären Arbeitszeit keine Zeit hatten. Dazu zählen auch Qualitätsthemen oder die Produktweiterentwicklung und Teambuilding-Maßnahmen. Das verstehen viele Manager nicht. Führungskräfte sollten sich gut überlegen, wie sie die gewonnene Zeit sinnvoll verwenden, und diese nicht einfach den Mitarbeitern „wegnehmen“.
Regio Manager: Wann wird etwas von jemandem überhaupt als einfach wahrgenommen?
Hartschen: Der Begriff einfach ist marketingtechnisch „versaut“. Sie finden keine Broschüre, in der nicht die folgenden Begriffe drin sind: Einfache Dienstleistungen, einfache Handhabung und einfache Produkte sind die Versprechen, die gemacht werden. Es wird aber nur selten beschrieben, was genau darunter zu verstehen ist. Ein einfaches Produkt ist ein Produkt, das die Erwartungen der Kunden erfüllt. Der Nutzen wird klar kommuniziert. Dahinter stecken auch eine gewisse Innovationskraft und Entwicklung, die stetig weitergeht. Wenn Kunden in einen Aldi-Supermarkt gehen, wissen sie genau, was sie erwartet und was nicht. Das wird von Kunden als einfach betrachtet. Kunden sind laut Experten bereit, bis zu 60 oder 80 Prozent mehr für Produkte zu zahlen, die sie als einfach empfinden.
Regio Manager: Wie können Firmen Produkte vereinfachen?
Hartschen: Um ein Produkt zu vereinfachen, müssen Kunden in den Prozess mit eingebunden werden, damit deren Bedürfnisse auch berücksichtigt werden – am besten schon bei der Produktentwicklung. Es ist nicht sinnvoll, ein Produkt für Lieferanten einfach zu machen, wenn es für Kunden weiter kompliziert bleibt, also müssen Firmen anfangen, Produkte vom Kundennutzen her „einfach“ zu denken.
Regio Manager: Was ist ein Beispiel für einen komplexen Prozess?
Hartschen: Langweilige und ineffiziente Meetings sind nicht „einfach“. Aber um das zu verbessern, muss erst mal herausgestellt werden, woran Mitarbeiter erkennen, dass ein Meeting für sie „einfach“ ist. Bei Workshops entstehen oft viele Ideen. Diese müssen aber nicht zwingend zu den Abläufen und Prozessen der Firma passen. Deshalb ist es auch am Anfang wichtig, ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, was überhaupt als einfach verstanden wird.
Regio Manager: Wodurch entsteht Komplexität in Unternehmensprozessen?
Hartschen: Wenn Führungskräfte oft ihre Meinung, Vorgaben und Prioritäten ändern, dann muss der ganze Apparat dahinter springen und es entsteht viel Komplexität. Wenn Sie mehrere Leute in der Führungsebene sind, kommt es darauf an, wie Sie kommunizieren, wie Sie sich abstimmen und wie die Reportings aufgebaut sind. Komplexität entsteht beispielsweise dadurch, dass Führungskräfte Aufträge weitergeben, bei der die Mitarbeiter nicht ganz genau wissen, wofür diese gut sind. Dazu gehören auch Sonderabmachungen mit einzelnen Kunden, von denen die Mitarbeiter nichts wissen.
Regio Manager: Inwiefern haben KMUs und Großunternehmen Schwierigkeiten, komplexe Strukturen zu durchbrechen?
Hartschen: Gerade Großunternehmen tun sich sehr schwer, komplexe Strukturen aufzubrechen, die über Jahre gewachsen sind, da es Personen in unterschiedlichen Bereichen gibt, die etwas zu sagen haben. Bei KMUs ist die Anzahl der Entscheider kleiner. Dadurch können diese viel direkter Einfluss darauf nehmen, Prozesse zu vereinfachen. Wenn man etwas vereinfachen möchte, muss man auch mal über den eigenen Gartenzaun nach links und rechts schauen, wie das dort gemacht wird.
Regio Manager: Warum vereinfachen nur so wenige Firmen ihre Prozesse?
Hartschen: Die Antwort darauf ist, dass die meisten das nicht gelernt haben. Altbewährte Strukturen werden kultiviert. Da wird sehr viel Energie hineingesteckt. Ich sage eigentlich immer zu meinen Kunden, dass sie alle drei bis fünf Jahre grundsätzlich alles überdenken sollen, weil sich so viel ändert in dieser Zeitspanne. Technologien, der Wettbewerb, die Kunden und auch die Marktsituation verändern sich. Da passen die gleichen Prozesse oftmals nicht mehr zu den Produkten und Dienstleistungen. Nicht jeder Prozess muss sofort gestrichen werden. Das kritische Infragestellen von Prozessen ist aber sehr wichtig.
Regio Manager: Wie funktioniert Veränderung bei Menschen?
Hartschen: Der Mensch funktioniert anders als ein Computerprogramm. Wissen alleine heißt noch lange nicht, dass jemand etwas verändert, weil wir uns als Menschen unterbewusst durch Gewohnheiten selbst programmiert haben. Wir führen Tätigkeiten immer gleich aus und hinterfragen das nicht. Erst wenn sich eine Erfahrung bewährt hat, speichert der Mensch diese Information im Unterbewusstsein ab.
Regio Manager: Welche Rolle spielt das Unterbewusstsein bei Veränderungen?
Hartschen: Das Wichtigste ist, neugierig zu sein und bereit zu sein, neue Erfahrungen zu sammeln. Wenn ich etwas ausprobiert und gelernt habe, dass etwas Gutes dabei herauskommt, dann weiß ich, warum ich das tue, und ich fühle mich gut dabei. Irgendwann kommt dann die Stufe, dass es im Unterbewusstsein aufgenommen und reflexartig so ausgeführt wird. Starke emotionale Erlebnisse prägen Menschen. Das heißt, umso emotionaler, desto schneller geht’s – und zwar in beide Richtungen. Wenn ein Radfahrer beispielsweise Schienen sieht, dann weiß er, dass er dort einer größeren Gefahr ausgesetzt ist. Daher wird er seine Aufmerksamkeit erhöhen.
Regio Manager: Was sind typische Hindernisse auf dem Weg zu Innovationen in den Köpfen von Mitarbeitern?
Hartschen: In vielen Unternehmen wird oftmals verlangt, dass Mitarbeiter bestimmte Aufgaben immer auf eine bestimmte Art und Weise erledigen. Sobald sie davon abweichen, werden sie sanktioniert. Wenn jetzt jemand kommt und sagt, du sollst überlegen, ob man das nicht anders machen könnte, sind Mitarbeiter im Zwiespalt. Viele haben zudem den Glaubenssatz: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Manche Mitarbeitende sagen auch, dass der Chef frühere Veränderungsvorschläge nicht akzeptiert hat. Mitarbeiter fragen dann oftmals gar nicht mehr.Barbara Bocks
| redaktion@regiomanager.de
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