Management

Lieferkettengesetz: Eine Chance für die Blockchain?

Große Firmen müssen ab 2023 dafür sorgen, dass ihre Zulieferer im Ausland Menschenrechte und Sozialstandards wahren. Wie ist das am besten zu leisten?

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von Regiomanager 17.12.2021
Die Lieferkette der Kaffeeproduktion - ein mögliches Paradebeispiel für die Blockchain (© ­­­contrastwerkstatt − stock.adobe.com)

Die Blockchain-Technologie existiert seit 2009. Eine Blockchain ist ein dezentrales –
also auf den Servern aller Beteiligten angelegtes – Register, das eine synchronisierte Speicherung von Transaktionen ermöglicht. Da identische Datenpakete gleichzeitig auf den Computern der Beteiligten abgelegt werden, gilt eine Blockchain als viel sicherer als die fälschungsanfällige Speicherung in einer zentralen Datenbank.
Die Kryptowährung Bitcoin war der erste und bekannteste Anwendungsfall der Blockchain. Die Blockchain eignet sich zweitens dafür, Daten über Besitz- und Eigentumsverhältnisse fälschungssicher abzuspeichern – in Zukunft möglicherweise das Grundbuchwesen. Ein drittes großes Anwendungsgebiet ist der fälschungssichere Datenaustausch zwischen ganz unterschiedlichen Akteuren in einem Netzwerk – also z.B. die Dokumentation von Wertschöpfungs- bzw. Lieferketten. Zur Überwachung einer Schifffahrtslogistikkette wurde das im Projekt COMGO („The Common Good Chain“) beispielsweise schon erprobt. Im Idealfall kann die Blockchain eine komplette komplexe Wertschöpfungskette abbilden. So können von der Kaffee-Ernte bis zur fertig gebrühten Tasse Kaffee bis zu 23 Logistikpartner im Spiel sein. „Das Lieferkettengesetz ist ein idealer Usecase für die Blockchain“, ist Timucin Korkmaz überzeugt, Informatiker am Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) sowie am Projekt zum Aufbau des Europäischen Blockchain Instituts, ebenfalls in Dortmund.


Technik schreitet voran

Zahlreiche technische Detail-Lösungen für Lieferketten-Blockchains wurden und werden derzeit entwickelt: „Ein RFID-Chip kann dabei helfen, den Gang der Ware oder der Veredelung des Produkts nachzuhalten“, sagt Korkmaz. Die Blockchain-Dokumentation der Kühlkette mit Sensordaten ist technisch kein Problem. Von Fraunhofer-IML kommt gerade eine Neuentwicklung, die mobile Endgeräte blockchainfähig macht: interessant für die Gefahrgutlogistik, aber auch im Kontext des Lieferkettengesetzes. „Ein Kleinbauer kann mit einer Smartphone-App seine Ernte fotografieren, mit einem QR-Code-Aufkleber versehen, diesen scannen mitsamt der Zusicherung, dass er diese Charge gewaschen und an die Spinnerei weitergegeben hat“, so Timucin Korkmaz. „Voraussetzung ist, dass er eine eigene digitale Identität innerhalb der Blockchain hat.“ Darüber hinaus ist es möglich, in der Blockchain Dokumente und Zertifikate zu hinterlegen und ein Berechtigungsmanagement einzurichten, das z.B. nur Berechtigten die Einsicht in bestimmte Daten gewährt.
Dass die Daten in der Blockchain stimmen, kann die Technologie allerdings nicht gewährleisten. „Sie können nachhalten, dass der Kleinbauer fair bezahlt wurde, aber das schließt nicht aus, dass ein Großgrundbesitzer oder Abnehmer des Kaffees ihm das Geld wieder abknöpft“, sagt Informatiker Korkmaz. Tchibo bezieht als Kaffeeröster und großer Textilproduzent Rohstoffe, die sensibel hinsichtlich Sozial-, Menschenrechts- und Umweltstandards sind. „Wir müssen einfach korrekte Daten sammeln“, sagt Sandra Coy, Sprecherin Unternehmensverantwortung bei Tchibo. „Nur so können wir langfristig die gesamte Kaffee-Lieferkette überblicken – und bei Problemfällen sofort einschreiten und diesen nachgehen.“ Für die Lieferketten-Dokumentation hat sich Tchibo gegen eine Blockchain und für den Datenbank-Dienstleister Sourcemap entschieden. „Der Aufbau eines Blockchain-basierten Systems ist extrem zeit- und kostenintensiv und für unsere aktuellen Zwecke nicht erforderlich und zielführend“, so Sandra Coy. „Die Blockchain ist nur ein Tool, um Rückverfolgbarkeit und Transparenz aufzubauen und abzubilden. Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden, mit dem wir aber im Prinzip die gleichen Daten sammeln und auswerten können.“


Vorteil des Netzwerks

Dagegen glaubt Fraunhofer-Wissenschaftler Korkmaz, dass ein Rechner-Netzwerk aller Beteiligten – also die Blockchain – einer Datenbank bei einem einzigen Dienstleister überlegen ist. „Das Prinzip der Blockchain ist ja: Wenn Sie Ihren Partnern nicht vertrauen, dann können Sie sich als Teil der Blockchain mit Ihrem Rechner an der ‚Wahrheitsfindung‘ beteiligen.“ Den großen Vorteil, dass in einer Blockchain abgelegte Daten quasi unkorrumpierbar sind, gebe man dadurch aus der Hand. Dies sieht auch die Wirtschafts- und Finanzinformatikerin Karin Gräslund so, Professorin an der Hochschule RheinMain: „Man hat halt immer diesen Intermediär, dem man vertrauen muss.“
Ein anderes Problem kommt hinzu: Die Macht von Großanbietern könnte einen technologischen Quasi-Standard etablieren. Timucin Korkmaz vergleicht es mit der Amazon-Plattform. Wer darüber verkaufen wolle, müsse sich den dort geltenden Regeln anpassen. „Wir versuchen, Open-Source-Lösungen zu generieren, damit man sich nicht irgendwelchen Großanbietern unterwerfen muss, sondern sich auch als kleine Gruppe oder als KMUs zusammenfinden und die Technologien aufeinander abstimmen kann.“


Zusammenarbeit macht stark

Sowohl Korkmaz als auch Professorin Gräslund empfehlen Mittelständlern zusammenzuarbeiten. „Für kleinere Firmen ist das zu schwierig, da müssen Interessensverbände ran“, meint Professorin Karin Gräslund. Sie engagiert sich darum als Fachvorständin in der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG). Die Wirtschaft finde so mit ihren Anforderungen an Lieferketten-Blockchain-Lösungen einfach mehr Gehör bei der Software-Industrie. Zusammen mit den Industrie- und Handelskammern macht Professorin Gräslund sich noch für etwas anderes stark: Sie vergleicht die Lieferketten-Blockchain mit Infrastruktur-Werken wie Autobahnen und Telefonnetzen. „Man kann vielleicht Gesetze ansetzen, die uns zwingen, bestimmte Reporting-Anforderungen zu erfüllen, aber man kann nicht einfach diese Anforderungen stellen, ohne gleichzeitig die Umsetzungsmöglichkeit mit zur Verfügung zu stellen.“ Da wären also die Software-Hersteller – in diesem Fall SAP – und auch der Staat in der Pflicht.
Claas Möller | redaktion@regiomanager.de

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